
Casella, Alfredo - Sinfonie Nr. 2
Im Dialog mit Mahler und anderen
Label/Verlag: ARS Produktion
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Sinfonieorchester Münster nimmt sich unter Fabrizio Venture der Zweiten Sinfonie Alfredo Casellas an. Das ist ehrenwert und über weite Strecken hoch achtbar. Gegenüber Noseda zieht die Aufnahme trotzdem den Kürzeren.
Alfredo Casella (1883-1947) ist sich in seinem Schaffen durch den musikalischen Einfluss anderer gelegentlich selbst im Weg gestanden. Seine (Georges Enescu gewidmete) Zweite Sinfonie c-Moll op. 12 entstand 1908/9, und der junge Komponist wollte sie, so das Booklet, im April 1910 in bewusstem Konnex zu Mahlers Zweiter gehört sehen, nicht zuletzt weil beide Kopfsätze eine unverkennbare Verwandtschaft besitzen. Doch wäre es verfehlt, würde man Casella schlicht zu einem Epigonen degradieren. Schnell erweist sich die Sinfonie des Fünfundzwanzigjährigen als durchaus eigenständig kraftvoll und zeitgemäß. Gewisse Äußerlichkeiten am Rande reichen aber nicht, um einen wirklichen Vergleich zu Mahler zu bemühen – dafür ist Casellas Klangempfinden viel zu eigen und auch viel zu modern (moderner gar teilweise als Ottorino Respighi und andere). Viel näher liegt der Vergleich etwa zu Marx oder Korngold – und es muss überraschen, dass Casella sich in den folgenden Jahrzehnten nicht als Filmkomponist profiliert hat.
Es ist schwierige Musik – nicht nur des eher unbekannten Idioms wegen, das von den Interpreten besondere Einfühlung erfordert, sondern vor allem wegen der immer wieder extrem scharfen und exakten Rhythmisierungen und metrischen Wechsel, die Casella fordert (besonders der Beginn des ersten Satzes hat es in sich). Da tut die SACD-Aufnahmetechnik ihr Bestes, und bis auf wenige Ausnahmen gelingt den Musikern des Sinfonieorchesters Münster eine brillante Interpretation (nur eben nicht sozusagen beim ersten Eindruck, beim 'Allegro energico' des Kopfsatzes – da hätte eine Studioaufnahme statt eines Konzertmitschnittes helfen können). Allerdings können auch sie und ihr Generalmusikdirektor Fabrizio Ventura die Inkonsistenzen in Casellas Musik, plötzliche stilistische Brüche, die weit weniger überzeugen als bei Mahler oder anderen, nicht wirklich auffangen; das Trio des Scherzos etwa versinkt teilweise in Belanglosigkeit. Der langsame Satz hätte stärkere Expression vertragen können – Gianandrea Noseda hat gezeigt, wie’s geht, vor allem auch wie man die große Phrase exakt und sauber musiziert, auch live. Eine echt Mahler’sche Anleihe ist der Schlusssatz, ein Trauermarsch mit Epilog. Auch hier aber mangelt es dem Orchester an Exaktheit in der Ausführung; zugegeben, Casellas Anforderungen sind beachtlich, doch wenn eine entsprechende Interpretation auf die silberne Scheibe gebannt wird, darf und muss man die bestmögliche Darbietung einfordern. Immerhin, der Epilog gerät angemessen mystisch und unirdisch und versöhnt ein wenig. Dennoch bleibt der Rezensent der Weltersteinspielung auf Chandos treu.
1928-31 schuf Casella seine erste Oper 'La donna serpente' op. 50 nach Carlo Gozzi; die Uraufführung im frühfaschistischen Rom war kein Erfolg, und um wenigstens einen Teil der Musik zu retten, schuf der Komponist zwei Suiten mit symphonischen Fragmenten, deren erste, Fritz Reiner gewidmete, die vorliegende SACD komplettiert (Noseda spielte für Chandos beide Suiten ein). Bei diesen – musikalisch deutlich reiferen – Miniaturen fühlt sich das Orchester hörbarer wohler als in der Sinfonie; im abschließenden Kriegsmarsch verbindet Casella ernste und ironische Aspekte sowie modernistische Tendenzen und neoklassische Reverenzen. Hier gelingt es dem Sinfonieorchester Münster zu leuchten und spannende und atmosphärisch reiche Stimmungsbilder zu erzeugen. Mehr davon!
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Casella, Alfredo: Sinfonie Nr. 2 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: |
ARS Produktion 1 05.05.2017 62:50 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
SACD
4260052382325 ARS 38 232 |
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Casella, Alfredo |
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