
Hans Swarowsky - the conductor - Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms, Schubert, Strauss, Wagner
Aus dem Archivschlaf
Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Diese 11-CD-Box gibt einen Einblick in die Faszination, die von dem Dirigenten Hans Swarowsky ausging.
Hans Swarowskys (1899–1975) diskografischer Nachlass ist im Grunde von beachtlichem Umfang – doch zumeist auf obskuren Plattenlabels und in Rundfunkarchiven. Vor Jahren erschien bei Weltbild Wagners 'Ring' in einer Studioproduktion aus Prag aus dem Jahr 1968, in beachtlicher Klangqualität und mit einer starken Solistenbesetzung; diese Produktion liegt mittlerweile bei Profil Hänssler vor (Swarowskys 'Lohengrin', seinerzeit gleichfalls bei Weltbild erschienen, ist zurzeit noch nicht wieder lieferbar, konnte solistisch aber auch nicht ganz mit der Konkurrenz am Markt mithalten).
Bescheidene Tonqualität
Nun also eine Box mit 11 CDs Orchestermusik (und einiger Werke für Gesang und Orchester) von Haydn bis Schönberg, teilweise von Schallplatte überspielt, teilweise aus Rundfunkarchiven. Was leider zuvörderst auffällt, ist die immer wieder bescheidene Klangqualität. Hier hätte es eines Tonmeisters bedurft, der das Quellmaterial nicht nur mit großer Sorgfalt, sondern mit noch mehr Liebe behandelt und so die Interpretationen auch klanglich aus dem Archivschlaf erweckt hätte. Dass etwa die WDR-Bänder und manche Aufnahmen aus Wien beachtliches Potenzial besitzen, ist schnell offenkundig.
Die Interpretationen machen (nicht in allen, aber in vielen Fällen) klar, wofür Swarowsky, heute nur mehr bekannt als Lehrer zahlreicher ganz unterschiedlicher Dirigenten (darunter Abbado, Caridis, Chmura, Guschlbaur, Jansons, Kitajenko, Gustav Leonhardt, López-Coboz, Mehta, Sinopoli, Soltesz, Bruno Weil), seinerzeit stand. Er hatte das ‚klassische‘ zeitgenössische Repertoire (Mahler, Strauss, Pfitzner, Hindemith, Stravinsky u.v.m.) aus erster Hand kennen gelernt, hatte nicht nur tiefe Einsicht in das kanonische Repertoire, sondern auch in die ‚wienerischste der Wiener Musik‘, die Musik der Familie Strauß. Überall zeichnet sich sein Dirigat durch klaren, unprätentiösen Zugriff auf die Musik aus, ohne unnötige agogische Eingriffe (seine Edition der 'Fledermaus' sollte Standardliteratur für jeden sein, der sich für die Wiener Musik der damaligen Zeit interessiert – vor allem für Dirigenten und Regisseure).
Sinfonik
Swarowskys Zugriff ist kein primär eleganter – vergleichbar etwa Joseph Keilberth geht es ihm um die Substanz, nicht das sinnliche Klangerleben. Und dabei gelingt ihm gerade durch die sorgfaltige Beachtung der Partiturvorgaben eben dies – eine Transparenz, ein formales Verständnis, an der es manchen Dirigenten der folgenden Generationen eklatant mangelte. Der Witz von Haydns D-Dur-Sinfonie Hob. I:93 aus Köln 1962 steht einer charmanten, aber gleichzeitig pathetisch ‚großen‘ Interpretation der berühmten C-Dur Hob. I:100 gegenüber, in der die Wiener Symphoniker (? – leider sind auf http://hansswarowsky.com/en/1215-discography.php alle Orchesternamen ins Englische übersetzt) 1956 durch Raffinesse und Dichte des Spiels den größten Teil der Interpretationen seither weit hinter sich lassen. Beethovens 'Eroica' mit dem Orchester der Wiener Staatsoper 1955 ist nicht minder dicht; leider ist die Interpretation insgesamt eher ‚muffig‘, dazu mit zu starkem Hall. Klanglich weit überzeugender ist aus Köln 1952 die Ouvertüre 'Die Geschöpfe des Prometheus'. Geradezu elementar gelingt Swarowskys Interpretation der Weingartner-Fassung von Beethovens Großer Fuge B-Dur op. 133 aus Köln 1962.
Auch wenn der kenntnisreiche, aber schlecht lektorierte Booklettext die besondere Bedeutung von Swarowskys Lesart von Schuberts großer C-Dur-Sinfonie 1957 etwas relativiert – das Ernstnehmen von Schuberts Alla-Breve des ersten Satzes war in damaliger Zeit keineswegs üblich. Doch gerade so gelingt Swarowsky und den Wiener Symphonikern eine Interpretation von einer Dichte, die wir auch etwa von einem Igor Markevitch oder einem Ferenc Fricsay hätten erwarten können. Ganz anders seine Behandlung der 'Unvollendeten' mit dem Orchester der Wiener Staatsoper, gleichfalls von 1957: Er breitet den Torso mit viel Liebe (aber auch noch mit etwas Portamento) aus (aber ohne das 'Andante con moto' zu zerdehnen), und man wünscht sich, die Edition enthielte auch eine Bruckner-Sinfonie, um zu hören, welche Verbindung Swarowsky zwischen beiden Komponisten herstellt.
