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Montag, 2. Oktober 2023

Dietrich Fischer-Diskau: Frühe Aufnahmen - Lied, Oper, Geistliche Musik, Konzert

Aus dem Vollen geschöpft


Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Dietrich Fischer-Dieskau in Aufnahmen der Jahre 1948–1969.

Ein wenig darf man sich wundern, dass auch die sogenannten ‚Major‘-Plattenfirmen selbst von ihren bevorzugten Interpreten keineswegs alle Einspielungen der Öffentlichkeit auf CD zugänglich gemacht haben. Die CD-Premieren der vorliegenden Produktion stammen von EMI Electrola (nur ein Schumann-Lied), dem RIAS (eine Pepping-Kantate) und vor allem von der Deutschen Grammophon (Händels 'Apollo e Dafne'); die Herkunft einer weiteren Händel-Arie (aus 'Berenice') wird nicht genannt, die Aufnahme auch nicht datiert. Die sieben CDs sind klar strukturiert: CDs 1+2 Lieder, CDs 3+4 Oper, CD 5 geistliche Musik, CDs 6+7 Konzertwerke.

Der Liedersänger

Die erste CD bringt Electrola-Aufnahmen von Liedern von Schubert und Schumann mit Gerald Moore bzw. Hertha Klust, aus den Jahren 1951–1965; im Booklet ist die Pianistenzuordnung im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen in mindestens einem Fall fehlerhaft (die Pianistin in ‚Du bist wie eine Blume‘, vermutlich auch in ‚Die Lotosblume ängstigt sich‘ war Klust, nicht Moore). Siebzehn Schubert-Lieder und zwölf Schumann-Lieder auf Texte von Heine, darunter der 'Liederkreis' op. 24, geben konzeptionell ein in sich rundes Bild, bleiben mit Blick auf Fischer-Dieskaus diskografisches Erbe aber doch nicht unproblematisch. Zwar bieten Warner Classics zurzeit keine umfassende Fischer-Dieskau-Liededition, doch der größte Teil der vorliegenden CD liegt in verschiedenen Ausgaben auch als Mastering von den Originalbändern vor, etwa in der CD-Box ‚The Great EMI Recordings‘/‚The Lieder Singer‘. Einzig Schuberts ‚Über Wildemann‘ D.884 und ‚Der Strom‘ D.565 sowie Schumanns ‚Die Lotosblume ängstigt sich‘ op. 25 Nr. 7 sind in dieser Edition nicht enthalten, so dass der Fischer-Dieskau-Begeisterte nur wenig Bedarf nach der Neuveröffentlichung hat. Auch warum sieben Aufnahmen aus 1965 – also keineswegs mehr aus den frühen Jahren – Eingang gefunden haben, bleibt unverständlich, nicht zuletzt da es genügend Liedaufnahmen der frühen Jahren gibt, die derzeit nicht greifbar sind, u. a. eine vollständige Beethoven-Platte aus dem Jahr 1955 mit Hertha Klust (die allerdings zusammen mit dem Zyklus‘ ‚An die ferne Geliebte‘ op. 96 von 1951 mit Gerald Moore 2007 in der EMI-Edition ‚Beethoven – The Collector's Edition ‘ enthalten war). Musikalisch sind diese Interpretationen zu Recht legendär – der junge Sänger kann aus dem Vollen schöpfen und hat kluge und einfühlsame Klavierpartner; rhetorische Formeln drängen sich noch nicht in den Vordergrund, alles ist auf die musikalische Auslegung der Gesänge ausgerichtet.

CD 2 beginnt mit Brahms‘ 'Vier ernsten Gesängen' op. 121 aus dem Jahr 1949 (mit Hertha Klust, Deutsche Grammophon) – pianistisch nicht die beste Interpretation mit Fischer-Dieskau, es folgen Electrola-Aufnahmen von Liedern von Wolf, Strauss, Loewe, Beethoven und Haydn. Da Profil Hänssler selbst 2005 die Brahms-Lieder bereits in einer separaten Veröffentlichung vorgelegt haben (zusammen mit zwei Bach-Kantaten unter Karl Ristenpart), bleibt unklar, warum nicht die vollständige ältere Veröffentlichung Eingang in diese Edition gefunden hat. Die drei Mörike-Lieder von Eichendorff sind in der großen Hugo-Wolf-Fischer-Dieskau-Box der EMI enthalten (als Bonustracks auf CD 7), während die drei Strauss-Lieder von 1955 bislang offenbar nicht wiederaufgelegt wurden (warum hier aber nicht alle fünf der ganzen Schallplatte?); gleiches gilt für Carl Loewes ‚Erlkönig‘ von 1955 (ursprünglich mit den drei genannten Wolf-Liedern gekoppelt). Eine besondere Kostbarkeit sind hier die sechs Haydn-Lieder von 1959 – leider nur ein Drittel der vollständigen Platte mit Liedern und Canzonetten, die komplett in der Edition ‚Recordings From The Archives‘ von 2010 enthalten sind: ein essenzieller Beitrag zur Haydn-Lied-Diskografie.

