> > > Verdi, Giuseppe: Masked Ball
Samstag, 30. September 2023

Verdi, Giuseppe - Masked Ball

Ein Fall für den Musiksoziologen


Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel


England – das ‚Land ohne Musik’. Stand hinter diesem fatalen Schlagwort einst ein klares Ausrufezeichen, haben Englands Komponisten seit etlichen Generationen aus dem Ausrufezeichen zunächst ein Fragezeichen gemacht und letztlich den Fluch dieses unglaublich dummen Orakelspruchs genommen. Die musikalische Identitätssuche, so glaubte man zumindest lange Zeit, hatte mit Elgar, Vaughan Williams und Britten ein positives Ende gefunden. Seit einiger Zeit scheint aber die musikalische Selbstdefinition eigentümliche Früchte zu tragen. Mit finanzieller Spritze der ‚Peter Moores Foundation’ setzt Chandos kontinuierlich die Reihe ‚Opera in English’ fort. Ist der Stolz auf die eigenen musikalischen Leistungen des Inselreichs schon wieder so tief gesunken, dass man es nötig hat, die einst kostspielig in die englischen Opernhäuser importierten ausländischen Opern, insbesondere die italienischen, erneut ins Repertoire aufzunehmen –jetzt aber in landessprachlicher Übersetzung? Offenbar ja, denn diese Produktionen haben die Zahl 40 bereits überschritten. Donizetti, Puccini, Rossini, Verdi, Mozart, ja sogar Berg, Wagner, Janacek und Tschaikowsky – ihre Opern feiern fröhliche Urständ in englischer Sprache. Verdis ‚Maskenball’ ist eines der jüngsten Beispiele.

Die große Frage: warum?

Ja, warum eigentlich wird so viel Mühe, Aufwand und Geld investiert in solcherlei Projekte? Der Rezensent urteilt hier natürlich völlig subjektiv und weil er das tut, fragt er auch ständig nach dem Sinn, genial gearbeitete Opern, die genuin auch nur in der Originalsprache wirken und ‚funktionieren’, zu übersetzen. Jede Übersetzung stellt immer nur eine flaue Kompromisslösung dar. Und wozu Kompromisslösungen heute, wo die Opernhäuser den Besuchern Untertitel liefern können? Ein aktuelles Beispiel führt in den Kinosaal: man sehe sich ‚The Phantom of the Opera’ an und schaue sich danach ‚Das Phantom der Oper’ an. Man meint, zwei Filme gesehen zu haben, weil der deutsche Text der Synchronisation schlicht lächerlich kitschig ist. Es sind mehrere Aspekte anzuführen, die eine Übersetzung problematisch machen: nie kann das Original adäquat umgesetzt werden, was eine Abflachung der Qualität zur Folge hat und somit das gesamte Werk unter Qualitätseinbußen leiden muss. Extrem immanent wird dies deutlich bei den Opern Verdis, wenn sie in eine andere Sprache übertragen werden. Das italienische Versmaß spielt in der Musik Verdis eine äußerst wichtige Rolle und macht sie zu dem, was sie ist. Und sie ist nicht das, was sie ist, wenn man sie ins Englische überträgt.

