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Donnerstag, 21. September 2023

Wagner, Richard - Die Walküre

Wagner-Klassiker


Label/Verlag: Testament Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Testament veröffentlicht eine Bayreuther 'Walküre' aus dem Jahr 1955, die nicht nur vokal exzellent besetzt ist, sondern bei Keilberth auch unter versierter Leitung steht.

Laut Karsten Steigers ‚Opern – Ein Verzeichnis aller Aufnahmen’ war die hier vorliegende Produktion schon einmal vor Jahren lieferbar. Damals nur in minderer Tonqualität, doch in der Substanz durchaus erkennbar. Eine 'Walküre’ – ein Live-Mitschnitt, der seinerzeit, anders als jene, die in den 1960er-Jahren entstanden und bei Philips und Deutsche Grammophon erschienen, nicht auf den Markt gebracht wurde. Mittlerweile ist hinreichend bekannt, dass Decca testweise gleich beide Bayreuther Ring-Zyklen des Jahres 1955 mitschnitt, und in Stereo mitschnitt (eine Aufnahmequalität, die noch zehn Jahre später beim Österreichischen Rundfunk nicht die Regel war). Sternstunden des Musiktheaters wurden mitgeschnitten, dann aber nicht auf den Markt gebracht, auch um die Wiener Prestige-Studioproduktion der Decca unter Georg Solti nicht zu beeinträchtigen.

Die zweite 1955er-Serie in Bayreuth bot eine bis auf zwei Hauptrollen im Vergleich zur ersten Serie identische Besetzung auf – ein Besetzung, die bis in die Walküren hinein durchaus von hohem Niveau zeugte, unter anderem mit Jean Watson, Elisabeth Schärtel, Maria von Ilosvay und Georgine von Milinkovic, die gleichzeitig die Fricka sang – dramaturgisch eine ausgesprochen interessante Lösung. Jean Watson sang 1957 auch eine Walküre unter Rudolf Kempe am Royal Opera House in London, an der auch die hier präsenten Sänger von Wotan, Siegmund und Fricka mitwirkten (ebenfalls bei Testament erschienen). Wir haben also ein luxuriöses Damenensemble, deren Stimmschönheit, Wortverständlichkeit und musikdramatische Überzeugungskraft weit über vielem steht, was man sich in neuesten Mitschnitten anhören muss.

Auch als Fricka ist Georgine von Milinkovic, eine seinerzeit berühmte Mezzosopranistin, durchaus überzeugend – wenn auch nicht ganz so klangschön wie etwa Christa Ludwig (unter Solti) – eher vergleichbar Ruth Hesse in der klangtechnisch problematischen, aber musikalisch untadeligen Einspielung unter Hans Swarowsky. Frischer noch bei Stimme als unter Solti ist Hans Hotter als Wotan, wenngleich auch bereits 1955 manchmal mit etwas verschattetem Timbre. Ich muss gestehen, dass ich andere Sänger in Wotans Abschied überzeugender gehört habe als Hotter, der aber für andere stets der Wotan bleiben wird – wahrscheinlich auch weil er so ein herausragender Singdarsteller war. Mir erschließt sich vielleicht das göttliche Potenzial von Hotters Wotan-Darstellung, aber seine erotische Anziehungskraft, die angesichts der Vorgeschichte bestehen muss, fehlt mir in Hotters Stimme völlig.

Ähnlich problematisch in der Reduktion auf die ‚Klangbühne’ erscheint mir der Josef Greindls Hunding. Den Ungeschlachten nimmt man ihm ohne Frage ab – er sang den Hunding in Bayreuth bis wenigstens 1958. 'Ich weiß ein wildes Geschlecht’ hat etwas Archaisches, Rohes, das Sieglindes Abkehr von ihrem Mann nur umso plausibler macht, zumal seine Drohung (wie sich herausstellt) ihrem Bruder gegenüber nicht zu unterschätzen ist. Doch kann man sich kaum denken, dass Sieglinde ihrem Mann ungefragt folgen würde. Astrid Varnay hat schon früh die Sieglinde gesungen – 1941 übernahm sie die Rolle von Lotte Lehmann an der Metropolitan Opera. Wo Lehmann das durch und durch weibliche Wesen war, spürt man in Varnay jederzeit Wotans Blut – eine kraftvolle Frau, die ihren Weg geht. Wenn sie singt 'Du bist der Lenz’, dann besteht keine Frage, was sie umtreibt – eine starke, sehr starke Begierde. Der Schwächeanfall im II. Akt ist ihr fast nicht abzunehmen – es war nur logisch, dass sie zur Brünnhilde wechselte. Immer wieder klingt ihre Stimme etwas verquollen – eine Klangfarbe, die sie ein paar Jahre später als Ortrud und noch ein paar Jahre später als Klytämnestra unnachahmlich und Angst einflößend einzusetzen wusste.

