
Arturo Toscanini dirigiert - Werke von Beethoven, Weber, Mozart u.a
Historisch wichtig mit vielen Bonustracks
Label/Verlag: Immortal Performances
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Immortal Performances bringt mit dieser Toscanini-Einspielung eine weiteres großartiges Konzertdokument heraus, das von klangrestauratorischen Meisterschaft bestimmt ist.
1933 änderte sich viel im musikalischen Leben Deutschlands – durch die Machtergreifung Hitlers wurden viele jüdische Mitbürger schon bald ausgegrenzt und aus ihren Positionen vertrieben. Kurz nach dem 5. März wurde Rudolf Serkin als unerwünschter Künstler bezeichnet und von Konzerten ausgeladen – er verließ Deutschland und ging zunächst in die Schweiz, wo auch sein Schwiegervater Adolf Busch lebte. Aus Protest gegen die deutsche Politik sagte Toscanini seine Mitwirkung an den Bayreuther Festspielen ab. Busch, Serkin und Toscanini emigrierten mit ihren Familien in die USA. Toscanini war bereits seit einiger Zeit Leiter des New Yorker Philharmonic-Symphony Orchestra, des heutigen New York Philharmonic. Serkins Debüt mit dem Orchester erfolgte am 23. Februar 1936. Über die politischen Implikationen jener Zeit erfährt man nichts in dem umfangreichen und sehr interessanten Booklet, das ausführlich sowohl Toscaninis Arbeit mit dem Orchester (1937 wechselte er zum NBC Symphony Orchestra) als auch die Quellenlage der beiden Konzerte darstellt (etwa problematischen Lücken im Aufnahmematerial, die Richard Caniell lobenswerterweise geschlossen hat).
Das Konzert des 23. Februar ist ohne Frage das gewichtigere der beiden – die erste Hälfte Bestand aus Beethovens Erster Sinfonie und Viertem Klavierkonzert, die zweite aus Mozarts letztem Klavierkonzert und Bachs (?) berühmter Toccata und Fuge d-Moll in der Orchesterfassung Henry Woods. Auf der Doppel-CD steht das Konzert an zweiter Stelle, so dass die zweite CD mit beeindruckendem Effekt schließt. Beethovens Erste Sinfonie bietet Toscanini in lebhaftem, spannungsvollem Dirigat – noch in der Wirkung optimiert dadurch, dass die umfangreiche Lücke im zweiten Satz durch eine andere Einspielung unter Toscanini gefüllt wurde. Auch bei den beiden Klavierkonzerten waren Lücken in der Übertragung zu füllen, in denen Serkin brilliert. Ganz ohne Frage war Rudolf Serkin der ganz Großen einer – seine Interpretationen sind voll Charme und Esprit, Tiefgründigkeit und selbstverständlicher Virtuosität. Serkins und Toscaninis Mozart sprüht vor Wärme und Sonnenschein, vor Raffinesse, Poesie und Noblesse. Die abschließende Bach-Bearbeitung ist ganz anders als jene Leopold Stokowskis (die damals noch nicht existierte), rauer, expressiver – von Toscanini und dem Orchester mit atemberaubender Intensität, spätromantisch-expressionistisch dargeboten. Da ist die neue Studioproduktion unter Barry Wordsworth (Lyrita) in jeder Hinsicht ausgesprochen zahm.
