
Aram Khachaturian: Violon Concerto, Concerto Rhapsody - Antje Weithaas, Staatsorchester Rheinische Philharmonie, Daniel Raiskin
Violinmusik der klassischen Moderne
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Antje Weithaas (Violine) und das Staatsorchester Rheinische Philharmonie stemmen Chatschaturjans Violinkonzert sowie die Konzertrhapsodie für Violine und Orchester.
Eine neue cpo-Aufnahme bringt Violinmusik von Aram Khachaturian (Chatschaturjan) mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie (Koblenz) unter der Leitung des umtriebigen gebürtigen St. Petersburger Dirigenten Daniel Raiskin (*1970). Er ist derzeit Chef beim zentralkanadischen Winnipeg Symphony Orchestra und hält zusätzlich ab der Saison 2020/21 die gleiche Position bei der Slowakischen Philharmonie Bratislava. Mit dieser neuen Platte kehrt Raiskin aber zurück zu seinen Anfängen in Deutschland: Bei der Rheinischen Philharmonie begann er 2005 offiziell seine steile Dirigentenkarriere. Seine Dirigier-Ausbildung erhielt er unter anderem noch bei Mariss Jansons und Neeme Järvi. Als Solistin in Aram Chatschaturjans Violinkonzert sowie in der selten aufgeführten Konzertrhapsodie für Violine und Orchester wirkt hier eine der renommiertesten Violinprofessorinnen Deutschlands mit: Antje Weithaas. Neben ihrer Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin tritt sie nebenher immer noch vielerorts als gefragte Solistin auf.
Das Violinkonzert von Aram Chatschaturjan (1903-1978) ist ein inspirierendes, feuriges Werk, das hier auch durchweg so musiziert wird. Es ist in seiner Anlage fast immer sehr spritzig, rhythmusbetont, nur selten schnulzig, wobei die Violine in ihren schwelgerischen Soli ruhig noch etwas kräftiger hätte heraustreten können. Trotzdem weiß Anje Weithaas ihre Hörer mit edlen, retardierenden Momenten und ihrem charmanten Rubato nachhaltig zu bezaubern. Schon ihre kleine Kadenz vor dem Tempo I ist geigerisch gelungen; danach blitzt auch das Orchester mit seinem kurzen Zwischenspiel brillant auf. Diese Kunst beherrscht Daniel Raiskin vollendet: Plötzlich öffnet er die Schleusen des Klanges, was unerwartet großartige Erlebnisse zeitigt. Auch in der orientalisch angehauchten Idiomatik des Satzes darf Weithaas noch beherzter aufmucken, ihr Spiel kommt fast ein bisschen ‚akademisch‘ daher, was gar nicht als Vorwurf deklariert ist. Gemeint ist eben, dass ihr Spiel hier im Vergleich zum Beispiel mit Leonid Kogans 1951er Aufnahme etwas zu temperamentarm anmutet. Kogan ist eben da etwas vitaler. Die eigentliche Kadenz – die die Interpretin in einer erweiterten Fassung vorträgt - wird kurioserweise eingeleitet zusammen mit einem dreifach antwortenden Klarinettensolo. Die Violine ahmt das zweistimmige alternierende Spiel nach. Hier zeigt Antje Weithaas ihre große Fähigkeit zu vollem, lyrischem Violinspiel sowie ihre technische Versiertheit. Das ist wirklich sauber intoniert.
Eindrucksvoll
Der zweite Satz 'Andante' eröffnet im Walzertakt mit Fagott- und Klarinettensolo. Auf einem Klangteppich der Streicher entfaltet sich die Liedmelodie der Solovioline, die, wie gefordert, kantabel-espressiv loslegt. Eine bezaubernde, aber doch so fremdartige Musik ist das, die mit geschichteten Klängen und im Mittelteil mit sordinengedämpfter Solo-Violine betört. Hier punktet Antje Weithaas bei zurückhaltender Dynamik mit mal geheimnisvoll-süßem, mal schlangenbeschwörendem Spiel: Wie an einem silbernen Spinnfaden hängt ihr kleines Solo senza orchestra, ehe – nach unten oktaviert - die Reprise eingeläutet wird. Magisch zaubernd begleitet dazu das Staatsorchester Rheinland-Pfalz. Gen Ende zu wird die Wirkung des Satzes zunehmend pathetisch, weil das Orchester unvermittelt das Thema ‚con passione‘ übernimmt. Absolut eindrucksvoll.
