
Haydn, Joseph - Acide Hob. XXVIII:1
Zum Fest
Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Haydns Hochzeits-Festmusik 'Acide' liegt hier in einer ansprechenden, wenn auch nicht überragenden Einspielung vor.
1763 heiratete der junge Graf Anton Esterházy Gräfin Maria Theresia Erdödy. Zu diesem Anlass komponierte Joseph Haydn seine erste italienische Oper, ein sogenanntes ‚Festa teatrale’, eine auf antikem Sujet basierende Festmusik mit obligatorischem glücklichen Ende. Die Handlung kennen wir von Händel: Der junge Schäfer Acide und die Meernymphe Galatea lieben sich, doch verfolgt auch der hässliche Zyklop Polyfemo Galatea mit seiner Liebe. Acide und Galatea wollen fliehen, doch erschlägt Polyfemo Acide mit einem Felsen. Das für den Anlass erforderliche glückliche Ende wird durch (je nach Fassung von 1763 bzw. dem Revival von 1773) Neptun bzw. Tetide herbeigeführt, die Acide zum Flussgott verwandeln, so dass er so Galatea jederzeit nahe sein kann. Nur durch das gedruckte Libretto ist das vollständige Werk bekannt, die Musik ging in beiden Fassungen teilweise verloren. Haydn erweist sich in seinem Erstlingswerk auf diesem Gebiet bereits als Meister dessen, was er in den späteren Jahren stetig vervollkommnen sollte. Herrliche Arien (später ohne da capo), beeindruckende Accompagnato-Rezitative und ein lebendiges Quartett-Finale zeugen von dem Rang des Werks.
Manfred Huss, Schüler u.a. des legendären Hans Swarowsky, befasst sich seit Langem mit Haydns Oeuvre und sein 1984 gegründetes, auf historischen Instrumenten musizierendes Ensemble kennt sich in dem Idiom ihres Namensgebers bestens aus. Von der Haydn Sinfonietta kann man fast automatisch inspirierten Haydn-Klang erwarten, auch wenn die Violinen gelegentlich ein klein wenig zu unpräzis spielen. Doch zu einer Oper gehört mehr als inspirierter Orchesterklang - überzeugende Rollenexponenten und eine schlüssige Gesamtdramaturgie. Diese Gesamtdramaturgie fehlt – naturgemäß, weil fast alle Rezitative des Werks verloren sind, aber auch weil eine Zweitfassung einer Arie der Erstfassung auf den Fuße folgt. So haben wir hier eine Art Opernkonzert ohne klaren Handlungsfaden. Von zwei Fragmenten der Fassung von 1773 hat Huss Aufführungsfassungen erstellt, zwei fehlende Instrumentalsätze aus Haydns Sinfonie E-Dur Hob. I:12 von 1763 eingefügt, doch leider fehlen fast alle die Handlung tragenden Rezitative.
Fehlende Gesamtdramaturgie also, was natürlich der Qualität der Musik keinen Abbruch tut. Können die Gesangssolisten mehr überzeugen? Der in Neuchâtel (Schweiz) gebürtige Tenor Bernard Richter hat den Acide übernommen – ein kraftvoller lyrischer Tenor, dessen Koloraturfähigkeiten hinter jenen anderer Fachkollegen zurückstehen, der aber durch die Schönheit seiner Stimme besticht. 2005 hat er bereits in Salzburg debütiert und war in Paris, Wien und Zürich bereits als Ottavio und Tamino zu hören; im Sommer ist er für die Münchner Opernfestspiele gebucht. Ein Tenor, der einer der ganz Großen werden kann. Die Galatea hat Raffaela Milanesi übernommen – eine Sängerin, die dem historisch informierten Repertoire schon fast entwachsen zu sein scheint. Kraftvoll, reich im Klang erinnert sie ein wenig an Anna Moffo in ihrer besten Zeit und zeigt ihre ganzen Fähigkeiten in dem großen Accompagnato-Rezitativ ‘Giusti Dei’, mit dem sie nach der Tötung Acides Rache fordert. Auch die amerikanische Sopranistin Jennifer O’Loughlin überzeugt rundum in der ambivalenten Rolle der Glauce. Die Sängerin, deren Timbre ein wenig an die junge Ileana Cotrubas gemahnt, die aber viel koloratursicher ist als die große lyrische rumänische Sopranistin. Der Kolumbianer Iván Paley singt Polyfemo sowie Neptun. Der Schüler u.a. von Edith Mathis und Hanna Ludwig hat eine klangschöne, kraftvolle Baritonstimme, der es aber für den Polyfemo an Charakterisierungsfähigkeit mangelt. Die Neptun-Arie ‘Tergi i vezzosi rai’ kannte ich bereits mit Dietrich Fischer-Dieskau – Paley braucht sich hinter dessen Interpretation nicht zu verstecken, im Gegenteil ist er nicht nur koloraturstärker, sondern seine kraftvollere Stimme erweckt auch den Neptun stärker zum Leben. Die Armenierin Mezzosopranistin Adrineh Simonian debütierte 2005 an der Wiener Staatsoper; als Tetide demonstriert sie ihre reiche, klangvolle, auch koloraturfähige Stimme, mit guter Tiefe, aber etwas schwacher extremer Höhe, ihrer Rolle ebenso viel Göttlichkeit verleihend wie Paley dem Neptun. Ein insgesamt also sehr erfreulicher vokaler Anteil, dem wie gesagt der instrumentale in nichts nachsteht. Wie von BIS nicht anders zu erwarten, ist die Aufnahmequalität (als CD wie als SACD) exzellent, der Klang kommt unverstellt und brillant daher. Leider ist das Booklet nicht ganz auf einer Höhe mit der Einspielung selbst - die (wie ich vermuten muss, im Libretto erhaltenen) Rezitative wurden nicht abgedruckt und auch der Bookletessay hätte etwas tiefgründiger sein können.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Haydn, Joseph: Acide Hob. XXVIII:1 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
BIS Records 1 03.02.2009 |
Medium:
EAN: |
SACD
7318599918129 |
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BIS Records Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees. Mehr Info... |
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