Sir Arthur Verdi

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war ein geniales Komponisten-Librettisten-Gespann mit seinen ‚Operettas’ in London sehr erfolgreich: Gilbert und Sullivan. Sie boten mit ihren Musiktheaterwerken Unterhaltung mit Witz und Ironie und Zeitkritik – in englischer Sprache natürlich und alles war genuin englisch, abgesehen von der Musik, die Arthur Sullivan teils bewusst, teils unbewusst aus der Schule Mendelssohns übernommen hatte. Ein Quäntchen Wagner (pfui!) wurde beigemischt und viel, viel Verdi, und sei es auch wirklich nur aus parodistischer Laune heraus. Und nun werden eben genau Verdis Opern ins Englische übersetzt und mit dem Ernst der Perfektion aufgeführt und für die Platte aufgenommen. Kann man aber beim Hören noch ernst bleiben? Wenn man Sullivans englische Verdi-Parodien im Sinn hat, dann sicherlich nicht. Man möge den Rezensenten nicht falsch verstehen: die vorliegende Aufnahme ist mit enormer Solidität gearbeitet. Produziert und tontechnisch aufbereitet von den Brüdern Brian und Ralph Couzens, ist diese Einspielung allein schon dadurch geadelt. Immerhin greift die englische Übersetzung von Amanda Holden das ursprüngliche Libretto der Oper auf. Bekanntermaßen mussten Verdi und Textdichter Somma aufgrund der politisch unruhigen Zeiten in Italien das Libretto ändern, das zunächst den Mord an König Gustav III zum Thema hatte. Letztlich wurde die Handlung nach Amerika verlegt und der Mord an einem weniger Hochwohlgeborenen verübt. Hier also beinhaltet ‚A Masked Ball’ die ursprüngliche Textidee. Damit ist aber auch schon das Interessanteste über diese englische Produktion gesagt. Die Sängerschar, allen voran Dennis O’Neill als Gustav und Susan Patterson als Amelia, bietet solide Gesangskunst, ist mit den Koloraturen aber zeitweise überfordert und vor allem in den hohen Registern wird der Ton recht kehlig, eng und dünn. Gut getrimmt zeigt sich der Geoffrey Mitchell Choir als klangstarkes Ensemble. David Parry führt das London Philharmonic Orchestra nicht ohne Sinn für den dramatischen Bogen durch die Partitur, routiniert und gleichfalls solide.
Die Prominenz in der Tontechnik verspricht ein opulentes Klangbild und ein bestens ausgelotetes Raumspektrum. Das englische Libretto ist in keiner weiteren Sprache abgedruckt. Besten Dank. Ein eigenartiges Phänomen, diese ‚Opera in English’-Reihe, und musiksoziologisch noch kaum einzuordnen.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:




Erik Daumann Kritik von Erik Daumann,


Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!

Bisherige Kommentare zu diesem Artikel

  1. Dienst am Publikum
    Die Produktionen der Chandos-Reihe waren immer für den (großen) englischsprachigen Markt gedacht - so wie Oper auf Deutsch bis in die späten 1970er-Jahre auch hierzulande. Dass es mit der English National Opera immer noch ein Haus in Großbritannien gibt, in dem man getrost in der Muttersprache singen (und hören) kann, ist möglicherweise nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass viele Briten (auch sehr kultivierte Briten, bis hin zu Professoren der Musikwissenschaft) kaum hinreichend Fremdsprachen beherrschen.

    bedford, 03.06.2023, 20:35 Uhr
    Registriert seit: 24.11.2008

Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel

Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.



Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



Cover vergrößern

    Verdi, Giuseppe: Masked Ball

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Chandos
2
18.10.2004
Medium:
EAN:

CD
0095115311622


Cover vergössern

Verdi, Giuseppe


Cover vergössern

Dirigent(en):Parry, David
Orchester/Ensemble:London Philharmonic Orchestra
Interpret(en):Wood, Roland
Sherratt, Brindley
Purves, Christopher
Richardson, Linda
Grove, Jill
Patterson, Susan
Micheals-Moore, Anthony
O'Neill, Dennis
Catling, Ashley