Bei sieben Lieder von Telemann, die CD 2 beschließen, konzeptionell aber eigentlich zu CD 6 gehören, sind Edith Picht-Axenfeld (Cembalo) und Fischer-Dieskaus erste Ehefrau Irmgard Poppen (†1963, Violoncello) Fischer-Dieskaus Partner. 1957 (siehe CD 7) und 1962 waren Electrola und Fischer-Dieskau eifrige Telemann-Exponenten, die bei den überschaubareren Einzelliedern überzeugendere Leistungen ablieferten als bei umfänglicheren Kantaten.

Der Opernsänger

Als Opern- wie als Konzertsänger war Fischer-Dieskaus Neugier fast unersättlich – Musik des Barock ist ebenso zu finden wie zahllose Ur- und Erstaufführungen. Leider fehlt besonders letzteres in der vorliegenden Edition, obschon der Sänger schon in den 1950er-Jahren sich etwa in Henzes ‚Elegie für junge Liebende‘, Busonis ‚Doktor Faust‘ oder Wolfgang Fortners ‚The Creation‘ profilierte. Die Oper des 20. Jahrhunderts ist mit einer Ausnahme in der vorliegenden Edition nahezu völlig ausgeschlossen – aufgrund von ggf. anfallenden Lizenzgebühren? (Überhaupt scheint die Lizenzfrage hinter manchen Entscheidungen der Edition gestanden zu haben, sonst hätten mehr Rundfunkmitschnitte Berücksichtigung finden können, ja geradezu müssen.) CD 3 bietet Monoaufnahmen der Jahre 1951–1961, ergänzt um Auszüge aus Fischer-Dieskaus Bühnendebüt in Berlin 1948 (absolut fälschlich bezeichnet als Bonusmaterial – vielmehr sind sie für die Edition von essenzieller Bedeutung). Als Marquis Posa in Verdis ‚Don Carlos‘ debütierte Fischer-Dieskau an der damals noch Städtischen (heute Deutschen) Oper Berlin, mit Boris Greverus (Carlos) und Josef Greindl (Philipp II.). Damals wurde Verdi noch deutsch gesungen, und auch wenn die Klangqualität des Livemitschnitts des RIAS nicht unproblematisch ist, kann man doch dem eloquenten Adligen sofort uneingeschränkt seine Rolle abnehmen. Die Gesamtaufnahme ist seit lange verfügbar, auf ein sorgsames, liebevolles Remastering müssen wir bis heute warten.

Auch Fischer-Dieskaus erste Opern-Schallplattenaufnahme entstand mit Musik von Verdi – die Szene Falstaff-Ford-Bardolf aus dem 2. Akt von ‚Falstaff‘, entstanden im Januar 1951 (mit Josef Metternich als Falstaff). Wenige Monate zuvor hatte auch Fritz Busch in einer konzertanten ‚Maskenball‘-Aufnahme den jungen Sänger entdeckt (zu dieser Rolle siehe CD 4), und der jugendliche Überschwang, rhetorisches Talent und ein ausgesprochen warmes musikalisches Organ machten den jungen Meister hinreichend offenbar, der gleichermaßen in Donizetti (‚Lucia di Lammermoor‘, RIAS-Produktion 1953 unter Ferenc Fricsay – Gesamtaufnahme bei Audite erschienen), Puccini (Querschnitt ‚La Bohème‘ für Electrola mit den Berliner Symphonikern unter Wilhelm Schüchter 1954, mit Rudolf Schock) oder Wagner (Auszüge aus ‚Tannhäuser‘ auf einer 45er-EP mit dem Philharmonia Orchestra, gleichfalls unter Schüchter 1954); der Wolfram von Eschenbach sollte für viele Jahre eine Art Signature Role für Fischer-Dieskau bleiben.

