
Verdi, Giuseppe - Masked Ball
Ein Fall für den Musiksoziologen
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
England – das ‚Land ohne Musik’. Stand hinter diesem fatalen Schlagwort einst ein klares Ausrufezeichen, haben Englands Komponisten seit etlichen Generationen aus dem Ausrufezeichen zunächst ein Fragezeichen gemacht und letztlich den Fluch dieses unglaublich dummen Orakelspruchs genommen. Die musikalische Identitätssuche, so glaubte man zumindest lange Zeit, hatte mit Elgar, Vaughan Williams und Britten ein positives Ende gefunden. Seit einiger Zeit scheint aber die musikalische Selbstdefinition eigentümliche Früchte zu tragen. Mit finanzieller Spritze der ‚Peter Moores Foundation’ setzt Chandos kontinuierlich die Reihe ‚Opera in English’ fort. Ist der Stolz auf die eigenen musikalischen Leistungen des Inselreichs schon wieder so tief gesunken, dass man es nötig hat, die einst kostspielig in die englischen Opernhäuser importierten ausländischen Opern, insbesondere die italienischen, erneut ins Repertoire aufzunehmen –jetzt aber in landessprachlicher Übersetzung? Offenbar ja, denn diese Produktionen haben die Zahl 40 bereits überschritten. Donizetti, Puccini, Rossini, Verdi, Mozart, ja sogar Berg, Wagner, Janacek und Tschaikowsky – ihre Opern feiern fröhliche Urständ in englischer Sprache. Verdis ‚Maskenball’ ist eines der jüngsten Beispiele.
Die große Frage: warum?
Sir Arthur Verdi
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war ein geniales Komponisten-Librettisten-Gespann mit seinen ‚Operettas’ in London sehr erfolgreich: Gilbert und Sullivan. Sie boten mit ihren Musiktheaterwerken Unterhaltung mit Witz und Ironie und Zeitkritik – in englischer Sprache natürlich und alles war genuin englisch, abgesehen von der Musik, die Arthur Sullivan teils bewusst, teils unbewusst aus der Schule Mendelssohns übernommen hatte. Ein Quäntchen Wagner (pfui!) wurde beigemischt und viel, viel Verdi, und sei es auch wirklich nur aus parodistischer Laune heraus. Und nun werden eben genau Verdis Opern ins Englische übersetzt und mit dem Ernst der Perfektion aufgeführt und für die Platte aufgenommen. Kann man aber beim Hören noch ernst bleiben? Wenn man Sullivans englische Verdi-Parodien im Sinn hat, dann sicherlich nicht. Man möge den Rezensenten nicht falsch verstehen: die vorliegende Aufnahme ist mit enormer Solidität gearbeitet. Produziert und tontechnisch aufbereitet von den Brüdern Brian und Ralph Couzens, ist diese Einspielung allein schon dadurch geadelt. Immerhin greift die englische Übersetzung von Amanda Holden das ursprüngliche Libretto der Oper auf. Bekanntermaßen mussten Verdi und Textdichter Somma aufgrund der politisch unruhigen Zeiten in Italien das Libretto ändern, das zunächst den Mord an König Gustav III zum Thema hatte. Letztlich wurde die Handlung nach Amerika verlegt und der Mord an einem weniger Hochwohlgeborenen verübt. Hier also beinhaltet ‚A Masked Ball’ die ursprüngliche Textidee. Damit ist aber auch schon das Interessanteste über diese englische Produktion gesagt. Die Sängerschar, allen voran Dennis O’Neill als Gustav und Susan Patterson als Amelia, bietet solide Gesangskunst, ist mit den Koloraturen aber zeitweise überfordert und vor allem in den hohen Registern wird der Ton recht kehlig, eng und dünn. Gut getrimmt zeigt sich der Geoffrey Mitchell Choir als klangstarkes Ensemble. David Parry führt das London Philharmonic Orchestra nicht ohne Sinn für den dramatischen Bogen durch die Partitur, routiniert und gleichfalls solide.
Die Prominenz in der Tontechnik verspricht ein opulentes Klangbild und ein bestens ausgelotetes Raumspektrum. Das englische Libretto ist in keiner weiteren Sprache abgedruckt. Besten Dank.
Ein eigenartiges Phänomen, diese ‚Opera in English’-Reihe, und musiksoziologisch noch kaum einzuordnen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Bisherige Kommentare zu diesem Artikel
Dienst am Publikum
Die Produktionen der Chandos-Reihe waren immer für den (großen) englischsprachigen Markt gedacht - so wie Oper auf Deutsch bis in die späten 1970er-Jahre auch hierzulande. Dass es mit der English National Opera immer noch ein Haus in Großbritannien gibt, in dem man getrost in der Muttersprache singen (und hören) kann, ist möglicherweise nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass viele Briten (auch sehr kultivierte Briten, bis hin zu Professoren der Musikwissenschaft) kaum hinreichend Fremdsprachen beherrschen.bedford, 03.06.2023, 20:35 Uhr
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Verdi, Giuseppe: Masked Ball |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 2 18.10.2004 |
Medium:
EAN: |
CD
0095115311622 |
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Verdi, Giuseppe |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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