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Montag, 2. Oktober 2023

Reubke, Julius - Klaviersonaten

Zwei-Werk-Meister


Label/Verlag: Hyperion
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Markus Becker erfasst die großen Linien in den beiden Werken von Julius Reubke. Er bezaubert mit Virtuosität und Klarsicht und bringt die Qualitäten von Reubkes Musik beispielhaft zur Geltung.

Es gibt nur wenige Komponisten, die zu Recht als ‚Ein-Werk-Komponisten‘ bekannt sind, nicht der Rezeption sondern tatsächlich des Schaffensoutputs wegen. Ein solcher Komponist war Julius Reubke (1834-1858), der zunächst in Berlin studierte, ehe er 1856 nach Weimar in Liszts Kreise wechselte. 1857 vollendete er seine große Klaviersonate b-Moll, neben der ebenfalls 1857 vollendeten Orgelsonate c-Moll 'Der 94. Psalm' sein zweites bedeutendes Werk (beide erschienen erst 1871 posthum im Druck). Reubkes Klaviersonate, wie Liszts h-Moll-Sonate von 1853 in einem großen Spannungsbogen konzipiert, ist ein beliebtes Werk hochbegabter Pianisten, gerade weil der technische Anspruch dem musikalischen adäquat ist. Reubkes Sonate erfordert eine Vielzahl an klanglichen Valeurs, einen Blick fürs große Ganze, spielerische Virtuosität und einen an Beethoven, Chopin und Liszt geschulten Intellekt. Für einen 23-jährigen Komponisten ist das Werk eine ebenso beeindruckende Leistung wie etwa die Klaviersonate von William Baines‘ (1899-1922), und wenn bei Reubke Liszt-Schatten unüberhörbar sind, ist die musikalische Invention doch beeindruckend.

Auch August Stradal (1860-1930) war Liszt-Schüler, heute ist er vor allem für seine Klaviertranskriptionen von Werken Bruckners, Liszts, Mahlers oder Bachs bekannt. Klaviertranskriptionen hatten in jener Zeit vornehmlich den Zweck, Musik für andere Medien (Orchester, Orgel etc.) dem häuslichen Musizieren zu erschließen, doch Stradals Adaptionen gehen über dieses Ziel in ihrem virtuosen Anspruch weit hinaus: sie kann man als Hilfsmittel für die gehobenen musikalischen Salons ansehen, in denen die neueste musikalische Literatur diskutiert wurde. Stradal ist zu verdanken, dass Reubkes große Orgelsonate auch dem Pianisten verfügbar ist – die Transkription erschien 1925, also zu einer Zeit, als Grammophonaufnahmen noch nicht imstande waren, die reichen Klangmöglichkeiten der Orgel genügend darzustellen. Reubke selbst hat schon das zentrale 'Adagio' für Klavier eingerichtet; ob er eine vollständige Transkription plante, bleibt unklar.

Beide Bearbeitungen werden hier – meines Wissens zum ersten Male – auf CD vorgelegt. Es war seinerzeit durchaus nicht häufig üblich, den Psalm ‚Herr Gott, des die Rache ist, erscheine‘ als musikalischen Vorwurf zu nutzen – in dieser Hinsicht kann man Reubke fast als frühen Symbolisten ansehen. Die Tiefgründigkeit der Musik transportiert sich auch in der Klavierfassung beeindruckend, auch wenn dem an die Orgelfassung Gewohnten doch bestimmte Farben fehlen mögen. Die Klarheit, die das Klavier als zusätzliche Komponente bieten kann, ist eine besondere Qualität, die der Komposition auch eine weitere Dimension eröffnet, nicht fern Liszts 'Études d‘exécution transcendente'. Der Blick weit ins 20. Jahrhundert, den das Werk gerade auch in der Klavierfassung tut (mit einer brillant transkribierten Schlussfuge), hebt Stradals Einrichtung weit über die technische Komponente hinaus.

Markus Becker ist bekannt dafür, dass er sich gerne intellektuell anspruchsvollen Werken stellt, deren Virtuosität nicht Selbstzweck ist. Sein Reubke ist geprägt durch musikalische Poesie und Mystik gleichermaßen, virtuos scheint dem Pianisten keine Hürde zu hoch, die musikalische Tiefe wird dem Hörer in großer Klarheit präsentiert. Manchem Hörer wird das transparente Spiel Beckers gerade im '94. Psalm' vielleicht zu transparent sein, doch eröffnet er hiermit Horizonte, die man in der Orgelfassung nie hätte erahnen können. Brillante Aufnahmetechnik und ein mehrsprachiges Booklet mit leider an zentraler Stelle falscher Argumentationslinie komplementieren ein beeindruckendes musikalisches Erlebnis, das etwa auf Ferruccio Busoni, Charles Ives oder Kaikhosru Sorabji vorausweist.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Reubke, Julius: Klaviersonaten

Label:
Anzahl Medien:
Hyperion
1
Medium:
EAN:

CD
034571281193


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Hyperion

Founded in 1980, Hyperion is an independent British classical label devoted to presenting high-quality recordings of music of all styles and from all periods from the twelfth century to the twenty-first. We have been described as 'Britain’s brightest record label'. In January 1996 we were presented with the Best Label Award by MIDEM's Cannes Classiques Awards. The jury was made up of the editors of most of the leading classical CD magazines in the world - Classic CD (England), Soundscapes (Australia), Répertoire (France), FonoForum (Germany), Luister (Holland), Musica (Italy), Scherzo (Spain), and In Tune (USA & Japan).

We named our label after an altogether splendid figure from Greek mythology. Hyperion was one of the Titans, and the father of the sun and the moon - and also of the Muses, so we feel we are fulfilling his modern role by giving the art of music to the world.

The repertoire available on Hyperion, and its subsidiary label Helios (Helios, the sun, was the son of Hyperion), ranges over the entire spectrum of music - sacred and secular, choral and solo vocal, orchestral, chamber and instrumental - and much of it is unique to Hyperion. The catalogue currently comprises nearly 1400 CDs and approximately 80 new titles are issued each year. We have won many awards.

Our records are easily available throughout the world in those countries served by our distributors. A list of the world's top Hyperion dealers, listed by country and city, can be found on our homepage. But if you have any difficulty please get in touch with the distributor in your territory. In Germany that is Note 1 Music Gmbh.


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