
Ireland, John - Sämtliche Orgelwerke
Komplett
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Hier haben wir eine repräsentative Einspielung von John Irelands Orgelmusik vorliegen. Diese Einspielung von John Irelands Orgelwerken ist zweifellos sehr gut gelungen.
John Ireland (1879–1962) ist bekannt durch sein Orchesterwerke, seine Kammer- und seine Klaviermusik. Der Professor am Royal College of Music und Lehrer von Benjamin Britten war aber bis 1926 auch Kirchenmusiker – zunächst als Assistent von Walter Alcock an der Holy Trinity Church, Sloane Street, später als Organist an der St. Luke’s Church, Sidney Street. Wie bei so vielen ambitionierten Komponisten seiner Zeit (seine Orchestermusik und seine Klavierwerke werden immer wieder mit dem Schaffen Arnold Bax’ verglichen) blieb die Komposition von Kirchenmusik aber trotz der regelmäßigen Tätigkeit als Organist ein schwach ausgeprägter Bereich.
Stefan Kagl ist ohne Frage ein begabter Organist, doch muss man sich fragen, wieso bei so eindeutig auf englische Orgeln ausgelegten Kompositionen die Orgel des Herforder Münsters herangezogen wurde. Ohne Frage handelt es sich um ein beeindruckendes Instrument, das aber viele der wesentlichen Klangvaleurs der typisch britischen Orgeln entbehrt. Das ist Problem und Chance zugleich.
Schon einmal hatte sich ein (englischer) Organist um eine Gesamteinspielung des Orgelschafffens Irelands bemüht – 1989 Jonathan Bielby an der Orgel der Stadthalle von Rochdale nördlich von Manchester, rund dreißig von Irelands Geburtsort Bowdon entfernt (erschienen bei Priory). Der direkte Vergleich erweist, dass die Neueinspielung rund zwanzig Jahre später zwei Stücke mehr vorweist. Bei dem einen handelt es sich um eine 1904 entstandene 'Marcia Popolare', 1912 zusammen mit zwei Stücken veröffentlicht, die 1944 überarbeitet und mit einem weiteren 1912 veröffentlichten Orgelstück zusammen als 'Miniature Suite' neu herausgebracht wurden. Von wenig eigenem Charakter (oder wenn, dann ähnlich jenem des 'Epic March'), erweist sich das Stück als repräsentative, musikalisch eher retrospektiv ausgerichtete Intrada. Das zweite seit 1989 neue Stück ist eine ebenfalls von 1904 stammende 'Cavatina', ursprünglich für Violine und Klavier verfasst und zeitnah auch in der hier vorliegenden Orgelfassung vorgelegt, wenn auch erst 1912 veröffentlicht. Die Nähe zu Edward Elgars Salonstück 'Salut d’amour' (Liebesgruß) op. 12 (1888, ebenfalls für Violine und Klavier) ist offenkundig, es handelt sich um, wie Max Reger von seiner Romanze G-Dur o. op. sagte, um eine Gelegenheitskomposition schlimmster Sorte; im Trio gewinnt das Stück etwas an Qualität, bleibt aber leichte Unterhaltung – eine Art „weichgespülter“ Widor. Ich kann Bielby gut verstehen, sollte er das Stück absichtlich weggelassen haben.
Die 'Elegiac Romance' des dreiundzwanzigjährigen Komponisten (1958 nochmals überarbeitet) ist das früheste Werk auf dieser CD, Irelands umfangreichste und großartigste Orgelkomposition überhaupt. Kagls Interpretation und die eben nicht ganz englische Orgel kommen dem meditativen Charakter des Werkes ganz besonders entgegen (nur im Fortissimo entwickelt der Klang ein unschönes Pfeifen).
In den Jahren 1904 und 1911/12 entstanden, neben den bereits erwähnten Stücken 'Marcia Popolare' und 'Cavatina', sechs weitere kleinere Orgelstücke. Drei von ihnen wurden, wie oben bereits erwähnt, 1944 zur 'Miniature Suite' versammelt – Intrada, Villanella und Menuetto. Es ist nicht negativ gemeint, wenn der Rezensent hier von eher gefälliger, eklektischer Orgelmusik spricht – Ireland schreibt Musik, die auch in Dorf- und kleinen Stadtkirchen ohne Affront der Gemeinde gespielt werden kann. Dabei hat die Villanella durchaus Eigenart, gerade auch in der Registrierung Stefan Kagls. Im Menuetto gefällt dem Rezensenten – man möge mir verzeihen – jedoch die Registrierung Jonathan Bielbys deutlich besser; Kagl bleibt bei dem überschwänglichen Satz zunächst verhaltener, später aber gerät er gefährlich nahe an Drehorgelmusik.
