> > > Neeme Järvi in Concert: State Choir Latvija, Estonian National Symphony Orchestra
Samstag, 23. September 2023

Neeme Järvi in Concert - State Choir Latvija, Estonian National Symphony Orchestra

60-jähriges Dirigierjubiläum


Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel


1963 wurde der mittlerweile 85-jährige Neeme Järvi musikalischer Leiter des Eesti Riiklik Sümfooniaorkester.

Neeme Järvi kann auf eine unüberschaubar umfangreiche Diskografie zurückblicken. Nachdem er 1980 in die USA emigriert war, erschien seine erste Veröffentlichung beim englischen Label Chandos, gefolgt von den Plattenfirmen BIS, Deutsche Grammophon, Orfeo, Naxos, LPO und RCA. Chandos blieb so etwas wie sein Hauslabel, auch noch in den vergangen Jahren neben den Estonian Record Productions, bei denen er seit 2015 vermehrt CD-Veröffentlichungen vorgelegt hat. Die vorliegende CD, die Livemitschnitte des Jahres 2019 aus Tallinn enthält, erkundet ausschließlich Komponisten des deutschsprachigen Raums.

Järvis Mozart-Diskografie ist vergleichsweise überschaubar – sein Desinteresse an nicht hinreichend begründeten Einspielungen von althergebrachten ‚Schlachtrössern‘ zeugt von seiner fast unersättlichen Neugier und seiner Bereitschaft, um der Sache willen auf Popularität (im negativ gemeinten Sinn) zu verzichten. Schon 1974 hatte Järvi bei Melodija ein Mozart-Klavierkonzert veröffentlicht – mit eben jenem Orchester, das wir auch hier hören (diese Reihe setzte er in den 2010er-Jahren fort). Dass er hier das späte ‚Ave verum corpus‘ dirigiert, in einer ausgesprochen intim-introvierten Wiedergabe von hoher Suggestionskraft, ist Bekenntnis und Verweigerung zugleich – gerade als Dirigent von Chorsymphonik hat er sich nur bedingt auf Tonträger profiliert – und auch hier nicht selten mit überraschendem Repertoire.

Tief empfunden

Brahms war ein weiterer Komponist, der Järvi besonders nahe steht. Wir finden bei Chandos sämtliche Sinfonien und Konzerte, auch die Ungarischen Tänze, in jüngeren Jahren bei den Estonian Record Productions einen umfänglichen zweiten Brahms-Zyklus, und das Deutsche Requiem ist auf DVD greifbar. Hier nun also das Schicksalslied, in einer tief empfundenen, dennoch dramatisch starken Darbietung mit ausgesprochen flüssigen Tempi (warum es dann auf drei Tracks splitten?). Zwar ist der Klang nicht immer scharf umrissen, das schadet der Musik hier aber kaum. Auch dass der State Choir Latvija die deutsche Sprache hörbar einstudiert hat und nicht wirklich versteht, beeinträchtigt den bewegenden Gesamteindruck nicht. Järvi spreizt die Tempi an einigen Stellen ungewöhnlich, doch nicht über Gebühr.

Als Dirigent, der sich fast vollständig der Opernbühne verweigerte (es gibt einige Rundfunkproduktionen aus dem Studio), hat Järvi sich fast nur durch symphonische Auszüge aus den Musikdramen mit der Musik Richard Wagners auseinandergesetzt. Hier erklingt die Ouvertüre ‚Polonia‘, gerade in Järvis Wiedergabe der Ouvertüre zum ‚Liebesverbot‘ nicht fern. Wir hören hier nicht nur den frühen Wagner, sondern auch die Operntradition der 1830er-Jahre mit besonderer Bedeutung der französischen Bühne (Auber).

