
Nunc Dimittis - Music from the Düben Collection - Kirchheimer DübenConsort, Jörg-Andreas Bötticher
Ein Fenster in die Vergangenheit
Label/Verlag: Passacaille
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dominik Wörner hat mit seinem Kirchheimer DübenConsort aus fantastisch qualitätvollem Material der Düben-Sammlung eine rundum empfehlenswerte Platte gemacht.
Die Sammlung, die der deutsch-schwedische Musiker und Repertoirekenner Gustav Düben im 17. Jahrhundert anlegte, ist heute unter dem Begriff Düben-Sammlung eine unangefochtene Größe: ein wundervoller Spiegel der Musik des 17. Jahrhunderts, vokal und instrumental. Immer wieder scheinen durch sie einzelne kompositorische Stimmen auf, werden Teile ansonsten verlorener Überlieferung sichtbar. Und so sehr man sich auch wünschte, alle der rund 2.000 Handschriften und Drucke zumindest klingend zu kennen, so schön ist es doch immer wieder, von dem Ergebnis der forschenden und interpretierenden Arbeit inspirierter Musikerinnen und Musiker überrascht zu werden.
Aktuell nachzuhören auf einer Platte des belgischen Labels Passacaille, die das von Jörg-Andreas Bötticher geleitete Kirchheimer DübenConsort mit dem Bass Dominik Wörner herausgebracht hat. Wörner ist wohl als Initiator zu bezeichnen, hat er doch als Gründer und Leiter des Kirchheimer Konzertwinters nach der Gründung des Kirchheimer BachConsorts 2008, das seitdem eine Reihe maßstäblicher Einspielungen mit der Musik Bachs und vor allem Graupners vorgelegt hat, mit dem nunmehr Anfang 2020 formierten DübenConsort eine weitere Größe von Rang an den Start gebracht.
Und wie nicht selten bei Programmen aus dem Düben-Kosmos sind neun der zwölf eingespielten Stücke erstmals zu hören. Neben bekannten Namen wie denen von Schütz, Knüpfer oder Capricornus erklingen auch die Werke unbekannterer Stimmen, so von Johann Michael Nicolai, Kaspar Förster oder Crato Bütner, die genauso wie ihre bekannteren Kollegen mitten im musikalischen Strom der Zeit agierten und erkennbar hochstehende musikalische Kunst zu schaffen in der Lage waren: Die hier erklingenden Geistlichen Konzerte mit dem fast viertelstündigen, geradezu dramatischen 'Laetatus sum' von Carlo Pallavicino als passendem Finale, dazu Sonaten, Canzonen und eine famose Suite des Thomaskantors Sebastian Knüpfer zeugen davon. Vor allem die instrumentalen Werke setzen an Zahl und mit ihrer beachtlichen Substanz das Zeichen, wie deutlich sich instrumentale Virtuosität im 17. Jahrhundert emanzipiert hatte und weiterentwickelt wurde.
Glänzende Interpretation
Das spiegelt das neu formierte Kirchheimer DübenConsort glänzend: Mit Katharina Heutjer und Johannes Frisch auf der Violine, Frauke Hess und Juliane Laake auf der Viola da gamba, Matthias Müller auf dem Violone, Julian Behr auf der Laute, Adrian Rovatkay auf dem Dulzian sowie Jörg-Andreas Bötticher auf der Orgel sind exzellente Fachleute und versierte Stilisten für diese Musik versammelt. Sie sind mit enormer Spielfreude und bei aller Explosivität auch mit ganz feinem Strich unterwegs, offenbaren eine wache kammermusikalische Haltung, halten die heikle Balance der klingenden Teile, geben dem anderen, benachbarten Klang stets Raum zur Entfaltung, sind selbstbewusst in der Ensemblegeste und aufmerksam in der Begleitung.
