> > > Lux Aeterna: The Gesualdo Six, Owain Park
Sonntag, 4. Juni 2023

Lux Aeterna - The Gesualdo Six, Owain Park

Vokalqualität


Label/Verlag: Hyperion
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Ein konzeptionell bezwingendes, dazu hervorragend qualitätvoll gesungenes Album: The Gesualdo Six machen sich selbst und dem Publikum ein wunderbares Geschenk.

Auf seiner aktuellen Platte, wie alle vorherigen beim Label Hyperion erschienen, singt das englische Vokalensemble The Gesualdo Six ein Programm, das sich exemplarischen Gefühlen und Haltungen angesichts des Verlusts geliebter Menschen widmet – natürlich Trauer, Furcht vor dem Alleinsein, Wehmut. Doch es bleibt nicht bei dieser unmittelbaren Ebene: Angesichts des geistlichen Kerns der Kompositionen weiten die Vokalisten den Blick weit darüber hinaus auf drei Bereiche: Unsicherheit, Akzeptanz und Hoffnung – dass der Tod nicht das letzte Wort haben möge, mindestens so, ‚dass das Gute, das jemand in die Welt gebracht hat, weiterleben möge.‘ Ein Requiems-Gedenken also, das auch Menschen zugänglich ist, die keiner Religion angehören und keinem Erlösungs- oder Auferstehungsglauben anhängen, angesichts des Verlusts ihnen nahestehender Menschen gleichwohl vor denselben Herausforderungen stehen.

The Gesualdo Six haben sich in den vergangenen Jahren mit Programmen zur Musik ihres Namenspatrons, des Josquin-Umfelds, der älteren englischen Vokalpolyphonie oder auch zum weihnachtlichen Festkreis einen exzellenten Ruf ersungen – auch genährt durch die eingangs mit Blick auf die aktuelle Produktion skizzierte dezidierte Gestaltung der Programme. Nun stellen sie unter dem Titel ‚Lux aeterna‘ eine stilistische Mischung vor, die etwas anders als üblich gestaltet ist. Zwar sind mit Thomas Tallis, Cristóbal de Morales, William Byrd oder Henry Purcell auch die älteren Stimmen vertreten, doch nur zu einem Drittel – das allerdings höchstklassig, intensiv und in den Wirkungen unvergleichlich. Beispielhaft seien Tallis‘ ‚In ieiunio et fletu‘ oder Morales‘ ‚Parce mihi, Domine‘ genannt.

Dazu gesellt sich – kontrastierend und in manchem Fall auch ältere Traditionen aufgreifend – ein weites Spektrum arrivierter Stimmen des 20. und 21. Jahrhunderts, in teils entschiedener Personalstilistik, doch klar dem gedanklichen Feld des Programms zugehörig und deutliche Akzente setzend. Es sind bekannte Sätze zu hören wie Neil Cox‘ (geb. 1955) ‚Keep me as the apple of en eye‘, das oft gesungene ‚Funeral Ikos‘ von John Tavener (1944-2013) oder Howard Skemptons (geb. 1947) ‚And there was war in heaven‘. Dazu kommen überraschende Qualitäten mit ‚Lumen‘ von Donna McKevitt (geb. 1970) oder ‚I take thee‘ von Joanna Marsh (geb. 1970), schließlich schlichte, emotional dichte Sätze wie Douglas Guests (1916-1996) ‚For the fallen‘ oder das abschließende ‚A Good-Night‘ von Richard Rodney Bennett (1936-2012). Im Zentrum der Platte aber steht – mit beinahe einer Viertelstunde Spielzeit das bei weitem ausgreifendste Stück – ‚Sequence: In Paranthesis‘ aus der Feder des Ensembleleiters und zugleich profilierten Vokalkomponisten Owain Park (geb. 1993) – ein Stück, das auf Dichtungen des walisischen Poeten David Jones aus der Zeit des Ersten Weltkriegs basiert.