Wenn sich Fischer-Dieskau als Opernsänger der deutschen Sprache befleißigen kann, sind seine Aufnahmen gerade der frühen Jahre Musterbeispiele an musikdramatischer Sorgfalt: ohne Überdruck, ohne Übertreibung, mit natürlichem Textfluss und viel Feingefühl sowohl für die Rolle als auch für die entsprechende szenische Situation. Gleiches gilt auch hier für die Arien aus Lortzings ‚Zar und Zimmermann‘ und ‚Der Wildschütz‘ unter Wilhelm Schüchter 1955 (beide in der Edition ‚Great Moments of Dietrich Fischer-Dieskau‘ von 2000 enthalten) und Orpheus‘ Klagegesang aus der deutschsprachigen Gesamtaufnahme von Glucks Oper unter Fricsay (Deutsche Grammophon 1956), in einer Zeit, als die Besetzung dieser Partie mit einem Bariton noch keineswegs unüblich war. Eine andere Rolle, in der Fischer-Dieskau häufig zu hören war, war der Papageno, obwohl ihm als Berliner jedes wienerische Idiom abging. Die RIAS-Gesamtaufnahme der ‚Zauberflöte‘ unter Ferenc Fricsay 1955 wurde ebenfalls bei der Deutschen Grammophon veröffentlicht.

Ehe er den Sachs übernahm, war Fischer-Dieskau 1956 in Bayreuth (wo er 1954 als Wolfram debütiert hatte) der Fritz Kothner in Wagners ‚Meistersingern‘ unter André Cluytens. Die Partie wurde in jener Zeit konsequent mit aufstrebenden jungen Baritonen (Eberhard Wächter, Toni Blankenheim) besetzt, die sich hiermit für größere Rollen empfehlen sollten. Fischer-Dieskau hebt hier die rhetorischen Aspekte seiner Partie hervor. Auch in Tschaikowskys ‚Eugen Onegin‘ ‚overactet‘ er vokal (in einem Live-Mitschnitt aus der Wiener Staatsoper 1961 unter Lovro von Matačić) nicht zuletzt im Vergleich zu seiner Partnerin Sena Jurinac – der Vergleich zu dem 1962 entstandenen Mitschnitt der Oper aus München unter Joseph Keilberth mit Hermann Prey (und Ingeborg Bremert, dazu Fritz Wunderlich) fällt zu Fischer-Dieskaus Nachteil aus (nicht nur interpretatorisch, sondern auch klangtechnisch).

Auf CD 4 sind Stereoaufnahmen der Jahre 1958–1969 enthalten, die bei der Deutschen Grammophon, der Electrola und bei Decca erschienen. Die älteste vorhandene Einspielung sind Auszüge aus Fricsays ‚Don Giovanni‘-Aufnahme für Deutsche Grammophon (Fricsays ‚Fidelio‘ von 1957 bleibt unberücksichtigt); diese Gesamtaufnahme gehört, nicht zuletzt wegen des vorzüglichen Dirigats und Irmgard Seefried als Zerlina, Sena Jurinac als Elvira, Ernst Haefliger als Ottavio und Karl Christian Kohn als nicht unbedrohlichem Leporello, bis heute zu den besten Einspielungen der Oper. 1959 für Electrola entstand eine international vermarktete Verdi-Recital-LP mit den Berliner Philharmonikern unter Alberto Erede, die hier fast vollständig wiederveröffentlicht ist.