Cover vergössern

Chandos

Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
The company has championed rare and neglected repertoire, filling in many gaps in the record catalogues. Initially focussing on British composers (Alwyn, Bax, Bliss, Dyso, Moeran, Rubbra, Walton etc), it subsequently embraced a much wider field. Chandos' diverse catalogue contains over 2000 titles, from early music to contemporary, with composers from around the world. The company's aim is to present an exciting and varied selection of superbly recorded music to as many people as possible.
The following artists are strongly associated with, or exclusive to, the label: Richard Hickox, Matthias Bamert, I Fagiolini, Neeme Järvi, Louis Lortie, Jean-Efflam Bavouzet, Rumon Gamba, James Ehnes, Sir Charles Mackerras, David Parry, Valeri Polyansky, The Purcell Quartet, Gennady Rozhdestvensky, Howard Shelley, Simon Standage, Yan Pascal Tortelier, Vernon Handley, the BBC Philharmonic, BBC National Orchestra of Wales, the City of London Sinfonia and Collegium Muscium 90.
Chandos is universally acclaimed for the excellence of its sound quality and has always been at the forefront of technical innovation. In 1978, Chandos was one of the first to record in 16bit/44.1kHz PCM digital, as well as being one of the first to edit a digital recording completely in the digital domain (Holst: the Planet ? SNO/Gibson). In 1983, Chandos was one of the first to produce and release Compact Discs into the marketplace ? a revolution in the recorded music industry.
Today, Chandos has kept up with technology by recording mostly in 24bit/96kHz PCM but now also in DSD for producing ?surround sound? SACDs. Chandos releases at least five new recordings a month, together with imaginative re-issues of back-catlogue material.
The company has received countless awards, including several Gramophone Awards, notably the 2001 ?Record of the Year? for Richard Hickox?s recording of the original version of Vaughan Williams? A London Symphony; ?Best Choral Recording of 2003? for its recording of an undiscovered mass by Hummel and the ?Best Orchestral Recording? of 2004 for its set of Bax Symphonies. Other highlights include the American Grammy for Britten?s opera Peter Grimes, and most recently (2008), two further Grammy Awards, one for Hansel and Gretel and the other for Grechaninov?s Passion Week. Jean-Efflam Bavouzet?s debut on Chandos was also awarded Record of the Year by Monde de la Musique this year.
Chandos remains an independent, family run company which produces and markets its recordings from its office in Colchester, England, and is distributed worldwide.


Mehr Info...


Cover vergössern
Jetzt kaufen bei...

Titel bei JPC kaufen


Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Chandos:

blättern

Alle Kritiken von Chandos...

Weitere CD-Besprechungen von Erik Daumann:

  • Zur Kritik... Packende Symphonik: Sakari Oramo legt, trotz diskographisch enormer Konkurrenz, mit Elgars Erster Symphonie eine Referenzaufnahme vor. Weiter...
    (Erik Daumann, )
  • Zur Kritik... Fern der tödlichen Realität: Flautando Köln lässt die Tudor-Rose erblühen – nicht in der Farbe des Blutes, sondern im Zeichen eines differenzierten Blicks auf eine musikalisch reiche Epoche. Weiter...
    (Erik Daumann, )
  • Zur Kritik... Rustikale Schönheiten: Die tschechische Aufnahme des 'Spalicek' von Martinu überzeugt durch farbig-markante Spielfreude aller Beteiligten. Weiter...
    (Erik Daumann, )
blättern

Alle Kritiken von Erik Daumann...

Weitere Kritiken interessanter Labels:

  • Zur Kritik... Kollaboratives Komponieren: Das Label Kairos präsentiert facettenreiche Ensemblemusik des schwedischen Komponisten Jesper Nordin. Weiter...
    (Dr. Kai Marius Schabram, )
  • Zur Kritik... Klangprächtig: Ein äußerst ansprechendes Plädoyer für die Musik Friedrich Gernsheims. Weiter...
    (Dr. Jürgen Schaarwächter, )
  • Zur Kritik... Hoher Abstraktionsgrad: Marco Fusi beeindruckt mit Violin-'Werken' Giacinto Scelsis. Weiter...
    (Dr. Kai Marius Schabram, )
blättern

Alle CD-Kritiken...

Magazine zum Downloaden

NOTE 1 - Mitteilungen (3/2023) herunterladen (4400 KByte)

Anzeige

Jetzt im klassik.com Radio

Henri Bertini: Nonetto op.107 in D major - Final - Allegro

CD kaufen


Empfehlungen der Redaktion

Die Empfehlungen der klassik.com Redaktion...

Diese Einspielungen sollten in keiner Plattensammlung fehlen

weiter...


Portrait

Roger Morelló über seine neue CD, die dem katalanischen Cellisten Pau Casals gewidmet ist.

"Casals kämpfte für den Frieden."
Roger Morelló über seine neue CD, die dem katalanischen Cellisten Pau Casals gewidmet ist.

weiter...
Alle Interviews...


Sponsored Links

Hinweis:

Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Die Bewertung der klassik.com-Autoren:

Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich