> > > Chopin, seine Zeitgenossen und ihre Instrumente: Klavierwerke von Field, Chopin, Liszt u.a
Montag, 25. September 2023

Chopin, seine Zeitgenossen und ihre Instrumente - Klavierwerke von Field, Chopin, Liszt u.a

Dies und das


Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Brilliant schlachtet für die Kompilation 'Chopin - His contemporaries and his instruments' bereits veröffentlichte Aufnahmen aus. Leider aber gibt es von einigen Werksammlungen nur Appetithäppchen, nicht zum Vorteil des Gesamtprojekts.

Es ist mehr als betrüblich, wenn ein Plattenlabel eine mögliche Chance aus Bequemlichkeit oder geschäftsmäßiger Bequemlichkeit leichtfertig vertut. Eine Edition ‚Chopin – His contemporaries and his instruments‘ böte so viele Möglichkeiten, die hier aber nicht einmal im Mindesten erfüllt werden. In Wirklichkeit handelt es sich bei dieser Box um Recycling übelster Sorte. Dabei ist die Qualität der Einspielungen auf den sechs CDs beim besten Willen nicht schlecht. Schade, wenn gute Interpretationen derart niveaulos verheizt werden.

Die erste CD umfasst ‚sämtliche‘ Nocturnes von John Field, 1997 bei Columns erschienen. Schon zur Zeit der Erstveröffentlichung stimmte leider der Titel nicht – es handelt sich eben nicht um sämtliche Nocturne-Kompositionen von John Field, wie Joanna Leachs Einspielung für das englische Label Athene (heute Divine Arts) 1991 gezeigt hat. Aus Platzgründen hatte Leach zwei Nocturnes nicht einspielen können – eines davon (die so genannte Grand Pastorale in E) findet sich auf der 1995 erschienenen CD von Bart van Oort, dem 1959 geborenen Spezialisten des Hammerklaviers; aber auch auf Richard Burnetts CD mit Klavierwerken Fields für Amon Ra. Van Oorts Interpretation ist klangtechnisch eingängiger als jene Burnetts, der ein ‚Cabinet Piano‘ aus der Werkstatt Muzio Clementis nutzt, mit Sicherheit passender als der von van Oort gewählte fast schon ‚zahm‘ wirkende Broadwood-Hammerflügel. Auch Joanna Leachs Instrumentenwahl scheint zugleich wagemutiger und passender – auch sie nutzt keinen Hammerflügel, sondern Rechteckklaviere unterschiedlicher Fertigung, die die Intimität der Kompositionen stärker stützt als das von dem Niederländer gewählte Instrument.

CD 2 und 3 der Box sind den Nocturnes Chopins gewidmet – 1998 und 2003 von Bart van Oort auf Hammerflügeln von Pleyel (1842) und Érard (1837) eingespielt; sie waren bereits 2003 in einer 4-CD-‚Nocturnes‘-Box lieferbar. Van Oorts Einspielung der Chopin’schen Nocturnes auf historischen Instrumenten ist nicht die erste – Luc Devos hatte 1993/4 die 21 Nocturnes Chopins eingespielt, dazu fünf weitere Klavierstücke, auf einem Broadwood-Hammerflügel von etwa 1845. Klangtechnisch sind die Interpretationen (van Oort mit geringfügig tieferem Kammerton) vor allem Geschmacksache – beide Interpreten haben vielfarbige Instrumente zur Verfügung, die modernen Konzertflügeln in Sachen Klangreiz um ein Vielfaches überlegen sind. Natürlich wären sie für Riesen-Konzertsäle nicht geeignet, aber hierfür sind die Kompositionen ja auch nicht gedacht. Insgesamt muss gesagt werden, dass Devos’ Einspielung (für Ricercar) etwas introvertierter, weniger auf äußeren Effekt bedacht ist als van Oorts.

