
Titz, Anton Ferdinand - Streichquartette für den St. Petersburger Hof Vol. 2
Bisher unbekannte Lücke geschlossen
Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Keiner kennt Anton Ferdinand Titz und seine Kammermusik! Das sollte sich spätestens mit dem zweiten Teil der Gesamteinspielung seiner Streichquartette durch das Hoffmeister Quartett ändern. Sie ist ein Hörerlebnis der besonderen Art.
Kennen Sie Anton Ferdinand Titz (1742-1810)? Wenn ja, dann sind Sie wahrscheinlich stolzer Besitzer des Volume 1 aus der Serie ‚String Quartets for the Imperial Court of St. Petersburg’ oder haben eines der Konzerte des Hoffmeister Quartetts besucht. Wenn nicht, sind Sie in guter Gesellschaft, denn sein Name fehlt in den meisten Musiklexika, und über sein Leben ist bisher auch nur sehr wenig bekannt geworden. Anscheinend gibt es nur eine Quelle, aus der wir erfahren können, dass er wahrscheinlich 1742 unter dem Namen Dietzsch in Nürnberg zur Welt kam und sich zum Geiger ausbilden ließ. Mit ungefähr 20 Jahren verschlug es ihn nach Wien, wo ihm Christoph Willibald Gluck zu einer Anstellung im Opernorchester verhalf. Über den Fürsten Lobkowitz lernte er hohe russische Beamte kennen, die ihn 1771 zur Übersiedelung nach St. Petersburg bewegten, wo er unter anderem zum Kammermusiker Katharinas der Großen ernannt wurde und den Musikunterricht des späteren Zaren Alexander I. übernahm. Mit seinem Kammermusikensemble machte er die St. Petersburger nicht nur mit den Kompositionen der Wiener Meister bekannt, sondern führte er auch seine eigenen Streichquartette, -quintette, Sonaten und Duos auf. 1810 starb er in St. Petersburg.
Das Hoffmeister Quartett hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese unbekannten Schätze der Kammermusik zu heben und bekannt zu machen. Von Anton Ferdinand Titz erschienen insgesamt drei Serien von Streichquartetten im Druck. Die erste erschien 1781 unter anderem bei Artaria in Wien, im gleichen Jahr übrigens wie Haydns epochale Quartette op.33. Ob Titz diese gekannt hat, bleibt Spekulation. Seine frühen Quartette – möglicherweise die frühesten in Russland komponierten Streichquartette – orientieren sich allerdings stilistisch stark an Haydn. Das Trio des sechsten Quartetts aus der ersten Serie mit seinem Duo der beiden Violinen erinnert sogar an Haydns ‚Vogel-Quartett’ op.33/3.
Wie bei Haydn sind auch bei Titz alle Instrumente nahezu gleichberechtigt am musikalischen Geschehen beteiligt, wobei Titz ihnen mehr instrumentale Soli zugesteht als der Wiener Meister. Dies wird vor allem ab der zweiten Serie von drei Quartetten aus dem Jahr 1802 deutlich, deren zweites auf dieser CD zu finden ist. Im ersten Satz mit einer relativ freien Variationsform finden sich extrem virtuose Passagen, jeweils sehr charakteristisch auf das jeweilige Instrument zugeschnitten, für alle vier Musiker, sogar für die zweite Geige. Dabei zeugt die geforderte Virtuosität dieser Abschnitte vom hohen Niveau der Musiker, die Titz am Hof in St. Petersburg zur Verfügung gestanden haben müssen, bzw. von seinem eigenen geigerischen Können. Uneinheitlich ist die Anzahl der Sätze in Titz’ Quartetten. Während das späte Quartett aus der Serie von 1808 und schon erwähnte sechste Streichquartett aus der Serie von 1781 vier Sätze aufweisen, sind es beim dritten aus der gleichen Serie nur zwei und bei dem aus der mittleren Serie drei. Auch wenn er sich generell formal an den klassischen Mustern orientiert, findet er doch zum Teil sehr individuelle Lösungen. Er schafft unerwartete Übergänge zwischen den Sätzen (Quartett 1802/2) und integriert russische Volksmusik und –lieder, so z.B. ein nur dreitaktiges Thema im Minuetto des Quartetts aus der dritten Serie von 1808, oder zahlreiche Bordun-Abschnitte. Titz’ große Fantasie und zahllose musikalische Einfälle verleihen den Werken eine Vielfalt, die bei Zeitgenossen selten in dieser Qualität anzutreffen ist.
Diese Vielfalt paart sich bei dieser Aufnahme mit dem abwechslungsreichen Spiel des Hoffmeister Quartetts. Die vier Musiker, alle Experten im Bereich der historischen Aufführungspraxis, meistern die zum Teil hoch virtuosen Parts mit einer Leichtigkeit, die das Anhören dieser CD zu einem wahren Genuss werden lässt. Die Tempi erscheinen jederzeit natürlich und passend, die Intonation ist nahezu makellos und der Wechsel an der Position der Primgeige zwischen Ulla Bundies und Christoph Heidemann kommt vor allem den virtuosen Passagen in der zweiten Geige zugute, bei denen kein instrumentaler Qualitätsunterschied zu hören ist. Wenn man bedenkt, dass ein so berühmter Zeitgenosse wie Louis Spohr über Titz urteilte ‚ist er doch unbezweifelt ein musikalisches Genie, wie seine Kompositionen hinlänglich beweisen’, so erscheint es unerklärlich, warum er heute so unbekannt ist. Diese CD schließt somit eine bisher unbekannte Lücke in der so vielfältigen Geschichte des Streichquartetts und sollte in keiner Kammermusik-Sammlung fehlen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Titz, Anton Ferdinand: Streichquartette für den St. Petersburger Hof Vol. 2 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Profil - Edition Günter Hänssler 1 19.06.2009 |
Medium:
EAN: |
CD
881488904659 |
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