Beeindruckender Mahler
Wie beeindruckend Swarowskys Bruckner sein dürfte, kann man an Swarowskys Live-Mitschnitt von Mahlers Dritter aus Berlin 1963 erahnen, mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin, der Altistin Sona Cervena, dem RIAS-Frauenchor sowie dem Knabenchor des Staats- und Domchores. Swarowsky hatte bei der Uraufführung von Mahlers Achter in München im Knabenchor mitgewirkt – dieses Erlebnis mag andeuten, als welch großer Mahler-Dirigent er auch heute noch bekannt wäre, hätte er wie Bruno Walter Unterstützung durch ein oder mehrere bedeutende Plattenlabel gehabt. Allein Swarowskys Mahler wäre eine eigene Besprechung wert – zu beeindruckend ist die Interpretation, insgesamt und in allen einzelnen Teilen (da stören auch kleinere Mängel im Detail nicht).
Nicht alle Orchester, die Swarowsky zur Verfügung stehen, können zur ersten Garde gezählt werden; doch wusste Swarowsky seinen jeweiligen Klangkörpern zumeist eine Intensität abzutrotzen, die anderen Dirigenten selbst mit Orchestern der ‚ersten Klasse‘ gelegentlich nicht möglich war.
Konzertwerke
Wie innovativ Swarowsky sein konnte, zeigt sich auch schon in Mozart. 1963 spielte er mit Friedrich Gulda und dem Orchester der Wiener Staatsoper die Klavierkonzerte C-Dur KV 467 und B-Dur KV 595 ein, in denen Gulda – anders als üblich – sich am Orchesterklang beteiligt, obschon sein großer Konzertflügel dem entgegenzustehen scheint. Dass das Orchester aufnahmetechnisch zu stark in den Hintergrund gerückt ist, beeinträchtigt den Gesamteindruck, doch ist offenkundig, dass Pianist und Dirigent in ihrem Streben nach formaler Klarheit und großer Transparenz ein dezidierter Gegenentwurf zu der ‚wabernden Schule‘ der ‚musikalischen Träumer‘ ist. Auch in Mendelssohns e-Moll-Violinkonzert op. 64 erweist sich Swarowsky mit den Wiener Symphonikern und dem Solisten Ivry Gitlis als ‚Matter-Of-Fact‘-Musiker, der sich jedes Säuseln verbittet, sondern den symphonischen Zug des Werks herausarbeitet, ohne den Solisten zu gängeln, der allerdings (in 24 Minuten) keinen Augenblick lang ‚trödeln‘ darf (mit nur verhältnismäßig wenig Ritardandi, die aber ausreichen, um eine mehr als nur hinreichende Portion Espressivo zu ermöglichen).
Aufnahmetechnisch problematisch wieder Mendelssohn Bartholdys Klavier für zwei Klaviere und Orchester E-Dur mit Orazio Frugoni, Eduard Mrazek und den Wiener Symphonikern, gleichfalls von 1954, voller Energie ein wunderbar atmendes 'Adagio non troppo'. Mrazek ist auch der Solist in Brahms‘ Zweitem Klavierkonzert mit dem Orchester der Wiener Staatsoper (1956/7), in überraschend gutem Stereoklang, in dem aber das Orchester hinter dem Solisten wieder einmal etwas hintanstehen muss; auch ist das Remastering nicht rundum gelungen.
Verschiedenes
Tontechnisch abermals hochproblematisch (verhallt, dennoch im Großen und Ganzen ‚muffig‘) ist leider Swarowsky lebhafte Wiedergabe der 'Kleinen Nachtmusik' von Mozart mit dem Orchester der Wiener Staatsoper 1955, die zu Fahrstuhlmusik oder als Hintergrundgetöne im Radio nicht geeignet wäre. Vier 'Ungarische Tänze' von Brahms, eingespielt mit dem Orchester der Wiener Staatsoper 1954, betonen die Schwerblütigkeit der Komposition, sind weit weniger exuberant als manch neuere Einspielung, sind aber im Detail wenigstens ebenso exakt.
