
Chisholm, Erik - Klavierwerke Vol. 1
Eine genuin schottische Stimme
Label/Verlag: Divine Art
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Erik Chisholm war eine Schlüsselfigur der schottischen Musikszene in den 1920er- und 1930er-Jahren. Die erste Folge seiner Klavierwerke auf CD erweist sich als ambitionierte und lohnende Unternehmung.
Erik Chisholm (1904–1965) war bis in die 1990er-Jahre in Europa vollständig vergessen. Dabei war eine Schlüsselfigur der schottischen Musikszene in den 1920er- und 1930er-Jahren. Es ist vornehmlich seiner Tochter Dr. Morag Chisholm und dem von ihr gegründeten Erik Chisholm Trust zu verdanken, dass sein Leben und Schaffen nunmehr der Vergessenheit entrissen wurde. Erik Chisholm ist mittlerweile längst kein Unbekannter mehr – die ihm gewidmete Website www.erikchisholm.com und diverse seit 1997 erscheinende CD-Produktionen beleuchten zumindest Teile seines umfangreichen Schaffens. Für 2009 ist nun auch eine umfassende Biografie angekündigt, von der Hand John Pursers, der Autorität zu schottischer Musik. Die hier vorgelegte ist die erste einer umfassenden Reihe von CDs mit Klaviermusik Chisholms (offenbar ist zurzeit an keine Gesamteinspielung seines umfangreichen Schaffens gedacht).
Zentrales Werk auf dieser ersten CD ist die Sonata in A von 1939, eine hochgradig ambitionierte Komposition, die der Pianist Murray McLachlan, der die ganze Edition einspielt und der sich bereits zuvor als höchst kompetenter Sachwalter der Musik Chisholms bewährt hatte, 2004 anlässlich einer Aufführung in der Londoner Wigmore Hall gekürzt hat. Gekürzt? Auch in dieser Form dauert die Sonate beachtliche 34 Minuten. Natürlich ist es nicht (wie im Booklet behauptet) ganz zutreffend, dass ähnlich umfangreiche und komplexe Klaviersonaten sonst nicht existieren (Chisholms Freund Kaikhosru Sorabji ist ein geradezu notorischer Fall in dieser Hinsicht). Wie die anderen beiden Werke auf dieser CD basiert die Sonate auf schottischem Volksmaterial, einer Dudelsackmelodie mit dem Namen 'An Riobain Dearg' ('Das rote Band'). Nun könnte man angesichts der Tatsache, dass sich Chisholm von Volksgut bzw. spezifisch schottischem Musikmaterial inspirieren ließ, mutmaßen, dass wir hier einen Anhänger einer wie immer gearteten ‚Pastoral School’ hätten – doch täten wir Chisholm bitter Unrecht. Die von ihm organisierten Konzertreihen der von ihm gegründeten Active Society for the Propagation of Contemporary Music brachten von 1930 bis 1938 Bartók, Berg, Casella, van Dieren, Hindemith, Medtner, Florent Schmitt, Sorabji und Szymanowski nach Glasgow. Dieses Interesse an der internationalen Musikentwicklung spiegelt sich auch in Chisholms Kompositionen. So erweist sich nicht zuletzt die Sonate als hochkomplexes Werk, das ganz auf der Höhe seiner Zeit steht, ohne atonal zu sein. Der erste Satz besteht aus acht Variationen über ein dicht gestaltetes Thema. Dem lebhaften, den Atem nehmenden Scherzo folgt ein für die schottische Musik typisches Lament, in seiner Intensität wahrscheinlich der Kern der Sonate. In diesem Fall gedenkt Chisholm des verunglückten U-Boots HMS Thetis, das bei einer seiner ersten Probetauchfahrten am 1. Juni 1939 gesunken war. Das beeindruckende Finale verliert durch die von McLachlan vorgenommenen Kürzungen etwas an Gesamtgewicht, doch erweist sich die Sonate auch in der hier vorliegenden Form als absolute Tour de force, für den Pianisten wie den Hörer.