Eine Wesensverwandtschaft verbindet nicht nur Siegmund und Sieglinde, sondern auch Astrid Varnay und Ramón Vinay. Vinays Kraft ähnelt jener Jon Vickers’, doch ist auch sie ursprünglicher; sein baritonales Fundament, das ihm später ermöglichen sollte, den Telramund zu singen, vermittelt umso stärker seine Verwandtschaft zu Wotan, auch wenn ihm strahlende Spitzentöne fehlen – umso überzeugender aber gelingt das Ende des II. Akts. Vinays Deutsch ist nicht ganz so idiomatisch wie das der anderen Sänger, aber doch deutlich idiomatischer als Plácido Domingos.

Zuletzt Martha Mödl als Brünnhilde – ein Naturereignis! Die Todverkündung ihrem Halbbruder gegenüber vereint Klangschönheit, Eloquenz und Wehmut, ihr Walkürenruf ist Lebensfreude pur. Man hängt buchstäblich an den Lippen der großen Singdarstellerin, auf dem Höhepunkt ihrer vokalen Möglichkeiten und womöglich das Zentrum dieser gesamten Produktion.

Joseph Keilberth war ein überaus fleißiger, auch ein sehr erfolgreicher Dirigent, viel gefragt und hoch geschätzt. Große Sorgfalt bei der musikalischen Einstudierung bedeutete bei ihm gleichwohl nicht unbedingt Schönklang – auch nicht im Orchester. Hier klingt es immer wieder grob, schroff, die Streicher nicht poliert samtig – passend zum Gesamtkonzept hat sein Zugriff etwas Erdiges, Unmittelbares, ist damit auch unmittelbar packend. Man mag heute des Klangerlebnisses wegen verwöhnt sein mit auf Hochglanz polierten Orchestern, doch sein dramatisches Gespür, sein lebendiger Puls kommt in diesem Mitschnitt bestens zur Geltung und lässt manchen Dirigenten der Gegenwart sehr, sehr alt aussehen.

Live-Mitschnitt? Warum, mit Verlaub, klangen Live-Mitschnitte aus Bayreuth zehn Jahre später klanglich schlechter als hier? Die Stimmen ebenso wie das Orchester erklingen direkt, bestens aufeinander abgestimmt und gestaffelt, so wie es andere Tontechniker erst in den 1970er-Jahren, manche erst Mitte der 1980er-Jahre lernten. Exemplarisch, und ebenso exemplarisch ist die Digitalisierung gelungen.

Das Booklet ist überschaubar im Umfang, zwar erfährt man allerhand über die Aufführung, aber das Libretto muss man sich erst einmal als pdf downloaden – also nicht unbedingt das Gemütlichste für einen gemütlichen Operngenuss auf dem Sofa.

Schließlich noch ein paar Worte zu den Bonus-Tracks, der Ouvertüre sowie zwei Auszügen aus 'Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg’. Wo Keilberths kraftvoll-dramatisch-erdverbundenes Dirigat in der 'Walküre’ überzeugt, enttäuscht mich sein Zugriff zu den lyrischeren Passagen des 'Tannhäuser’– wenn er kraftvoll-energisch zupacken kann (Venusberg-Musik), überzeugt er abermals. Vielleicht sind es hier aber auch die Nebengeräusche, die stärker zu sein scheinen als in der 'Walküre’. Rhythmische Wackler finden sich zuhauf, die Hörner klingen fast brutal (eine Tendenz, die bei Keilberth häufig anzutreffen ist), die Solovioline ist unangemessen stark hervorgehoben, besonders im Vergleich zur Soloklarinette. Möglicherweise ist auch die Zusammenstellung der Tracks das Problem – der Dresdner Fassung der Ouvertüre folgt die Pariser Fassung des Bacchanals – dies zieht gerade auf CD die Handlung unangemessen in die Länge – auf der Bühne mag die umfangreiche Ballettmusik äußerst erfolgreich gewirkt haben. Getröstet wird man jedoch zum Schluss durch Dietrich Fischer-Dieskaus Lied an den Abendstern und der Rückkehr Tannhäusers aus Rom (leider ohne Rom-Erzählung) mit einem wunderbar intensiv (wenn auch nicht unbedingt tonschön) singenden Wolfgang Windgassen. Fischer-Dieskau ist live nicht ganz so tonhöhensicher, aber ausdrucksstärker als in der von Franz Konwitschny dirigierten Studioproduktion aus Berlin von 1960.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Wagner, Richard: Die Walküre

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Testament Records
4
01.09.2009
Medium:
EAN:

CD
749677143220


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Testament Records

Testament is an artist-based label, not restricted to any particular period of recording history, and its releases are selected from the archives of some of the largest record companies and radio stations in the world. With the permission and cooperation of these companies and stations.

Testament releases previously unpublished and deleted recordings from their archives, using their original master tapes and 78rpm metal parts for CD remastering. Testament also has access to their extensive photographic archives and comprehensive research facilities. Testament is thus in a unique position and one that is enjoyed by no other independent record company specialising in the reissue of archive recordings.

Testament LP's are cut onto lacquer from the original master tapes at Abbey Road Studios using full analogue techniques throughout production an pressed onto 180g virgin vinyl.


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