
Giacomo Puccini: Il Tabarro - Radiochor MDR Leipzig, Dresdner Philharmonie, Marek Janowski
Puccini à la Hollywood
Label/Verlag: Pentatone Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser 'Tabarro' ist eine tontechnisch saubere Produktion mit effektvoller Wirkung.
Nachdem Pentatone vor Kurzem schon die Dresdner Aufnahme von Pietro Mascagnis 'Cavalleria Rusticana' auf den Markt gebracht hat, folgt nun der zweite Streich, der parallel zu Mascagnis Meisterwerk im März 2019 mit einer weitgehend identischen Besetzung entstanden ist: Giacomo Puccinis Einakter 'Il tabarro' auf ein Libretto von Giuseppe Adami. Dieser erste Teil von Puccinis 'Il trittico' ist ein wahrer Schocker, eine brutale und erbarmungslose Episode aus dem Leben eines unglücklichen Ehepaares auf einem Kahn auf der Seine. Michele und Giorgetta haben ihr Kind verloren und in der Folge auch einander. Giorgettas Affäre mit dem jungen Luigi bleibt nicht unbemerkt und so kommt es, wie es kommen muss: Der gehörnte Ehemann tötet den Rivalen bei Nacht und Nebel und versteckt den Toten unter seinem großen Schiffermantel, dem titelgebenden 'Tabarro'. Als Giorgetta auf der Suche nach ihrem Liebhaber an Deck kommt, präsentiert ihr Michele dessen Leiche.
Schaueratmosphäre
Am Pult der Dresdner Philharmonie steht für den Puccini-Einakter wieder Marek Janowski, in den Hauptrollen kommen erneut Melody Moore, Brian Jagde und Lester Lynch zum Einsatz. Gerade im Vergleich zur erwähnten 'Cavalleria Rusticana' gelingt hier vieles überzeugender. Puccinis düstere Farben bringt Janowski mit seinen Musikern effektvoll zur Geltung, die feucht-schummrige Schaueratmosphäre des ehemaligen Grand-Guignol-Sujets liegt ihm offenbar besser als das leidenschaftliche, heiße Flirren der sizilianischen Sonne. All die akustischen Schichten sind auch tontechnisch gut voneinander abgesetzt und fügen sich zu einem Gesamtbild, das eine hörbare Bühnenhandlung suggeriert. Aus der Ferne tönen die Stimmen der namenlosen Verliebten, der Chor zieht im Off vorbei, während der Liedverkäufer ganz in der Nähe seine melodische Ware anpreist. Im Vordergrund steht Micheles Kahn mit den verzweifelten Protagonisten, unter den Planken fließt die schwarze Seine. Das ist plastisch gearbeitet, satter Streicherklang und schimmerndes Holz inklusive. Überraschend oder eigenwillig ist Janowskis Zugang nicht, dafür blankpoliert mit einer leichten Tendenz zum Pauschalen.
Die vorliegende Einspielung ist in sich stimmig, funktioniert. Das Blut gefriert einem aber nicht in den Adern und Puccinis Musik rüttelt in dieser Lesart auch nicht tief am Gefühlshaushalt des Hörers. Vielmehr wird ein 'Tabarro' à la Hollywood serviert, in dem man große Leidenschaft behauptet, aber auch vieles Fassade bleibt. Besonders Brian Jagde fühlt sich in dieser Äußerlichkeit wohl. Mit prächtigem Stimmmaterial, angedunkeltem Timbre und jugendlichem Feuer stattet er seinen Luigi aus. Er setzt aber Leidenschaft mit Lautstärke und Kraftaufwand gleich. Das beeindruckt eine ganze Weile, verursacht aber auch recht schnell Eintönigkeit. Zudem ist sein Tenor beständig unter Druck, was dem Einsatz seines Vibratos wenig Kontrolle beschert.
Lyrische Qualitäten
Lester Lynch singt einen hochanständigen und kernigen Michele, der einzig etwas mehr interpretatorische Raffinesse und Wahrhaftigkeit vertrüge. Gerade sein 'Nulla! silenzio!' rückt bei aller Expressivität zu sehr in die Nähe von purem Stimmposing, anstatt glaubhaft und damit ergreifend zu sein. Gemeinsam mit Melody Moore liefert Lynch dennoch die beste Leistung. Die Sopranistin ist im dramatischen Fach nicht wirklich zuhause, aber die Giorgetta gelingt ihr wesentlich glaubwürdiger als noch die Santuzza in 'Cavalleria Rusticana'. Moore ist allzu oft gezwungen, unter enormem Kraftaufwand die notwendige Dramatik herzustellen, was klanglich nicht zu ihrem Vorteil gereicht. Wunderschön sind dagegen jene Momente, in denen die Sopranistin ihre lyrischen Qualitäten ins Spiel bringt, Spitzentöne mit bewusster Zartheit setzt und ihrer Giorgetta eine so wirkungsvolle wie glaubhafte Verletzlichkeit zugesteht. Dennoch wirken sowohl Lynch als auch Moore in der vorliegenden Einspielung viel zu sehr unter Starkstrom und getrieben, als dass ihnen der Raum bliebe, mit ihren Mitteln wirkliche Charaktere zu formen und Glanzlichter zu setzen.
Das übrige Ensemble ist tadellos besetzt: Roxana Constantinescu als Frugola, Simeon Esper als Tinca und Martin-Jan Nijhof als Talpa. Khanyiso Gwenxane veredelt den Liedverkäufer mit tenoralem Schmelz. Alles in allem ist dieser 'Tabarro' eine tontechnisch saubere Produktion, die zwar ‚phony‘ klingt, aber nicht frei von effektvoller Wirkung ist. Ob man die SACD allerdings im Regal stehen muss, bleibt natürlich Geschmackssache.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Giacomo Puccini: Il Tabarro: Radiochor MDR Leipzig, Dresdner Philharmonie, Marek Janowski |
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Label: Anzahl Medien: |
Pentatone Classics 1 |
Medium:
EAN: |
CD SACD
827949077364 |
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Puccini, Giacomo |
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