Das 'Allegro Vivace' greift Rhythmen des Kopfsatzes auf und ist in seiner schneidigen Art schon fast einem Presto verwandt. Der Satz kokettiert mit zwei gegen drei Schlägen und hat im Zentrum jonglageartige Passagen, die die Interpretin meisterhaft bedient, weil sie die geforderte Technik in atemberaubender Manier bereithält. Am Ende gibt es noch einmal eine Klimax: Da faucht das Orchester richtig los wie ein Drache und die Interpretin muss an den vier armen Saiten ackern wie ein Rennpferd. Das David Oistrach gewidmete Opus liest sich da wie eine sowjetische Machtdemonstration 1940 nach dem gewonnenen Winterkrieg gegen Finnland und der Einverleibung der baltischen Staaten.
Die ebenfalls hier eingespielte Konzertrhapsodie für Violine und Orchester von Chatschaturjan ist ein späteres Werk des Meisters, fertiggestellt 1961. Sein Musikstil hat sich da schon deutlich gewandelt, ist moderner, freier, wilder geworden. Die rhapsodische Form spielt ihm da in die Hände. Kogan erledigte 1962 die Uraufführung, ebenfalls etwas flüssiger als Weithaas, zumindest ist das in seiner berühmten 1964er Live-Einspielung so, die heute immer noch bei Brillant Classics greifbar ist. Der Vergleich lohnt und zeigt das Vollblut-Können des Geigers, der erst 58-jährig viel zu jung 1982 starb.
Betörend
Die vorliegende, bereits 2017 eingespielte Version ist eine kluge Mischung aus kraftvoll eingesetzter Violintechnik und durchdachter musikalischer Gestaltung dieses fantastisch-verklärt anmutenden, großformatigen Klageliedes. Schemenhaft tritt die Solovioline nach einem betörend-exotischen Orchestervorspiel ans Tageslicht und muss gleich in einer Kadenz (abermals leicht fantasielos, weil zu undynamisch gegeigt) bestehen, die gut und gerne Eugène Ysaÿs‘ Feder hätte entschlüpfen können. Souverän nimmt die Solistin diese Hürde, fährt in Wohlklang fort. Eckhardt van den Hoogen hat es trefflich in seinem exzellenten Begleittext auf den Punkt gebracht, dass dieser 23-minütige Wurm dem Hörer abverlangt, sich ‚dem Geschehen aus[zu]liefern, als säßen wir zu Füßen eines Erzählers, eines Rhapsoden oder Aschugen, der von echten Aventiuren und ersonnenen Mären kündet und uns desto tiefer in seinen Bann zieht, je williger wir bereit sind, seine Gestalten in uns zum Leben zu erwecken.‘
Chatschaturjan kokettiert natürlich mit hinlänglich bekannten kompositorischen Versatzstücken, die der Hörer heute leider kaum noch (er-)kennt, weil ihm Chatschaturjans Symphonik und auch die von ihm herangezogenen volkstümlichen Weisen seiner armenischen Heimat kaum geläufig sind. Obwohl Weithaas über weite Strecken zwar allgemein überzeugend auftritt und sauber intoniert, gelingt es ihr dennoch nicht, in diesem Werk so etwas wie einen alles zusammenraffenden Bogen zu spannen, den man bei Kogan erspäht. Aber trotzdem zeigt sie eine höchst respektable Leistung, besonders in der rasant gespielten Coda. Nachhaltig überzeugt einmal mehr das farbige, quirlige Orchester unter Daniel Raiskin, sowohl mit seinem frischen wie ebenso zupackenden klassizistischen Tonfall.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Aram Khachaturian: Violon Concerto, Concerto Rhapsody: Antje Weithaas, Staatsorchester Rheinische Philharmonie, Daniel Raiskin |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203509324 |
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Khachaturian, Aram |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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