Die vierte CD der Box war auch die vierte CD der 4er-CD-‚Nocturnes‘-Box von 2003 gewesen. Sie wird in dieser Kompilation ‚Chopin and his contemporaries‘ genannt und bringt in der Tat eine ganze Menge heute ansonsten vergessener Komponisten – Friedrich Kalkbrenner, Edmund Weber, Maria Szymanowska und Ignacy Feliks Dobrzynski etwa. Doch auch Nocturnes von Charles-Valentin Alkan, Michail Glinka, Louis-Lefèbure-Wély und Clara Schumann sind zu hören. Insgesamt zahlreiche Raritäten, die aber nur einen winzigen Ausschnitt aus Chopins Zeitgenossen bieten. Kein Robert Schumann, Norbert Burgmüller, William Sterndale Bennett, kein Mendelssohn Bartholdy, Hensel, Thalberg, Heller, Gade, Kalliwoda oder Hummel – um nur einige zu nennen. Abermals auf einem Érard-Flügel von 1837 wird van Oort bei einem Nocturne von Kalkbrenner durch Agnieszka Chabowska unterstützt.

Auch der Hammerflügel auf CD 5 war niemals in Chopins Besitz, ein Graf-Instrument von 1826 aus dem Besitz der Familie Contucci: Die CD mit dem Italiener Costantino Mastroprimiano ist ein Recycling der soeben erst erschienenen CD ‚Chopin. Early Works“ (jüngst bei klassik.com besprochen), weswegen ich mich hier kurz fassen kann.

Merkwürdigerweise verzichten Brilliant Classics in dieser Box auf weitere Chopin-Aufnahmen auf historischen Instrumenten – faktisch auf weit mehr als eine CD mit Mazurken mit dem großen Cor de Groot (1914–1993), einem der Nestoren der historisierenden Aufführungspraxis auf dem Hammerklavier. Diese CD haben Brilliant in der 2007 erschienenen 17-CD-Chopin-Box wiederveröffentlicht – doch hätte sie in diese Box bestens gepasst (de Groot spielte 1988 auf einem Pleyel-Instrument von 1847). Nur sechs Mazurkas wurden für die sechste CD der Sammlung ausgewählt – unverständlich, bedenkt man die große Tradition der Mazurka im 19. Jahrhundert und Chopins enorme Produktivität auf diesem Gebiet.

Überhaupt ist diese sechste CD enttäuschend – Jan Vermeulen spielt 1991/92 eine von Carl Maria von Webers vier Klaviersonaten (auf einem Tröndlin-Instrument von 1828) – Teil einer 2-CD-Gesamtaufnahme, die erst 2004 bei Brilliant erschienen, aber längst vergriffen ist. Warum nicht einfach die beiden CDs komplett mit in die Box aufnehmen? Das hätte bei der Produktion kaum mehr gekostet, aber den Repertoirewert der Box ohne weiteres erhöht. Auch zwei Stückchen von Charles-Valentin Alkan, gespielt von Bart van Oorts früherem Lehrer Stanley Hoogland auf einem Pleyel-Flügel von 1858, sind recycled, von einer 2006 erschienenen CD mit Alkan-Miniaturen. Allerdings muss man sich anlässlich Hooglands Renommees wundern über sein uninspiriertes Spiel vor allem bei der 'Barcarolle', etwas weniger bei dem charmanten, aber eher anspruchslosen 'Petit Conte'. Der 1955 geborene Fred Oldenburg beendet die CD mit zwei 'Études d’exécution transcendante' – schade, dass es nur zwei sind, der gesamte Zyklus ist so wichtig für die Klaviermusik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dass man sich auch hier wundern muss, warum aus der in Lizenz von Arts (1990) auch vollständig (2005) bei Brilliant erschienenen CD nicht das ganze Werk für diese Box aufgenommen wurde (dies hätte eine weitere CD ergeben). Allerdings entstand das Werk in der hier eingespielten Form erst 1851/2, also nach Chopins Tod.

Die Instrumente von Érard, Graf und Pleyel geben der CD-Box auch den Teiltitel ‚and his instruments‘ – auch wenn keines der genannten Instrumente jemals in Chopins Besitz waren. Korrekt wäre also der Titel ‚and his favoured instruments‘ gewesen. Doch kann man von dieser Box Akkuratesse nur bei den Interpretationen erwarten. Das Booklet ist schwächlich – auf Englisch werden Kurzversionen der Texte der Original-CDs gebracht, ohne selbst durch einen einleitenden oder schließenden Absatz den Sinn der Edition zu erläutern. Die Interpretationen hätten Besseres verdient.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Chopin, seine Zeitgenossen und ihre Instrumente: Klavierwerke von Field, Chopin, Liszt u.a

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Brilliant classics
6
11.06.2010
Medium:
EAN:

CD
5028421940489


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