Wir hören hier mehrere Partien, die Fischer-Dieskau später auch in Gesamteinspielungen vorgelegt hat – den Rigoletto und den Falstaff –, nicht aber den Macbeth, den Giorgio Germont, den Amonasro; dafür bietet er hier den Graf Luna in ‚Il trovatore‘. Der Renato aus dem ‚Maskenball‘ und der Montfort aus ‚I vespri siciliani‘, 1950 bzw. 1955 in Köln unter Fritz Busch bzw. Mario Rossi auf Deutsch eingespielt, fehlen hier gleichfalls nicht, nun auf Italienisch, mit dem Ziel des Aufbaus einer internationalen Karriere. Und der Sänger empfiehlt sich in der Tat – zu diesem Zeitpunkt, vielleicht auch mit dem inspirierenden Dirigenten, gelingen Fischer-Dieskau beglückende Verdi-Momente. 1961 folgte eine zweite Recital-Arien-LP, diesmal für die Deutsche Grammophon, auf der u.a. Rossinis Guglielmo Tell und der Valentin in Gounods ‚Faust‘ festgehalten sind; die Rossini-Partie kennen wir auch aus einem Mailänder Live-Mitschnitt von 1956. Bevor 1970 eine Gesamteinspielung von Händels ‚Giulio Cesare‘ unter Karl Richter vorgelegt wurde (damals den Gepflogenheiten entsprechend noch mit einem Bariton in der Titelpartie), hatte Fischer-Dieskau bereits 1960 unter Karl Böhm in einer Platte mit Auszügen aus der Oper vorgelegt: Doch ist Fischer-Dieskaus Italienisch bei Händel problematischer als bei Verdi – hier (wie auch in der als Premiere ertönenden Arie aus ‚Berenice‘ unter Karl Richter – in reichlich mattem Klang) klingt das Italienisch angelernter, weniger emotional internalisiert. So ist es eher ein Glück, dass im Fall einer Arie aus Haydns ‚La vera costanza‘ die deutsche Übersetzung (‚List und Liebe‘) gewählt wird, in der der Sänger seinem Humor freien Lauf lassen kann (‚Spann‘ deine langen Ohren‘). Von der gleichen Decca-Platte von 1969 (gleichfalls also weit entfernt von ‚Frühen Aufnahmen‘) stammt auch eine echte Kostbarkeit – die schwierigere Ossia-Version der Arie des Grafen aus ‚Le nozze di Figaro‘ für eine Wiener Aufführung 1789, für einen Sänger mit sehr guter Höhe und hoher Virtuosität (leider ist das Remastering durch mangelhaftes Quellmaterial nicht ganz geglückt – eine Überspielung vom Originalband wird online angeboten).

Auszüge aus Gesamtaufnahmen und Querschnitten der Deutschen Grammophon (und einem Fall der EMI Records Ltd.) ergänzen das Angebot – aus Mozarts ‚Così fan tutte‘ aus Berlin unter Eugen Jochum 1962, aus Strauss‘ ‚Die Frau ohne Schatten‘ und ‚Arabella‘ aus München 1963 unter Joseph Keilberth, Verdis ‚Otello‘ unter John Barbirolli aus London 1968, außerdem ein Ausschnitte aus Hindemiths ‚Mathis der Maler‘ Berlin 1961 unter Leopold Ludwig. Hier hätte man sich mehr editorischen Entdeckergeist gewünscht – es scheint fast als seien die Mittel für Lizenzgebühren und/oder die verfügbaren Klangquellen ausgegangen. Ein schlussendlich etwas armseliger Befund.

Der Sänger geistlicher und weltlicher Vokalmusik

Ein weites Spektrum blättert CD 5 auf – und gerade die CD-Premiere der Kantate ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘ aus Ernst Peppings Liederbuch nach Gedichten von Paul Gerhardt (komponiert 1946) ist eine bedeutende Ergänzung neben geistlichen Gesängen von Heinrich Schütz, Franz Tunder, Nicolaus Bruhns, Johann Christoph Bach und Johann Sebastian Bach. SWR Music/Hänssler classic haben 2011 eine ganze CD mit Schütz-Aufnahmen Fischer-Dieskaus veröffentlicht, und ‚Singet dem Herren ein neues Lied‘ SWV 342. Tunders ‚Da mihi, domine‘ und Bruhns‘ ‚Erstanden ist der heilige Geist‘ wurden von SWR Music/Hänssler classic 2012 auf einer Fischer-Dieskau-CD mit Barockkantaten vorgelegt – auch hier ist keine Verbesserung im Remastering zu erkennen. Dass der barocke rhetorische Gestus Fischer-Dieskau bestens liegt, bedarf kaum der Erwähnung, der teilweise recht muffige Klang ist kaum eine Beeinträchtigung. Johann Christophs Bachs Lamento ‚Ach, dass ich Wassers g’nug hätte‘, eigentlich für Altsolo gedacht, erschien 2005 auf einer CD von SWR Music/Hänssler classic. Die Bach-Kantate ‚Der Friede sei mit dir‘ BWV 158 und zwei Arien aus ‚Ich lasse dich nicht‘ BWV 157 und ‚Herr, wie du willst, so schick’s mit mir‘ BWV 73 entstammen einer 1958 entstandenen Electrola-Platte mit den Berliner Philharmonikern unter Karl Forster; hier ist das Remastering erfreulich klar und unverstellt, wie auch bei einer der berühmtesten Bach-Aufnahmen Fischer-Dieskaus überhaupt – der Matthäus-Passion unter Karl Richter (Deutsche Grammophon Archiv Produktion 1958) bzw. daraus der Arie ‚Mache dich, mein Herze, rein‘ (warum diese Arie berücksichtigt wurde und nicht etwa eine aus Heinrich Schütz‘ Matthäus-Passion von 1961, gleichfalls unter Richter für die Archiv Produktion eingespielt, bleibt unklar, nicht zuletzt weil die Bach’sche Matthäus-Passion unter Richter bereits auf Profil Hänssler vorliegt). Peppings Kantate ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘, im November 1957 für den RIAS mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin unter Arthur Rother eingespielt, ist in der Box einer der ganz wenigen Lichtblicke auf Musik des 20. Jahrhunderts, für die Fischer-Dieskau so ein wichtiger Exponent war. Wahrscheinlich ist die CD-Veröffentlichung dieser Kantate der wichtigste Beitrag der ganzen Veröffentlichung.