'Sursum corda', 'Alla Marcia' und 'Capriccio' entstanden 1911. Gänzlich unterschiedlich in Anforderung und Charakter, spiegeln sie deutlich die unterschiedlichen liturgischen Einsatzgebiete von Orgelmusik in der anglikanischen Kirchenmusik. 'Alla Marcia' ist, ähnlich der 'Marcia Popolare', ein repräsentatives Ein- oder Auszugsstück, mehr Klang als Erfindung. Der Titel des meditativen 'Sursum corda' weist auf die Intention zur Begleitung des Abendmahls hin – Ireland greift hier den Stil der 'Elegiac Romance' auf und konzentriert die Stimmung auf knapp fünf Minuten. Die beiden Stücke wurden gemeinsam veröffentlicht und Irelands ehemaligem Orgellehrer Walter Parratt gewidmet (diese Information fehlt im Booklet). 'Capriccio' erweist sich als hochvirtuoses Perpetuum mobile, harmonisch gleichwohl nicht ganz so experimentierfreudig wie von der rein technischen Seite her. Obschon nur wenig kürzer brauchend als Bielby, ist hier Kagls Interpretation deutlich inspirierter und lebendiger als die frühere Einspielung.
Ein unvermeidbarer „Schlager“ in Irelands Schaffen kann auch auf dieser CD nicht fehlen – die Miniatur 'The Holy Boy (A Carol of the Nativity)', 1913 als Klavierstück entstanden und von Ireland rund ein halb Dutzend Male für andere Besetzung eingerichtet – 1919 auch für Orgel. Das meditative Stück ist in fast jedem englischen Weihnachtsgottesdienst zu hören – wer es nicht kennt, der kennt nicht wirklich britische Musik. Merkwürdigerweise verzichtet Kagl im Booklet durchgängig auf den definiten Artikel – sonst habe ich noch nie die Schreibung ‚Holy Boy‘ (ohne The) gesehen, so wie es bis heute The Times, heißt, nicht Times. Zum Schluss nutzt Kagl voller Wonne den Cymbelstern – ein netter, überraschender, vielleicht aber auch etwas äußerlicher Effekt.
Die 'Meditation on John Keble’s Rogationtide Hymn' von 1958 ist Irelands letzte Orgelkomposition – eine Meditation über die Worte “Lord, in thy name thy servants plead, / And thou hast sworn to hear; / Thine is the harvest, thine the seed, / The fresh and fading year.” (Es ist unverständlich, wie diese Worte im Booklet fehlen können.) Mit Referenzen an das Klavierkonzert und die 'Downland Suite' (siehe unten) hält Ireland hier Rückschau über ein reiches musikalisches Leben.
Es wäre cpo nicht möglich gewesen, die CD komplett mit Orgelmusik zu füllen, hätte man nicht auch auf zwei Bearbeitungen von fremder Hand zurückgegriffen: Die 'Elegy' aus 'A Downland Suite' für Blechbläserensemble (1932) transkribierte Alec Rowley (1892–1958) in Absprache und mit Billigung des Komponisten 1940. Das kurze Stück hat in der Orgelfassung in jedem Fall mehr meditativ-religiösen Charakter als die 'Cavatina' und ist offenkundig auch äußerst fachkundig transkribiert worden. – Die andere Transkription konnte nicht mit dem Komponisten abgestimmt werden – Robert Gowers Transkription von Irelands Epic March für großes Orchester von 1941-2 entstand erst 1988. Ähnlich wie die 'Cavatina' haben wir es hier eigentlich mit nichtkirchlicher Musik zu tun – Ireland schrieb das Stück für die BBC und betonte in einer Notiz zu der Komposition den heroisch-nationalistischen „Impact“ (den aber die Transkription anscheinend bewusst zurücknimmt, damit das Werk aber gänzlich umdeutet, gewissermaßen veräußerlicht). Insofern muss die das CD-Programm beschließende Einspielung quasi außer Konkurrenz laufen, wahrscheinlich als Gegenstück zu der das Programm eröffnenden Marcia Popolare.
Der SACD-Sound fängt die große Orgel des Herforder Münsters bestens ein, der Booklettext ist wie bei cpo fast immer vorbildlich und so bleibt als Fazit, dass wir hier eine repräsentative Einspielung von John Irelands Orgelmusik vorliegen haben; und wer keine englischen Orgeln oder die Originalkompositionen der Transkriptionen im Ohr hat, für den wird die CD ein Genuss ohne jeden Abstrich sein.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Ireland, John: Sämtliche Orgelwerke |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 1 20.01.2010 |
Medium:
EAN: |
SACD
761203748129 |
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Ireland, John |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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