Bei Chandos hatte Järvi 1989 die Hiller-Variationen und die Böcklin-Suite veröffentlicht, dazu 1990 die Beethoven-Variationen. Keine dieser Einspielungen konnte in der internationalen Reger-Diskografie einen vorderen Rang erreichen. Gleiches gilt für die Serenade G-Dur op. 95, die in einer liebevoll ausgearbeiteten, aber Regers Intentionen ausgesprochen fernstehenden Wiedergabe. Järvi ignoriert bewusst zahllose von Regers detaillierten Aufführungsanweisungen und verortet den Oberpfälzer eher in Böhmen mit einem Hauch Brahms. Jeder, der eine der Einspielungen Eugen Jochums von 1943 oder 1976 gehört hat, kann Järvis Lesart als teilweise ausgesprochen verfehlt ansehen (mit am besten gelungen ist das Scherzo) – doch es sei nicht verhohlen, dass jede Neuveröffentlichung eines Reger-Orchesterwerks mit Freude willkommen geheißen werden sollte, gerade weil sie so ungebührlich selten erfolgen (jeder Orchesterpatzer, jede Fehleinschätzung des Dirigenten wird sofort wahrgenommen, doch zumeist dem Komponisten, nicht den Musikern angelastet).

Eine ausgesprochen persönliche Sichtweise legt Järvi hier also bei den vier aus durchaus ganz unterschiedlichen Werken an den Tag – spannende Ergänzungen einer Diskografie, die detaillierter zu überschauen eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen wird – weit mehr aber noch das, was von dem mittlerweile 85-Jährigen auf Tonträger vorgelegt worden ist (und die Rundfunkarchive bergen noch viele weitere Schätze, da darf man gewiss sein).

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Neeme Järvi in Concert: State Choir Latvija, Estonian National Symphony Orchestra

Label:
Anzahl Medien:
Chandos
1
Medium:
EAN:

CD
095115226223


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Brahms, Johannes
Mozart, Wolfgang Amadeus
Reger, Max
Wagner, Richard


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Chandos

Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
The company has championed rare and neglected repertoire, filling in many gaps in the record catalogues. Initially focussing on British composers (Alwyn, Bax, Bliss, Dyso, Moeran, Rubbra, Walton etc), it subsequently embraced a much wider field. Chandos' diverse catalogue contains over 2000 titles, from early music to contemporary, with composers from around the world. The company's aim is to present an exciting and varied selection of superbly recorded music to as many people as possible.
The following artists are strongly associated with, or exclusive to, the label: Richard Hickox, Matthias Bamert, I Fagiolini, Neeme Järvi, Louis Lortie, Jean-Efflam Bavouzet, Rumon Gamba, James Ehnes, Sir Charles Mackerras, David Parry, Valeri Polyansky, The Purcell Quartet, Gennady Rozhdestvensky, Howard Shelley, Simon Standage, Yan Pascal Tortelier, Vernon Handley, the BBC Philharmonic, BBC National Orchestra of Wales, the City of London Sinfonia and Collegium Muscium 90.
Chandos is universally acclaimed for the excellence of its sound quality and has always been at the forefront of technical innovation. In 1978, Chandos was one of the first to record in 16bit/44.1kHz PCM digital, as well as being one of the first to edit a digital recording completely in the digital domain (Holst: the Planet ? SNO/Gibson). In 1983, Chandos was one of the first to produce and release Compact Discs into the marketplace ? a revolution in the recorded music industry.
Today, Chandos has kept up with technology by recording mostly in 24bit/96kHz PCM but now also in DSD for producing ?surround sound? SACDs. Chandos releases at least five new recordings a month, together with imaginative re-issues of back-catlogue material.
The company has received countless awards, including several Gramophone Awards, notably the 2001 ?Record of the Year? for Richard Hickox?s recording of the original version of Vaughan Williams? A London Symphony; ?Best Choral Recording of 2003? for its recording of an undiscovered mass by Hummel and the ?Best Orchestral Recording? of 2004 for its set of Bax Symphonies. Other highlights include the American Grammy for Britten?s opera Peter Grimes, and most recently (2008), two further Grammy Awards, one for Hansel and Gretel and the other for Grechaninov?s Passion Week. Jean-Efflam Bavouzet?s debut on Chandos was also awarded Record of the Year by Monde de la Musique this year.
Chandos remains an independent, family run company which produces and markets its recordings from its office in Colchester, England, and is distributed worldwide.


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