CD 6 zeigt Fischer-Dieskau dann zunächst auf Terrain, für das er bekannter ist – mit der 1952er-Electrola-Einspielung von Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen (unter Furtwängler) sowie Auszügen aus Schumanns Szenen aus Goethes Faust in einem Live-Mitschnitt der Salzburger Festspiele 1961 unter Wolfgang Sawallisch. Von einer Decca-Platte 1969 stammen drei Einlagearien und ein orchestriertes Lied von Mozart. Diese vier Beiträge, obschon vielleicht nicht weit verbreitet, sind alles als unbekannt – sie sind im originalen Remastering als Download und auf diversen CD-Veröffentlichungen greifbar; gerade darum ist die hier etwas matte Übertragung von Vinyl wenig zielführend. Schumanns Faust hat Fischer-Dieskau etliche Male gesungen – im Studio unter Benjamin Britten und Bernhard Klee, live unter Pierre Boulez. Der Salzburger Live-Mitschnitt der Ausschnitte ‚Sonnenaufgang‘, ‚Fausts Erblindung‘ und ‚Fausts Tod‘ unter Sawallisch wurde 1993 auf Orfeo d’Or vorgelegt – und die vorliegende Version scheint fast etwas mehr atmosphärische Tiefe zu bieten als die frühere Veröffentlichung. Keinerlei Rarität sind hingegen die Lieder eines fahrenden Gesellen – und hier wäre sicher der Rückgriff auf einen rareren Live-Mitschnitt sinniger gewesen – das neue Remastering erweist sich nicht als besser als jenes gleichfalls problematische des ‚Great Recording of the Century‘.

Der Rest der CD ist abermals Raritäten vorbehalten, erschienen auf zwei Electrola-Platten 1957 bzw. 1960: Telemanns Kantate ‚Trauermusik eines kunsterfahrenen Kanarienvogels‘ TWV 20:37 und Händels ‚Cuopre tal volta il cielo‘ HWV 98. CD 7 führt diese Linie fort mit Händels ‚Dalla guerra amorosa‘ HWV 102 (zusammen mit HWV 98 in der Edition ‚Great Moments of Dietrich Fischer-Dieskau‘ von 2000 enthalten), Bachs ‚Amore traditore‘ BWV 203 sowie dem Schluss der Bauern-Kantate BWV 212 (alles Electrola 1960), außerdem Händels ‚Apollo e Dafne‘ HWV 122 (Deutsche Grammophon 1966, mit Agnes Giebel). Fischer-Dieskaus rhetorische Gabe steht auch hier im Vordergrund – und während ‚Dalla guerra amorosa‘ (begleitet von Edith Picht-Axenfeld und Irmgard Poppen) und ‚Cuopre tal volta il cielo‘ auch hinreichend sensuelle Tongebung und Italianità bieten (mit neben den Genannten weiteren Solisten der Berliner Philharmoniker), ist hiervon in ‚Apollo e Dafne‘ kaum eine Spur; sogar die Koloraturen geraten dort nicht makellos; weit überzeugender ist hier Agnes Giebels frischer und stilsicherer Beitrag. Wir wissen, dass er im Live-Erlebnis in dieser Hinsicht spontaner und überzeugender sein konnte als im Studio. Der Beitrag der Berliner Philharmoniker unter Günther Weissenborn (‚Apollo e Dafne‘) ist heutigem Klangempfinden in Sachen Händel weit entfernt (wir wissen, dass die Cappella Coloniensis seit Mitte der 1950er-Jahre bereits ein neues Klangideal zu propagieren begann.