Letzteres macht die Geistlichen Konzerte zu einem echten Erlebnis, denn mindestens so sehr, wie diese Platte eine vorzügliche Ensembleinterpretation präsentiert, gibt sie auch ein vielseitiges Porträt von Dominik Wörners Stimme. Die vereint enorme Autorität mit einem einfach schönen Kern und entfaltet sich in diesem Repertoire im Grunde ideal – bei all den Bach- und Graupner-Klängen im Hinterkopf, die gleichfalls uneingeschränkt beeindrucken. Wörner weiß seine üppigen Mittel behände zu bewegen, seine fantastisch präsente Tiefe, die betörend leichte Höhe. Und es wird – am Bespiel von Schütz‘ 'Herrn, nun lässest du deinen Diener' – ein langer, beeindruckender Prozess der Reifung deutlich. Jenes Stück hatte Wörner bereits 2004 mit der Chapelle Rhénane in einer rundum gelungenen Einspielung beim Label K 617 vorgestellt, dort freilich ohne die von Düben in dieser Fassung hinzugefügten Mittelstimmen. Jetzt scheinen die schon seinerzeit beträchtlichen Mittel noch einmal viel zielsicherer zur Geltung gebracht, wirkt der Part noch einmal in einem umfassenden Sinne souveräner, gelassener bewältigt.
Lebendiges Klangbild
Jörg-Andreas Bötticher leitet das Ensemble zu einem Spiel mit frisch bewegtem Grundpuls an, zuzeiten nochmals gesteigert um kleinteilige Linearität verschiedener Instrumente. Dynamisch werden alle Optionen geradezu lustvoll ausgenutzt. Mit Blick auf die Intonation wäre makellos ein viel zu schwaches Wort, um das Geschehen angemessen zu beschreiben: Es ist ein Fest wunderbarer Klänge, hervorragend ausgehörter akkordischer Verbindungen und Schlüsse. Artikuliert wird hochaktiv, natürlich aus der Sphäre der Sprache heraus motiviert, insgesamt enorm energetisiert und engagiert gearbeitet. Das Klangbild ist lebendig, klar strukturiert, körperreich, in edler Balance befindlich und dazu vorbildlich gestaffelt.
Das Bild der Kunst- und Wunderkammern, das Peter Wollny in seinem bemerkenswerten Booklet-Essay bemüht, trifft das Phänomen der Düben-Sammlung auf den Punkt: Dominik Wörner hat mit seinem Kirchheimer DübenConsort aus diesem fantastisch qualitätvollen Material eine rundum empfehlenswerte Platte gemacht. Wollny bezeichnet das 17. Jahrhundert als Zeitalter des Staunens – die Düben-Sammlung ist für uns Heutige ein Fenster, durch das wir die enorme Vielfalt der Musik jener Zeit bestaunen können. Unbedingt anhören.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Nunc Dimittis - Music from the Düben Collection: Kirchheimer DübenConsort, Jörg-Andreas Bötticher |
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Label: Anzahl Medien: |
Passacaille 1 |
Medium:
EAN: |
CD
5425004840813 |
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Passacaille Das belgische Label PASSACAILLE wurde 1995 gegründet und sollte von Anfang an eine Plattform für hochrangige belgische Künstler der historischen Aufführungspraxis sein. Das Barockorchester il Fondamento mit seinem Leiter Paul Dombrecht und der Hammerklavierspezialist Jan Vermeulen gehörten zu den ersten, die für das Label aufnahmen. Später erweiterte sich der Künstlerkreis um weitere prominente Namen wie Wieland Kuijken oder das Ensemble Octophorus. Bald erhielten die Aufnahme internationale Preise, was als zusätzlicher Anreiz gesehen wurde, sich im künstlerischen Bereich auch internationalen Künstlern und Ensembles zu öffnen. Ab 2000 begann die Zusammenarbeit mit Künstlern aus verschiedenen europäischen und transatlantischen Ländern. 2006 übernahm der belgische Traversflötist und Musikwissenschaftler Jan de Winne das Label und erweiterte den Künstlerkreis des Labels erneut um international renommierte Künstler wie zum Beispiel Graham O'Reillys Ensemble Européen William Byrd und Lorenzo Ghielmis Ensemble La Divina armonia, das hier erst kürzlich eine fulminante Aufnahme von Händels Orgelkonzerte Op.4 vorgelegt hat. Als weitere Neuzugänge seien noch der brasilianische Cembalist Nicolau de Figueiredo, der Cellist Sergei Istomin und der Fortepianist Alexei Lubimov zu nennen. Im Rahmen der Neuorganisation des Labels möchte Jan de Winne den bewährten ursprünglichen Schwerpunkt Alter Musik in historischer Aufführungspraxis beibehalten, aber auch nach und nach Musik späterer Epochen in das Programm integrieren. Mehr Info... |
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