
Kuhnau: Complete Sacred Works Vol. 7 - Opella Musica, Camerata Lipsiensis, Gregor Meyer
Halbfinale
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ein Projekt auf der Zielgeraden: Gregor Meyer steuert mit dem siebten Teil des geistlichen Gesamtwerks von Johann Kuhnau auf das Finale zu.
Fünf Kantaten der sogenannten ‚Sattelzeit‘ sind auf dieser aktuellen cpo-Platte zu hören, also solche Werke, die auf dem schmalen Grat zwischen dem Geistlichen Konzert älterer Prägung auf der einen und der ausdifferenzierten Kantate barocken Zuschnitts auf der anderen Seite siedeln, die vom Nebeneinander von Rezitativ, Arie, Chor und Choral geprägt ist. Hier sind es zum siebten und damit vorletzten Mal Werke des Bach-Vorgängers Johann Kuhnau, die in der Reihe der Gesamteinspielung des geistlichen Werks dieses bemerkenswerten Komponisten vorgestellt werden. Musikalische Träger der Reihe sind Gregor Meyer sowie seine beiden Ensembles Opella Nova und camerata lipsiensis. Im Zusammenwirken mit dem Label cpo und dem Verlag Breitkopf & Härtel kann man mit Blick auf die Ergebnisse schon jetzt von einer großen Tat sprechen, diese hörens- und kennenswerte Musik zugänglich gemacht zu haben. Sie verbindet ästhetisch überzeugend und alles andere als formal vorläufig die schon angesprochenen beiden Sphären. Und es gelingt ihr auch dank der vokal wie instrumental konsequent solistischen Besetzung, diese delikaten Wirkungen zu betonen und kein Moment struktureller Feinarbeit zu überdecken.
Programmatisch liegt der Schwerpunkt dieses siebten Teils der Reihe bei Kantaten des weihnachtlichen Festkreises, vielleicht mit dem geschlossen ebenso niveau- wie effektvollen ‚Wie schön leuchtet der Morgenstern‘ als besonderem Höhepunkt. Auch wenn, wie in diesem Fall, die Besetzung etwas vergrößert ist, bleibt sie in ihrer Anmutung immer schlank und luzide in ihren Wirkungen. Und die Arbeiten zeigen, dass Kuhnau keineswegs jener absolute Gegner einer dramatisch geschärften Textbehandlung und damit theatraler Effekte war, als den ihn seine Konflikte mit den jungen ‚Operisten‘ seines Leipziger Umfeldes scheinen lassen. Umgekehrt wurde er von jenen zumindest für sein unbestreitbares klassisches Können durchaus geschätzt, wie eine Aussage von Georg Philipp Telemann illustriert: ‚Die Feder des vortreflichen Herrn Johann Kuhnau diente mir hier zur Nachfolge in Fugen und Contrapuncten.‘ Insgesamt enthalten die fünf Kantaten viele Kleinode, mit klaren Vokallinien und idiomatisch eigenständigen obligaten Instrumenten. Auch wenn die Überlieferung des Werkes insgesamt schmal und oft unklar ist – so auch bei einigen der hier eingespielten Werke –, lohnt die Begegnung doch sehr deutlich.
Versiert und stilerfahren
Die vokale Besetzung von Opella Musica mit den beiden Sopranistinnen Isabel Schicktanz und Heidi Maria Taubert, dem Altisten David Erler, dem Tenor Tobias Hunger und dem Bass Friedemann Klos prägt das Bild der Reihe von Beginn an, mit jungen, schlanken Stimmen, die Eloquenz mit Geradlinigkeit verknüpfen und ohne technische Mätzchen auskommen, nie drücken oder verschleifen, kurz: Die mit diesem Repertoire und seinen Anforderungen intim vertraut sind und es gleichsam von innen heraus entfalten und nicht aus entfernten ästhetischen Gefilden anlassbezogen ‚dazukommen‘. Vielleicht finden sich in dieser Konstellation nicht die auf den ersten Blick herausragenden Individualstimmen, doch ergibt sich aus der Interaktion im Ensemble eine rundum überzeugende Wirkung.
Auch die instrumentalen Partien in der camerata lipsiensis sind durchgehend solistisch besetzt, was ein Spiel voller Delikatesse ermöglicht, unter plastischer Herausstellung all der Feinheiten, die diese Musik prägen. So wirkt auch eine Besetzung mit Trompeten und Pauken niemals auftrumpfend, eher kultiviert, konzentriert und veredelnd. Eine herausragende solistische Leistung ist in der Kantate für Solo-Sopran ‚Und ob die Feinde Tag und Nacht‘ zu verzeichnen, in der das Zusammenwirken der Vokalstimme mit dem Basso continuo und der solierenden Violine deutlich an die Prinzipien des älteren Geistlichen Konzerts gemahnt. Nadja Zwiener brilliert in ihrem Part. Zu erwähnen ist auch die erklingende Orgel der in der Röthaer Georgenkirche entstandenen Aufnahme: Gregor Meyer leitet das Geschehen von der dortigen Silbermann-Orgel aus, die die Balance des gesamten Geschehens glückend beeinflusst und mit über 20 Registern schöne Möglichkeiten zu farbigster Gestaltung bietet, die zum Beispiel im rasanten ‚Alleluja‘, das die Kantate ‚Uns ist ein Kind geboren‘ beschließt, lustvoll ausgespielt werden. Wie in den vorherigen Folgen der Einspielung markiert der Beitrag der Orgel einen besonderen Höhepunkt.
Frische Akzente
Gregor Meyer gestaltet ein variabel gehaltenes Tableau der Tempi, mit frischen Akzenten in den Chören in ‚Wie schön leuchtet der Morgenstern‘, dazu mit Raum für eine lyrisch grundierte Linearität. Dynamisch ist das Bild stets luzide in seiner Wirkung; auch in stärkerer Besetzung bleibt es fein gezeichnet und verzichtet zu Recht auf jegliches Auftrumpfen: Der Ansatz betont die Agilität von Musik und Ensemble. Texte werden klar und mit natürlicher Geste expliziert, ohne künstlichen Nachdruck und jede Vordergründigkeit. Und sogar linear gewinnt Kuhnaus an erinnerbaren Kantilenen nicht eben reiche Musik in diesem sensiblen Zugriff an Statur. Das Klangbild ist erfreulich plastisch und konzentriert, dazu glücklich im Raum verankert – die Erfahrungen der Reihe fallen bei der technischen Realisierung hörbar positiv ins Gewicht. Auch die Balance mit der substanzreichen Orgel ist gewahrt.
Ein Projekt auf der Zielgeraden: Gregor Meyer steuert mit dem siebten Teil des geistlichen Gesamtwerks von Johann Kuhnau auf das Finale zu. Reif und frisch gleichermaßen wirken die technisch und stilistisch tadellosen Präsentationen, die allesamt geeignet sind, Kuhnau wieder in seine eigentlichen Rechte einzusetzen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Bisherige Kommentare zu diesem Artikel
Eine top Kritik in sprachlich erlesener Form
Lieber Kollege Lange, diese Kritik habe ich sehr gern gelesen - weil ich in Leipzig wohne und Gregor Meyer hier wirkt - und kann alle Aspekte, die Sie angeführt haben, bis ins Detail nachempfinden. Kuhnau, der bis heute immer noch rigoros vernachlässigt ist, sollte wieder mehr ins Programm genommen werden.fuchsbuhl, 20.05.2022, 17:19 Uhr
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Kuhnau: Complete Sacred Works Vol. 7: Opella Musica, Camerata Lipsiensis, Gregor Meyer |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203539925 |
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Kuhnau, Johann |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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