
Musik und Lebensphilosophie - Studien zur Wertungsforschung Band 64
Lesenswerter Beitrag
Label/Verlag: Universal Edition
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ein spannender Sammelband zum Thema Musik und Lebensphilosophie.
„Ich brauche keinen Freund, der sich jedes Mal mit mir verändert und mein Kopfnicken erwidert, denn das tut mein Schatten weit besser, sondern einen solchen, der mit mir die Wahrheit aufsucht und mit mir prüft.“ Plutarch formulierte damit eine Kategorie, die auch für einen kreativen Umgang mit Kunst und Musik hilfreich ist. Bietet das Hören von Musik in Anlehnung an Marcel Prousts Diktum, dass der Sinn einer Entdeckungsreise nicht darin besteht, neue Landschaften zu suchen, sondern „neue Augen“ zu bekommen, also die Wahrnehmung zu ändern, nicht ebenfalls die Möglichkeit neuer Erfahrungen? Ist Musik als Paradigma menschlicher Existenz zu verstehen und welche Ambivalenzen, Paradoxien, Konsequenzen resultieren daraus. Der Band 64 der „Studien zur Wertungsforschung- Musik und Lebensphilosophie“, herausgegeben von Manos Perrakis, widmet sich dieser spannenden Fragestellungen unter verschiedenen Aspekten, die leider in der Musikwissenschaft selten so umfassend reflektiert werden wie in dem vorliegenden Band.
Insgesamt gehen acht Autorinnen und Autoren der Frage des Zusammenhangs zwischen Musik und Lebensphilosophie nach. „Wenn das Leben als Lebensgefühl erfasst wird, dann wird die Relevanz von Musik evident. Denn die Musik hat immer als Sprache von Affekten, Gefühlen oder Emotionen gegolten und gilt immer noch als solche“, stellt Manos Perrakis im Vorwort fest. Aktives Hören bietet stets auch Orte des „Dazwischen“, die aber nur entdeckt werden können, wenn man sich das Denken nicht erspart. Das ist eine wichtige Prämisse der Theorien von Eduard Hanslick, Wilhelm Dilthey, mit denen sich der Philosoph Frithjof Rodi („Zwischen Beispiel und Symbol des Lebens. Die Musik in den Spätschriften von Wilhelm Dilthey“) intensiv auseinandersetzt. Wilhelm Diltheys Verständnis von Musik als Teil einer Philosophie des Lebens in geistesgeschichtlichen Zusammenhängen findet sich - nebenbei bemerkt - später in der Konstruktion des Kunstwerkbegriffes bei Theodor W. Adorno wieder, worauf Frithjof Rodi hätte hinweisen können.
Natürlich darf auch Adorno nicht fehlen, mit dem sich Beate Kutschke („Lebensphilosophie und Kulturkritik in Adornos Musikphilosophie“) kritisch beschäftigt. Im ersten Teil ihres lesenswerten Aufsatzes umreißt sie kurz die Theorien von Wilhelm Heinrich Wackenroder, Ludwig Tieck, E.T.A. Hoffmann bis hin zu Wilhelm Dilthey und Lewis Mumford hinsichtlich des Zusammenhangs Musikphilosophie und Lebensphilosophie, wobei der Aspekt Mensch – Maschine nicht vernachlässigt wird, bis sie sich kritisch mit Adornos Überlegungen auseinandersetzt.
Auslöschung des Subjekts
Zwar erkannten schon Platon und Aristoteles die Bedeutung der Musik für die Erziehung des Menschen, aber auch sie warnten schon vor Musik, die sinnliche Leidenschaften auslöse und die Seele schwächen könne. Das ist im Sinne Adornos, auch für ihn gab es eine regressive Musik, die durch die Dumpfheit des Ohres sanktioniert wird. Diesem Sachverhalt kann nach Adorno nur entkommen, wer aufgeklärt sich der Musik nähert und die niederen Ebenen der Musik, also die sogenannte U-Musik“ meidet. Man wird also moralisch. Interessant wird es aber dort, wo Beate Kutschke auf den noch immer relevanten Gedanken Adornos hinweist, dass in der totalen Organisation des Tonmaterials und des Kunstwerkes das Subjekt ausgelöscht wird. Beate Kutschke bringt es am Ende auf den Punkt, indem sie Adornos bekanntes Diktum, „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ zu "Es gibt keine richtige Musik im falschen (Leben)“ umformuliert.
Friedrich Nietzsche setzte sich mit klassischem Topos, dass Musik als Ausdruck von Affekten gilt, aus einer metaphysischen, einer historisch-genealogischen und einer physiologischen Perspektive auseinander. Musik wird als Sprache zur Bewusstmachung des Unbewussten gedeutet und aus ihr ein Konzept affektiv gegründeter Vernunft entwickelt.
Das Dreieck, Wagner – Nietzsche – Theodor Lessing untersucht Markus Kleiner genauer („Seliger Knabe und Gewissensrat. Nietzsches zwiespältiges Verhältnis zu Wagner und dessen lebensphilosophische Rekapitulation durch Theodor Lessing“). Seine Deutung erfolgt unter dem Primat der praktischen Vernunft, da die Musik, indem sie die Affekte in Bewegung setzt, auf die Pluralität von Anschauungen und unbewussten praktischen Bedürfnissen aufmerksam macht.
Fazit: Ein lesenswerter Beitrag zum Verhältnis Musik und Lebensphilosophie. Leider fehlen eine Bibliografie und vor allem ein Register.
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