Das eine Woche später am 1. März 1936 mitgeschnittene Konzert ist im Vergleich zu dem anderen Konzert eine ‚mixed bag’, eine gemischte Angelegenheit mit Ausschnitten aus Oper und Konzertsaal. Es wurde eröffnet durch die 'Freischütz'-Ouvertüre – lebhaft-spannungsvoll wie fast immer bei Toscanini –, gefolgt von 'Ritorna vincitor’ aus 'Aida’ mit der Solistin Dusolina Giannini. Die Expressivität Gianninis ist im Vergleich zu jener vieler heutiger Rollenexponentinnen enorm – man wundert sich, was für ‚singende Hausfrauen’ (Edda Moser) sich heute an der Rolle versuchen; Giannini gibt alles und singt, als ginge es um ihr Leben – hierdurch klar machend, dass 'Aida’ jene Oper Verdis war, welcher unmittelbar (wenn auch mit einigen Jahren Abstand) 'Otello’ folgte. Übrigens hat man den starken Eindruck, Toscanini summe gelegentlich mit (eine Eigenheit, die in späten Aufnahmen gelegentlich bei Serkin zu hören ist). Es folgt Camille Saint-Saëns’ 'Danse macabre’ (Solist der Konzertmeister Mishel Piastro) in einer überraschend diesseitig-bedächtigen und sich erst gegen Schluss steigernden Wiedergabe, da sind wir durch Charles Dutoit, Pierre Dervaux oder Louis Frémaux ganz andere, ‚magischere’ Interpretationen gewöhnt. Ein ganz anderes Kaliber ist da Debussys 'Prélude à l’après-midi d’un faune’, voller raffinierter klanglicher Valeurs, die durch die historische Klangkulisse nicht beeinträchtigt, sondern vielmehr verstärkt werden. Wahrscheinlich ist der Debussy das musikalische Zentrum dieses Konzerts, wenn auch hier Toscanini wieder mitsummt. Der dritte Satz ('Serenade’) von Karl Goldmarks 'Ländlicher Hochzeit’-Sinfonie fällt dagegen insbesondere musikalisch, nicht interpretatorisch ab – es ist doch interessant zu sehen, was für ein ‚Durcheinander’ früher in Konzertprogrammen möglich war! (Gerade deshalb hätten meiner Meinung nach die beiden in der Pause dargebotenen Klavierlieder mit aufgenommen werden sollen – sie hätten mehr Informationswert gehabt als die den musikalischen Fluss unterbrechenden Rundfunkkommentare.) Das Konzert endete mit dem Vorspiel zum III. Akt 'Lohengrin’ in einer Interpretation, die mich in ihrer brillanten Lebhaftigkeit an Jevgenij Mravinskij erinnerte.
Die Direktheit des Klanges, das umfassende Klangspektrum und die lebendige Atmosphäre erweisen einmal mehr, dass Richard Caniell ein Meister seines Faches ist – seine Audiorestaurierung ist exemplarisch, auch wenn man sich an die Störgeräusche erst gewöhnen muss, die aber nicht hätten ohne Stimmungsverlust weggefiltert werden können. Wie gesagt, hänge ich nicht der Richtung an, dass man die originalen Rundfunkkommentare benötigt (bedingt durch negative Erfahrungen, die ich in der Gegenwart bei Konzerten gemacht habe). Doch ist dies Geschmackssache und eines ist klar – dass wir es zumindest bei dem einen Konzert mit einem historisch bedeutsamen Ereignis zu tun haben. Das andere Konzert – nun, es ist historisch ohne Frage interessant, aber vielleicht nicht unbedingt historisch wertvoll – sozusagen der Bonustrack zu dem anderen Konzert. Und dafür lohnen sich beide CDs allemal.
Update (5. Dezember 2014): Seit Veröffentlichung hat Richard Caniell sich nochmals der Rundfunkbänder angenommen, und mittlerweile kann er nahezu störungsfreie Wiedergaben bieten. Damit fällt selbst dieser Wermutstropfen dieser wichtigen Produktion weg.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Arturo Toscanini dirigiert: Werke von Beethoven, Weber, Mozart u.a |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Immortal Performances 1 |
Medium:
EAN: |
CD
625989626623 |
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Immortal Performances Immortal Performances returns with new CD releases, this time on its own label. This Canadian-based, federally chartered, non-profit archive has gathered a huge number of historic broadcasts gathered over a 50-year period. Their first 48 albums were released by Naxos, followed with 53 albums by Guild Music. Both companies originally formed their Historical label series in order to release Immortal Performances? restorations. Immortal Performances has spent the past three years searching for the original and finest sources of many historic broadcasts. It has now assembled 48 CD albums of exceptional importance that it proposes to release, the first 8 sets of which are available now. These albums offer the finest sound in the historic-era genre and include extensive notes about the singers, the performance and composer, with biographies and rare production photos. Immortal Performances will continue releasing complete Toscanini broadcasts (1935-1954), exciting recordings from the Metropolitan Opera and European Opera Houses, the Russian Legacy as well as operatic broadcasts in association with Busch Brüder Archiv in Germany and the National Library of Canada. Richard Caniell, its archivist and chief guiding light says, ?I hope our forthcoming releases will corroborate our logos, The Ultimate in Historic Broadcast Recordings.? Mehr Info... |
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