
Max Bruch: Complete Symphonies - Bamberger Symphoniker, Robert Trevino
Mehr als eine Rehabilitation
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die fast notorische Unterbewertung des Symphonikers Max Bruch (1838-1920) sollte mit dieser herausragenden Gesamteinspielung ein Ende haben: Robert Trevino und die Bamberger Symphoniker stellen diese Musik vollends neben Brahms und Bruckner.
Zumindest Max Bruchs Erste Symphonie von 1868 sollte – wie das zeitnah entstandene, einzig populäre Werk Bruchs, das erste Violinkonzert op. 26 – einen festen Platz in Konzertprogrammen erhalten. Vielleicht wirkte Kurt Masurs seit den 1980er Jahren prädominante Gesamtaufnahme mit dem Gewandhausorchester Leipzig abschreckend: Masur hat oft kein Händchen für spannende Temporelationen, und das dadurch meist etwas behäbig wirkende orchestrale Klangbild versteckt Bruchs Geschick als Orchestrator zu oft in pauschal aufgenommenem Mischklang. Spätere Aufnahmen unter James Conlon (EMI) und Richard Hickox (Chandos, Erste Symphonie schön gekoppelt mit dem Dritten Violinkonzert) illuminierten bereits das größere Potential: Conlons Kölner Orchester lässt allerdings stellenweise jenes Maß an spieltechnischer Virtuosität missen, das Hickox mit dem London Symphony Orchestra fast schon übertreibt (besonders das Scherzo der Ersten Symphonie ist dennoch als grandiose prä-wagnerianische Apotheose der Satz-Archetypen Mendelssohns bei den Londonern eine Wucht).
Überschaubare Konkurrenz
Robert Trevino (Jahrgang 1984) kommt ebenfalls aus der ebenfalls stark virtuos ausgerichteten amerikanischen Orchesterlandschaft mit Ausbildungserfahrungen bei Levine, Ozawa und Tilson Thomas, als (zweiter) Chefdirigent zudem fünf Jahre tätig in Cincinatti (immerhin ein ‚Big-Ten-Orchester‘). Viele wichtige europäische Orchester hat er inzwischen als Gast geleitet, Chef ist er seit 2019 als Nachfolger Marc Soustrots in Malmö (und schon seit 2017 im Baskenland). Mit den Bamberger Symphonikern scheint er sich in dieser Bruch-Aufnahmereihe des Bayerischen Rundfunks sehr gut verstanden zu haben: Die Abstimmungen sind durchgängig perfekt, das Orchester folgt auch bei längeren und dadurch oft diffizilen Tempo-Steigerungen wie im Kopfsatz der Ersten Symphonie so organisch, dass die Stärke und Notwendigkeit einer solchen eher historisch angemessen ‚expressiven‘ Gestaltung von Bruchs Musik mehr als deutlich wird. Dirigent und technische Aufnahmeleitung staffeln das satte und farbenreiche Bläser-Klangbild genau und lassen der hervorragenden Streichergruppe dennoch ihren breiten Raum. Ein Beispiel ist hier das – neben Opern-Vorspielen als die zweite CD füllende Zugabe – Vorspiel aus dem Oratorium 'Odysseus', das den suchenden griechischen Seefahrer 1871/72 musikalisch schon ganz an Parzifals Gralssuche bei Wagner heranrückt.
Bruchs Weg zwischen Schumann und Wagner
Wie sehr sich Bruch nach drei verschollenen Jugendwerken in einer schwierigen Phase der symphonischen Gattungsgeschichte zwischen 1868 und 1886 wandelte, ohne eindeutig einem Lager wie den Neudeutschen zuzustreben, machen Symphonien und auch die Orchesterstücke aus musikdramatischem Kontext deutlich: In der hier (erstmals?) eingespielten fünfsätzigen Fassung (mit H-Dur-Intermezzo vor dem Scherzo und langsamem Grave-Satz) hat die Es-Dur-Symphonie gerade in ihrer Anknüpfung an Schumann und Mendelssohn auch so viel Innovatives, dramatisch-expressiv Überbordendes zu bieten, dass eine intensive Kenntnisnahme nur zu empfehlen ist.
Dem gegenüber fallen die beiden späteren Symphonien etwas ab. Dunkel und mit deutlicheren Stereotypen aus der Symphonik Schumanns und einschlägiger Bühnenmusik die dreisätzige f-Moll-Symphonie von 1870, der Trevinos spannende Tempo-Regie noch mehr ästhetisch nutzt als der Ersten; hier ist das wundervoll und ergreifend vom Orchester ‚gesungene‘ 'Adagio ma non troppo' Herz der Komposition und Aufnahme. Bruchs Faible für langsame Sätze trägt wie bei 'Odysseus' auch in der 1882 komponierten und wenig später revidierten Dritten Symphonie: Hier finden sich in Kopfsatz und Adagio lebendige Thematik und schöne Studien im orchestralen Mischklang und seiner prozessualen Entfaltung; im eher kurz zum finalen Jubilus führenden Scherzo- und Final-Teil rettet die Interpretation ein wenig durch einen hier in den repetierten Lauffiguren doch zu konstatierenden Ideenmangel. Hier ist wirklich die vorhandene größere klangliche Brillanz hilfreich im Vergleich zu Masur oder Conlon.
Empatisch und emphatisch
Ein umfangreicher, inhaltlich etwas verschlungener und dennoch beherzter und informativer Booklet-Text von cpo-Hausautor Eckhardt van den Hoogen rundet das Gesamtbild dieser Produktion ab, die ohne jedes Zögern als neue Referenz nicht nur Fans des Komponisten empfohlen werden kann (die ja die früheren Aufnahmen auch schon kennen und haben), sondern auch den Repertoire-Hörern, die diese Musik noch nicht kennen (an der gegenüber älteren Einspielungen verbesserten Qualität von Interpretation und Aufnahmetechnik sowie den Zugaben aus 'Hermione', 'Loreley' und eben 'Odysseus' bemisst sich auch der hohe aktuelle Repertoirewert). Bruch ist jederzeit ein so abwechslungsreicher und handwerklich brillanter Komponist, dass in dieser empathischen wie emphatischen Einspielung unter Trevino nun wahrlich keine Langeweile mehr aufkommen kann.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Max Bruch: Complete Symphonies: Bamberger Symphoniker, Robert Trevino |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 2 |
Medium:
EAN: |
CD
761203525225 |
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Bruch, Max |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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