Die 'Straloch Suite' entstand ursprünglich 1923, die hier vorliegende Fassung schrieb Chisholm 1933 zeitgleich mit einer Fassung für Orchester und einer für Streichorchester. All diese Fassungen basieren auf Melodien aus dem 'Robert Gordon of Straloch'-Lautenbuch von 1627; die originale Tabulatur ist heute verloren, nur ein geringer Teil wurde im 19. Jahrhundert transkribiert. Hier wie in der Sonate kann man in keinster Weise von einer Art 'Folk Song Revival' sprechen – wir haben hier substanzielle Musik, die einerseits Paul Hindemiths zeitgleich entstandene Musik evoziert, andererseits durchaus eigenständig ist, voll einer ganz eigenen, möglicherweise schottisch zu nennenden Poesie. Chisholms klassische Ausbildung (bei Donald Tovey in Edinburgh) zeigt sich immer wieder in kontrapunktischen Eigenheiten, in Fugati oder imitatorischer Fortführung und auch der (durchaus freien) Verwendung traditioneller Formstrukturen.
Die 'Scottish Air for Children' entstanden in den 1940er-Jahren, als Chisholms Kinder noch klein waren. Die Melodien für alle 22 Stücke entstammen Patrick MacDonalds 'Collection of Highland Vocal Airs' aus dem Jahr 1784. Auch hier nicht die Spur historistischer 'Materialpflege', vielmehr brillante, poetische, oft auch melancholische Miniaturen, die längste keine dreieinhalb Minuten lang, die kürzeste gerade einmal zwanzig Sekunden. Als Unterrichtsmaterial gedacht, sind sie technisch teilweise vielleicht einfach, musikalisch aber durchaus anspruchsvoll.
Das Label Dunelm Records hatte die Chisholm-Reihe 2004 begonnen, nach seiner Übernahme durch Divine Art wurden die ersten CDs neu aufgelegt. Murray McLachlans Spiel ist mustergültig, emotional und virtuos, sein Enthusiasmus für die Musik Chisholms ist jederzeit zu spüren. Äußerst informativ der Begleittext von John Purser (wenn auch nur auf Englisch), tadellos die Tontechnik (die Aufnahmen fanden im April 2007 in Chetham's School of Music in Manchester statt, wo McLachlan lehrt). Wenn die gesamte Edition dieses Niveau hält, wird man von einer Referenzproduktion sprechen können.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Chisholm, Erik: Klavierwerke Vol. 1 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Divine Art 1 06.11.2008 |
Medium:
EAN: |
CD
809730413124 |
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Divine Art Divine Art wurde von Stephen Sutton 1993 gegruendet und ist in den letzten Jahren schnell gewachsen mit einem Repertoire von klassischer Musik (und jetzt auch ?mow Swing?, leichte Musik und Jazz) jeglicher Art, von Mittelalter über Barock, Klassik, Oper bis zur heutigen Moderne. Anfang 2009 wurde Heritage Media in Divine Art integriert, eine Firma, die sich auf klassische Radio Programme und Dramen mit den berühmtesten Britischen und Amerikanischen Film- und Theater Schauspielern der 1940 und 1950iger Jahre spezialisiert. Diese Werke werden bald per Katalog und per download für Divine Art Kunden zu kaufen sein. Divine Art spezialisiert sich auf die Entdeckung und Aufnahme unbekannter Werke von wichtigen Komponisten wie beispielsweise Mozart, Schubert und einige der wichtigsten Britischen Komponisten. Hauptserien schliessen alle 90 Pianosonaten von B. Galuppi, die neulich entdeckte Orchester- und Kammer-Musik von dem in Newcastle upon Tyne geborenen Charles Avison und Weltpremieren von Musik für Piano Duo, ein Innerhalb Divine Art umfasst die ?Diversions? - Niedrigpreis Serie viele neue Aufnahmen wie auch Neu-Ausgaben von historischen Aufnahmen. Unsere ?Historic Sound? Serie von alten Klassikern, 2005 gegruendet, hat Preise fuer besondere Restaurationsqualitaet gewonnen. Seit 2008 verfügt Divine Art über eine Zweigstelle in den USA. Mehr Info... |
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