
The liberation of the Gothic - Graindelavoix, Björn Schmelzer
Typisch englisch
Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine Graindelavoix-Platte, die interessant und zugänglich gleichermaßen ist. Das Ensemble balanciert gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Spezialität und allgemeiner Schönheit.
Björn Schmelzer und sein Ensemble Graindelavoix stellen auf ihrer neuen Platte zwei englische Komponisten in den Mittelpunkt, die ebendort seltener als andere zu finden sind: Thomas Ashwell (um 1478 – um 1527) und John Browne (um 1480 – 1505), zwei zentrale Figuren der frühen Renaissance, deren Musik nicht unbedingt umfangreich rezipiert wird. Browne begegnet man immerhin gelegentlich dank seiner vernehmlichen Präsenz im Eton Choir Book. Hier ist er mit zwei ausgreifenden Sätzen vertreten, die jeweils knapp zwanzig Minuten umfassen: Einem 'Salve Regina' und einem 'Stabat mater'. Dazu erklingt die fabelhafte Missa Ave Maria von Ashwell. Allesamt sind das typische Sätze jener Zeit – geprägt von dichtem Kontrapunkt und einem stark konstruktiven Zug; ein Satz mit weitem Klangumfang, mit oft sehr tiefem Bass und außergewöhnlich hohem Treble, dazu einer Fülle charakteristischer Querstände, die in dieser Intensität außerhalb der englischen Renaissance kaum je zu hören sind.
Björn Schmelzer – seine musikalischen Konzepte durchdacht zu nennen, wäre eine maßlose Untertreibung – findet in diesem englischen Programm zu einer stimmigen und nachvollziehbaren gedanklichen Verankerung, indem er das musikalische Geschehen in fruchtbare Beziehungen zur Architektur der Lady Chapel der Kathedrale von Ely und der sich damit verbindenden marianischen Frömmigkeit setzt.
Eigenwillige Könner
Auch der Gesang des ansonsten sehr auf einen individuellen Zugang abseits des üblichen professionellen Wohlklangs orientierten Formation Graindelavoix wirkt hier etwas herkömmlicher: Natürlich sind auch hier Verschleifungen und lineare Accessoires zu hören, die für das Ensemble typisch sind, aber doch nicht überbordend und nachvollziehbarer im Sinne einer subtilen Deutung. Damit ist die Formation zweierlei: gewohnt explorativ und intellektuell ambitioniert einerseits. Und phasenweise einfach ein exzellentes Ensemble, dem ein interpretatorischer Ansatz im Rahmen des eher Üblichen auch zur Verfügung steht.
Natürlich kosten die Vokalisten die vielen Querstände geradezu lustvoll aus, gewinnen ihnen mehr Potenzial ab als andere Interpretationen. Doch dosieren sie die üblichen Explikationen zurückhaltender. Die Einzelstimmen sind von klarem Charakter, der Zusammenklang ist unverwechselbar; beispielhaft steht Arnout Malfliet, der ein herausragender elegisch-düsterer Bass ist.
Natürlich ist die Intonation ungemein vielfarbig, durchaus erstklassig im herkömmlichen Sinne, dazu mit all den Spezialitäten einer besonderen Sphäre. Schmelzer lässt das Gewebe sehr verhalten fließen, oft gar dezidiert langsam. Die Vokalisten begreifen die Musik in ihrer architektonischen Größe – ausgreifend, strukturklar, mit himmelwärts strebender Größe, dabei filigran und leicht. Das Klangbild ist klar, von feiner Räumlichkeit, elegant und lebendig, präzis und stimmungsvoll.
Eine Graindelavoix-Platte, die interessant und zugänglich gleichermaßen ist. Das Ensemble balanciert gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Spezialität und allgemeiner Schönheit.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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The liberation of the Gothic: Graindelavoix, Björn Schmelzer |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Glossa 1 07.09.2018 |
Medium:
EAN: |
CD
8424562321151 |
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Ashewell, Thomas |
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Glossa Spaniens renommiertestes Klassiklabel wurde 1992 von Carlos Céster und den Brüdern José Miguel und Emilio Moreno gegründet. Sein "Hauptquartier" hat es in San Lorenzo del Escorial in den Bergen nahe Madrid. Zahlreiche herausragende Künstler und Ensembles aus dem Bereich der Alten Musik (z.B. Frans Brüggen und das Orchestra of the 18th Century, La Venexiana, Paolo Pandolfo, Hervé Niquet und sein Concert Spirituel u.v.a.) finden sich im Katalog des Labels. Doch machte GLOSSA von Anfang an auch wegen der innovativen Gestaltung und Produktionsverfahren von sich reden. Zu nennen wären hier die Einführung des Digipacks auf dem Klassikmarkt und dessen konsequente Verwendung, der Einsatz von Multimedia Tracks oder die Platinum-Serie mit ihrem avantgardistischen Design. Innerhalb der vergangenen knapp zwei Jahrzehnte konnte GLOSSA so zu einem der interessantesten Klassiklabels auf dem Markt avancieren. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt auch dem Spiritus rector und Gesicht des Labels, Carlos Céster. Mehr Info... |
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