
Stölzel: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld - Rheinische Kantorei, Das Kleine Konzert, Hermann Max
Auch von Bach geschätzt
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Drei von vier Solisten beeinträchtigen eine ansonsten engagierte Wiedergabe.
Das reiche Schaffen von Gottfried Heinrich Stölzel steht in Sachen Wiederbelebung noch in den Kinderschuhen. Die Musik von weit mehr als 400 Kantaten hat überlebt (fast alles blieb zu Lebzeiten ungedruckt), nur eine Handvoll ist in den vergangenen Jahren aufgeführt und auf Tonträger konserviert worden. Der Zeitgenosse Händels und Bachs profilierte sich vor allem als Hofkapellmeister des Herzogs von Sachsen-Coburg-Gotha, wo er dreißig Jahr bis zu seinem Tod 1749 tätig war. Er enttäuschte mehrfach nachhaltig die Wünsche seines Dienstherrn und steuerte rund zehn Jahre kaum Musik für die Hofkapelle bei.
Stölzels Stil ist von ebenso eigener Art wie etwa jener Grauns, Faschs, Graupners oder Telemanns, und vor allem dem Label cpo gebührt das Verdienst, seine Musik auch der breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen. Das Passionsoratorium 'Die leidende und am Creutz sterbende Liebe Jesu' (mit dem Incipit 'Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld') entstand schon 1720 zu Beginn seiner Tätigkeit in Sondershausen; es wurde vermutlich um 1730 revidiert und in den 1730er-Jahren mehrfach aufgeführt, nicht nur am herzoglichen Hof, sondern auch im fernen Leipzig, wo es 1734 in der Thomaskirche unter der Leitung von Johann Sebastian Bach aufgeführt wurde. Wie in der damaligen Zeit nicht unüblich, ist Stölzels Passionsoratorium eher kontemplativen denn dramatischen Charakters, die Zahl der Soloarien für die vier Solisten ist beachtlich. Ungewohnt ist die vierteilige Struktur, die die einzelnen Stationen der Passion klarer voneinander abgrenzen als dies in anderen zeitgenössischen Passionen der Fall ist. Stölzels besondere Fähigkeit und Interesse war das Rezitativ, mit dem er sich nach 1739 als Mitglied von Mizlers Gesellschaft der musikalischen Wissenschaften auch theoretisch befasste.
Musikalische Erhebung
Eine wesentliche Last der Interpretation des Werks, das 2019 auch durch György Vashegyi und seinen Purcell Choir auf Glossa vorgelegt wurde (allerdings basierend auf einer anderen, abweichenden Manuskriptquelle), liegt auf den Schultern der Solisten. Im günstigsten Fall sollten diese von hinreichender eigenständiger Stimmcharakteristik sein. Leider ist hier in den meisten Fällen noch viel Luft nach oben. Franz Vitzthum ist ein Countertenor vergleichbar etwa Michael Chance oder Tim Mead – eine eher ‚weiße‘, geschlechtslose Stimme mit etwas beschränktem Ausdrucksspektrum. Markus Brutscher gehört sicher nicht zu den besten Oratorientenören unserer Zeit – zu unstet ist nicht selten seine Intonation, in der Höhe kann die Stimme etwas grell werden. Auch Veronika Winter, vielgefragt und vielgeschätzt im Bereich der historisch informierten Aufführungspraxis, scheint sich in dem ungewohnten Repertoire nicht rundum sicher zu fühlen. Um ein Vielfaches stärker überzeugt der Bariton Martin Schicketanz, mit feinem Legato, sorgfältiger Phrasierung, vorbildlicher Ausgestaltung des Textes und vor allem einer warmen und kultivierten, rundum gut ansprechenden Stimme. Er weiß die lyrischen Aspekte seines Organs sensibel in seine Interpretation einzubringen und sorgt im besten Falle für musikalische Erhebung.
Gleiches gilt für die 12-köpfige Rheinische Kantorei in ihrem zum Zeit der Aufnahme 42. Jahr und für das nur wenig später gegründete Kleine Konzert. Hermann Max (der die Aufführungsfassung aus dem Manuskript des Werks im Schlossmuseum Sondershausen eingerichtet hat) ist ein souveräner Spiritus rector.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Stölzel: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld: Rheinische Kantorei, Das Kleine Konzert, Hermann Max |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 2 |
Medium:
EAN: |
CD
761203531127 |
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Stölzel, Gottfried Heinrich |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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