Grandios gesungen

The Gesualdo Six sind ein mittlerweile umfassend profiliertes Ensemble, das in der Besetzung mit Guy James und Andrew Leslie Cooper (Countertenor), Joseph Wicks und Josh Cooter (Tenor), Michael Craddock (Bariton) sowie Samuel Mitchell und Owain Park (Bass) eine Reihe teils hymnisch besprochener Platten realisiert hat. Es unterstreicht den erreichten Rang hier eindrucksvoll, der Beweis für stimmliche Potenz und interpretatorische Klasse wird erneut mühelos angetreten; ausgeprägte, charaktervolle Register von individuellem Format verbinden sich zu einem vokalen Ganzen, atmen in dieser Hinsicht dieselbe Magie, wie es andere, weit berühmtere englische Vokalensembles tun. Sie geben all ihre vokalen Qualitäten in die jüngeren Sätze, verleihen jedem ein eigenes Gepräge, gewiss kulminierend in Owain Parks berührender Arbeit: Mehr erschütternde Dringlichkeit angesichts der kriegerischen Gewalt Russlands gegenüber der Ukraine kann ein historischer Bezug kaum evozieren. Ein weiterer interessanter Aspekt: Kontrapunktische Perfektion und Intensität gewinnen im Umfeld dieser jüngeren Werke zusätzlich an Profil, entgehen in der dezidierten Deutung des Ensembles sehr viel müheloser drohender Gleichförmigkeit, als es in einem reinen Renaissanceprogramm möglich wäre.

In fließender Linearität entfalten sich die stimmlichen Qualitäten im Grunde ideal, feine Nuancen werden deutlich ausformuliert, seltene Momente klarer stimmlicher Manifestation setzen Akzente. Die edle Linie bekommt Raum, gerät aber nie soßig oder ungegliedert. Dazu ist eine aktive, verständnisfördernde Diktion zu verzeichnen: Die Vokalisten frönen nicht nur selbstberauscht ihrem balsamischen Klang, sind vielmehr ehrliche Vermittler der aufgerufenen Inhalte. Intoniert wird wunderbar frei und gelöst, dazu in allen Lagen und harmonischen Anforderungen sicher wie auf Schienen – viele beglückende Momente in Schlusswendungen und berückenden akkordischen Verbindungen unterstreichen diese fabelhafte Qualität.

Die All Hallows Church im Londoner Stadtteil Gospel Oak ist als Aufnahmeort für ambitionierte Vokalmusik vielfach erprobt. Auch hier ist das Ergebnis rundum gelungen, in Plastizität und Klarheit, Balance und struktureller Tiefe – ein ideales Abbild des Ensembles und seiner Möglichkeiten.

Ein konzeptionell bezwingendes, dazu hervorragend qualitätvoll gesungenes Album: The Gesualdo Six machen sich selbst und dem Publikum ein wunderbares Geschenk. Man kann nur fortgesetzt staunen über das schier unerschöpfliche stimmliche und künstlerische Potenzial der englischen Vokalwelt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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    Lux Aeterna: The Gesualdo Six, Owain Park

Label:
Anzahl Medien:
Hyperion
1
Medium:
EAN:

CD
45712838


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Byrd, William
Taverner, John


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Hyperion

Founded in 1980, Hyperion is an independent British classical label devoted to presenting high-quality recordings of music of all styles and from all periods from the twelfth century to the twenty-first. We have been described as 'Britain’s brightest record label'. In January 1996 we were presented with the Best Label Award by MIDEM's Cannes Classiques Awards. The jury was made up of the editors of most of the leading classical CD magazines in the world - Classic CD (England), Soundscapes (Australia), Répertoire (France), FonoForum (Germany), Luister (Holland), Musica (Italy), Scherzo (Spain), and In Tune (USA & Japan).

We named our label after an altogether splendid figure from Greek mythology. Hyperion was one of the Titans, and the father of the sun and the moon - and also of the Muses, so we feel we are fulfilling his modern role by giving the art of music to the world.

The repertoire available on Hyperion, and its subsidiary label Helios (Helios, the sun, was the son of Hyperion), ranges over the entire spectrum of music - sacred and secular, choral and solo vocal, orchestral, chamber and instrumental - and much of it is unique to Hyperion. The catalogue currently comprises nearly 1400 CDs and approximately 80 new titles are issued each year. We have won many awards.

Our records are easily available throughout the world in those countries served by our distributors. A list of the world's top Hyperion dealers, listed by country and city, can be found on our homepage. But if you have any difficulty please get in touch with the distributor in your territory. In Germany that is Note 1 Music Gmbh.


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