
British Music for Strings II - Südwestdeutsches Kammerorchester Pforzheim, Douglas Bostock
Es muss nicht immer Elgar sein
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Plädoyer für zwei mehr oder minder vergessene britische Komponisten.
Den Namen Granville Bantock kennen heute fast nur noch Eingeweihte – dabei war er vor dem Ersten Weltkrieg erfolgreicher als Edward Elgar. Bantock, obschon im britischen Bürgertum zutiefst verankert, war immer wieder für eine Überraschung gut. Er hatte eine Schwäche für vieles Exotische, besonders für die griechische Antike und die arabische Kultur. Mehr als eine halbe Stunde dauert seine Streicherserenade 'In the Far West' (1912), die Erlebnisse im ‚Wilden Westen‘ musikalisch verarbeitet (es gibt immer wieder ferne und manchmal auch nähere Anspielungen auf Dvořáks berühmte Sinfonie) – doch straft seine Komposition den offiziellen Titel auch ein wenig Lügen: Die Eröffnung ließe sich nicht minder auf den Nahen Osten denn auf den Fernen Westen beziehen.
Im Lauf der Komposition, deren ursprüngliche Version 1899-1900 als Streichquartett entstanden war, das aber in der Schublade liegen blieb, werden die nordamerikanischen Bezüge immer offenkundiger – er zitiert mehrmals Lieder von Stephen Foster, die er vermutlich für traditionelle Weisen gehalten hatte. Als Komponist für Streichorchester ist Bantock nicht minder erfolgreich als als Komponist für großes Sinfonieorchester – er weiß Klänge zu staffeln, Steigerungen aufzubauen, und wenn hier kontrapunktische Arbeit immer wieder in den Vordergrund tritt, liegt das sicher auch in der originalen Streichquartettgestalt begründet und mag deswegen auch ein Grund für sein Zögern in Sachen Veröffentlichung des Streichquartetts gewesen sein: Nicht zuletzt wollte er sich vor allem als Komponist für großes Orchester profilieren, gleich ob mit oder ohne Singstimmen – und dies ist ihm damals auch gelungen.
Vielfalt der Stimmungen
Schottisches Volksgut hatte Bantock spätestens seit 1909 fasziniert. 1913 entstand eine Schottische Rhapsodie für Streicher, kurz darauf gefolgt von der fünfsätzigen Streichersuite 'Scenes from the Scottish Highlands', die 1914 bei Breitkopf & Härtel verlegt wurde. Der Kriegsausbruch vereitelte die weitere Verbreitung des Werkes, die Londoner Erstaufführung erfolgte erst 1927. Zu diesem Zeitpunkt war die Popularität des Komponisten der 'Hebridean Symphony' (1915) bereits im Sinken begriffen – eine neue Generation ging harmonisch und auch was Klanggestalten anging ganz andere Wege. Dabei haben wir hier im Grunde im langsamen Satz ('Dirge') ein Schwesterstück zu Vaughan Williams‘ 'The Lark Ascending', von dunklerem Ton und weit über Vaughan Williams hinausgehend. In der Vielfalt der Stimmungen beweist Bantock einmal mehr, dass der lange als in den Zeitläuften verlorener Vielschreiber alles andere war als eine zu unterschätzende Größe.
Eine gewisse Protektion mag den Karrierebeginn des aus Yorkshire stammenden Christopher Wilson (1874–1919) auszeichnen: sein Onkel Francis William Davenport war sein Kompositionslehrer an der Londoner Royal Academy of Music, und durch ein Mendelssohn-Stipendium hatte er auf dem europäischen Kontinent studieren können. Doch statt eine professionelle Karriere auch als Komposition einzuschlagen, war Wilson vornehmlich als Dirigent und Komponist von Musik für die Bühne tätig. 1901 erlebte die hier vorgestellte Suite für Streicher ihre Uraufführung in Köln; sie wurde von Schott in Mainz veröffentlicht. Zwar ist sein kompositorisches Schaffen nicht ganz klein, doch blieb fast alles ungedruckt, darunter vor allem Kammermusik und eine Messe; außerdem war Wilson Komponist zahlreicher Lieder. Wilsons Suite ist weit konventioneller in der Machart als Bantocks Werke, doch handwerklich gut gemacht.
Vielfältige Farben
Umso bedeutender ist eine gute Umsetzung der Musik. Das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim erkundet die drei Werke mit viel Verständnis für den Personalstil beider Komponisten und feinem Klanggespür. Douglas Bostock weiß vielfältige Farben aus dem Klangkörper hervorzuholen, auch bei Bedarf den Ton zu schärfen und die Sonorität des Ganzen in den Vordergrund zu stellen. Auch die kontrapunktischen Aspekte der Musik kommen vorzüglich zum Tragen, und die Musik ‚sitzt‘ im besten Sinne des Wortes im Raum, kann sich entfalten, ohne dass die Klarheit der Texturen beeinträchtigt würden.
Das Booklet bietet eine erfreuliche Wiederbegegnung mit einem der wichtigsten Forscher zur britischen Orchestermusik der vergangenen fünfzig Jahre, Dr. Lewis Foreman, der 2021 seinen achtzigsten Geburtstag feiert. Zwar finden in seinen kenntnisreichen Einlassungen nicht alle Uraufführungsdaten ihre genaue Nennung, doch das große Verständnis für die Musik und ihre Komponisten ist jeden Moment ungebrochen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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British Music for Strings II: Südwestdeutsches Kammerorchester Pforzheim, Douglas Bostock |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203539529 |
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Bantock, Sir Granville |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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