
Jaell, Marie - Klavierkonzerte Nr. 1 & 2
Virtuose Klavier-Entdeckungen
Label/Verlag: Querstand
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Cora Irsen erweckt mit dieser exzellenten Einspielung die beiden Klavierkonzerte von Marie Jaëll aus einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf.
Wer als Pianist im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert etwas auf sich hielt, der nannte sich Liszt-Schüler – auch wenn er dem Meister nur einmal kurz die Hand geschüttelt hatte. Michael Stegemann, Verfasser einer umfangreichen Liszt-Biographie, hat darauf hingewiesen, dass die Zahl der ‚Liszt-Schülerinnen und -Schüler im engeren Sinne‘ (S. 296) deutlich geringer ist, als lange Zeit vermutet wurde. Zu der kleinen Zahl an Pianisten, die tatsächlich über eine längere Zeit von der Klavier-Legende unterrichtet wurden, gehörte auch die heute fast vergessene, aber seinerzeit berühmte Marie Jaëll (1846–1925). Die als Marie Trautmann im Elsass geborene Pianistin studierte zunächst bei Henri Herz und ab 1868 bei Liszt, bevor sie eine internationale Karriere begann. Trotz einer intensiven Konzerttätigkeit war Jaëll auch kompositorisch aktiv und schrieb neben einer großen Zahl an Solo-Klavierwerken und einigen Liedern die zwei auf dieser CD versammelten Klavierkonzerte. Cora Irsen, die bereits drei Folgen mit Klaviermusik der Komponistin veröffentlicht hat, widmet sich hier zusammen mit dem WDR-Funkhausorchester unter Arjan Tien diesen beiden Konzerten.
Anders als Liszt, der die Konzertform mit seinen Werken formal revolutionierte, wandelt Jaëll sowohl im ersten Konzert in d-Moll als auch im zweiten in c-Moll auf traditionellen Pfaden. Die bekannte Dreisätzigkeit wird ebenso gewahrt wie das Verhältnis von Klavier und Orchester – letzteres muss sich, wenn der Solist einmal hinzugetreten ist, meist unterordnen. Innerhalb dieser Ordnung halten die Konzerte aber pianistisch wie kompositorisch jedem Vergleich stand. In seiner Kompaktheit und der hohen Inspiration der Themen wirkt das zweite Konzert eine Spur gelungener als das erste, bei dem insbesondere der Finalsatz etwas aus den Fugen geraten ist.
Irsen zeigt sich hier wie dort als gewandte und hellhörige Pianistin, die den hohen technischen Ansprüchen jederzeit gewachsen ist und überzeugend gestalten kann – auch dort, wo zwischen Akkord- und Oktav-Donner die rein thematische Substanz vielleicht etwas dünn ist. Der Eintritt des Klaviers im Kopfsatz des ersten Konzertes ist ihr besonders gut gelungen. Die nicht übermäßig anspruchsvollen Begleit-Aufgaben werden vom WDR-Funkhausorchester souverän absolviert, Tien ist ein Dirigent, der das Ensemble stets im Griff hat. Zahlreiche überzeugende Details – wie etwa das Auskosten der lyrischen Melodiebögen in den Mittelsätzen – sorgen für einen positiven Eindruck.
Nicht ganz so glücklich ist die Balance zwischen Klavier und Orchester geraten, hier und da sorgen die lauten Tutti dafür, dass Irsen unnötig forcieren muss. Im Sinne eines ‚symphonischen‘ Klavierkonzertes (wie etwa des Zweiten Brahms-Konzertes) mag eine klangliche Augenhöhe zwischen Klavier und Orchester angemessen sein, doch in diesen beiden, doch eher traditionell auf das Soloinstrument zugeschnittenen Werken wirkt sie sich ungünstig aus. Das Klavier hätte hier für meinen Geschmack etwas deutlicher hervorgehoben werden müssen. Glücklicherweise verfügt Irsen über die notwendige Kraft, sich hier fast immer behaupten zu können. Schwer zu entscheiden, ob auch Tien gelegentlich noch für etwas mehr Zurückhaltung im Orchester sorgen könnte, mir scheint es so, als das Hauptproblem beim Klangbild liegt.
Ohne Zweifel hat Cora Irsen mit dieser Einspielung der beiden Jaëll-Konzerte eine Repertoire-Lücke geschlossen und die Messlatte dabei hoch angesetzt. Dass die beiden Werke trotz ihres hohen Niveaus in Vergessenheit geraten konnten, ist ein Schicksal, das sie mit exzellenten Stücken so mancher berühmter (männlicher) Tondichter teilen – Ernst von Dohnanyi, Eugen d‘Albert oder Franz Xaver Scharwenka stehen hier beispielhaft für viele. Insofern ist es eine offene Frage, ob – wie Irsen im Booklet vermutet – dies vor allem daran liegt, ‚dass sie eine Frau war‘ (S. 12). Eine Chance im nach wie vor recht schmalen Konzertsaal-Repertoire zwischen Beethoven und Rachmaninoff haben Jaëlls Konzerte auf jeden Fall verdient.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Jaell, Marie: Klavierkonzerte Nr. 1 & 2 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Querstand 1 15.03.2017 |
Medium:
EAN: |
CD
4025796016086 |
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Querstand Mit viel Liebe zum Detail bringt das querstand-Label dem interessierten Hörer die Vielfalt und Schönheit der klassischen Musik auf wenig ausgetretenen Pfaden näher. Das Label hat sich seit 1994 durch die Produktion hochwertiger klassischer CDs einen ausgezeichneten Ruf erworben. Über 500 Produktionen werden weltweit vertrieben, wobei ein Augenmerk auf Orgelmusik liegt. Die Gesamteinspielung der Orgelwerke von Johann Ludwig Krebs (bisher 11 CDs) und des Kantaten- und Orchesterwerkes des berühmten Bachschülers bilden ein Glanzlicht des Labels, dem mit der Serie ?Die Orgeln von Gottfried Silbermann? (8 CDs) ein weiteres zur Seite gestellt wurde (Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik 2003). Auch im kammermusikalischen und sinfonischen Bereich wurden zahlreiche CDs veröffentlicht, etwa mit dem Gewandhausorchester Leipzig. Mit der Aufnahme des Passionsoratoriums ?Der Tod Jesu? von Carl Heinrich Graun mit dem MDR Rundfunkchor und dem MDR Sinfonieorchester unter Howard Arman gewann das Label 2005 einen ECHO Klassik-Award. Im Jahre 2013 erhielt die 9-CD-Box mit allen Sinfonien Anton Bruckners, eingespielt von Herbert Blomstedt mit dem Gewandhausorchester Leipzig, den ICMA (International Classical Music Award). Mit Verlagssitz im Thüringischen Altenburg kann querstand von der einzigartigen Vielfalt der mitteldeutschen Musiklandschaft profitieren, die sich auch im Verlagsprogramm niederschlägt. Neben den vielseitigen Einflüssen der fantastischen Orgellandschaft der Region, ist es auch die Nähe zur Musikstadt Leipzig mit ihrer wunderbaren Tradition und facettenreichen Szene, auf die das Label besonderes Augenmerk richtet. Mehr Info... |
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