In den Electrola-Platten spürt man eine deutlich stärkere Identifikation mit der historischen Musik, und selbst wenn in ‚Amore traditore‘ nicht alle Koloraturen gänzlich tadellos geraten, sind wir doch weit von der stilverfehlten Wiedergabe 1966 entfernt; auch der Beitrag der Berliner Philharmoniker unter Karl Forster in der Bauern-Kantate ist weit idiomatischer als jener in ‚Apollo e Dafne‘. Wie weit sich die Telemann-Interpretation in den vergangenen 65 Jahren entwickelt hat, ist fast am frappantesten – das geringe Verständnis für seine ganz spezifische Ästhetik kann in der vorliegenden Interpretation tatsächlich nur durch Fischer-Dieskaus Beitrag überwunden werden.

Klangtechnisch sind nicht alle Aufnahmen nicht gleich überzeugend geraten. Die Auszüge aus der Bauern-Kantate (schade – die gesamte Kantate gehört heute zu den rareren Fischer-Dieskau-Aufnahmen) klingen überraschend verwaschen, während alles andere auf CD tadellos remastered worden ist.

Das Booklet ist wie leider viel zu häufig bei Profil Hänssler viel zu knapp und wenig informativ, im Detail ungenau oder fehlerhaft, obschon Bemühungen zu umfassenderer Einordnung erkennbar sind. Wie ebenfalls üblich, sind die Einzel-CDs in Papierhüllen eingeschweißt, so dass man der Edition mit Schere oder Messer zu Leibe rücken muss, um überhaupt der Musik habhaft zu werden. Das ist und bleibt ein Ärgernis, das hinreichenden Respekt vor den dargebotenen musikalischen Leistungen vermissen lässt. Auf Gesangstexte kann man bei Fischer-Dieskau verzichten – da ist fast alles unmittelbar verständlich.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Dietrich Fischer-Diskau: Frühe Aufnahmen: Lied, Oper, Geistliche Musik, Konzert

Label:
Anzahl Medien:
Profil - Edition Günter Hänssler
7
Medium:
EAN:

CD
881488200744


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Profil - Edition Günter Hänssler

Profil - The fine art of classical music
EDITION GÜNTER HÄNSSLER - EIN LABEL MIT "PROFIL"
Bei der Gründung seiner "EDITION GÜNTER HÄNSSLER" und dem neuen Label "PROFIL" betrat Produzent Günter Hänssler, der ehemalige Chef des erfolgreichen Labels Hänssler Classics, mit einer ganz klaren Philosophie und Zielsetzung den Klassik-Markt:
"Nur ein Label mit einem klaren PROFIL, mit einem eindeutigen Wiedererkennungseffekt hat heute noch eine Chance auf dem heiß umkämpften CD-Markt - um die Liebhaber klassischer Musik heute mit einem Produkt zu überzeugen braucht man Originalität, Innovation und optimierte Vertriebswege."
Der Name PROFIL ist Programm. Günter Hänssler denkt in Serien. Nur groß angelegte Projekte haben heute noch eine Chance, sich nachhaltig auf dem Markt wiederzufinden. So entstanden international hoch gepriesene und mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnete Editionen wie die EDITION STAATSKAPELLE DRESDEN oder die GÜNTER WAND EDITION.
Die Repertoire-Politik ist charakteristisch. Eine Auswahl erster internationaler Künstler finden sich im Programm von PROFIL ebenso wieder wie erfolgreiche Newcomer der Klassikszene, darunter das mehrfach preisgekrönte Klenke-Quartett, das in der Interpretation von Kammermusik in den letzten Jahren neue Maßstäbe setzen konnte.
Ergänzt wird das Repertoire durch ausgewählte, digital aufwendig restaurierte historische Aufnahmen, Interpretationen von legendärem Ruf in neuer, bisher nicht gekannter digitaler Klangqualität. Auf diese Weise schlägt PROFIL die Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart und versteht sich so auch als Bewahrer musikalischer Traditionen.
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