Vorspiele aus sechs Wagner-Opern aus Prag 1950-52 und Wien 1954 zeigen unmittelbar Swarowskys dramatisches Gespür, stärker mit der Tschechischen Philharmonie Prag als mit den Wiener Symphonikern. Besonders der 'Rienzi'-Ouvertüre, aber auch dem 'Tannhäuser'-Vorspiel gibt er scharfes Profil, und auch die Vorspiele zu 'Tristan und Isolde' und 'Parsifal' wirken fast wie selbstverständlich; es ist keine Hilfe, dass die 'Lohengrin'-Vorspiele zum I. und III. Aufzug nicht in separaten Tracks angelegt sind. Umgekehrt ist auch Swarowskys ‚Strauß-Festival‘ mit dem Orchester der Wiener Staatsoper 1951 und der Tschechischen Philharmonie Prag 1957 voller Dichte und Ehrlichkeit – exakt und voller Verständnis für die Musik, aber ohne jede ‚Agogik-Allüre‘, dafür mit dem genauen Ohr auf dem Notentext selbst; Dirigenten dieses Kalibers erlebt man beim Wiener Neujahrskonzert heute nur noch sehr selten. Musterbeispiele, wie viel mehr weniger sein kann, sind aus Prag 'G‘schichten aus dem Wienerwald' op. 235 und aus Wien der 'Kaiserwalzer' op. 437, der in ganz eigener Weise den Bogen zurück schlägt zu Haydn.
Kongenialer Schönberg-Dirigent
Die Einspielungen von 'Kol Nidre' op. 39 und 'A Survivor from Warsaw' op. 46 von Swarowskys früherem Lehrer Arnold Schönberg aus dem Wiener Konzerthaus 1952 mit dem Akademie Kammerchor, den Wiener Symphonikern und dem Sprecher Hans Jaray sind wichtige Dokumente allein schon deshalb, weil es sich um die Weltersteinspielungen handelt. Swarowsky erweist sich als kongenialer Schönberg-Dirigent, der auch vor extremsten Ausbrüchen nicht zurückschreckt und doch Einzelnes wie Ganzes nie aus dem Blick verliert. Obschon ein Teil der Verwandtschaft seiner Frau in Konzentrationslager verschleppt und ihm die Dirigententätigkeit untersagt worden sein soll (zu seinen einflussreichsten Freunden gehörten Clemens Krauss und Richard Strauss), lässt er sich emotional nicht hinreißen, sondern ‚objektiviert‘ seine eigene Erfahrung (und auch etwa jene des Sprechers, der vor den Nazis in die USA geflohen und erst 1948 nach Österreich zurückgekehrt war). Den nachromantischen Schönberg präsentieren die 'Sechs Lieder' op. 8, vom Tenor Georg Jelden und dem Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester 1961 fast in einer Art retrospektivem Blick auf die 1920er-Jahre dargeboten – gerade in dieser doppelten historischen Brechung heute vielleicht von ganz besonderem Interesse.
1960-63 entstanden die hier zusammengetragenen Aufnahmen aus Köln mit Werken von Richard Strauss, mit dem Swarowsky befreundet war. Swarowskys arbeitet Strauss‘ ‚Polyphonien‘ heraus, den sinfonischen Duktus in 'Till Eulenspiegels lustige Streiche' op. 28, der Walzerszene aus 'Intermezzo' op. 72, einer Walzerfolge aus dem 'Rosenkavalier' op. 59, dem Sinfonischen Fragment 'Josephslegende' op. 63 und dem 'Tanz der sieben Schleier' aus 'Salome' op. 54. Er verzichtet mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester auf unnötige Tempoveränderungen und nimmt damit Strauss ernst – gerade bei den tänzerischen Stücken erreicht er so einen eleganten, von Understatement gezeichneten Fluss, der einen wünschen lässt, es gäbe auch hochkarätige Strauss-Opernaufnahmen unter Swarowsky, der hörbar alle Feinheiten von Strauss‘ Orchesterraffinement beherrscht; gerade der kurze Ausschnitt aus 'Intermezzo' von 1963 lässt aufhorchen.
Ungehobene Schätze
Jede Sammeledition lebt von der Auswahl (nahezu konsequent wird jedem Komponisten eine CD gegönnt – nur Mahlers Dritte macht, gekoppelt mit Schönberg, die Ausnahme). Die Website der Hans Swarowsky Akademie listet zahllose bislang ungehobene Quellen auf und ist noch längst nicht vollständig. Es steht zu hoffen, dass diese Box nicht die einzige Würdigung des Orchesterdirigenten Hans Swarowsky bleiben wird. Und vielleicht kommen ja auch noch eine oder zwei Boxen hinzu, die die Opernaufnahmen Swarowskys kumuliert zugänglich machen (Pfitzners 'Palestrina', Weinbergers 'Schwanda der Dudelsackpfeifer', 'Don Giovanni' mit dem reifen Mariano Stabile sind darunter, aber auch – eine Pioniertat – Haydns 'L‘anima del filosofo'; das Booklet berichtet, dass auch sonst noch allerhand Operneinspielungen Swarowskys auf die Veröffentlichungen harren). Und könnte sich Profil endlich entscheiden, ihre CD-Papierhüllen nicht zuzukleben, sondern durch etwas Wertigeres zu ersetzen, wäre auch dem interessierten Hörer gedient.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Hans Swarowsky - the conductor: Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms, Schubert, Strauss, Wagner |
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Profil - Edition Günter Hänssler 11 |
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EAN: |
CD
881488180619 |
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