
Flos virginum - Motetten des 15. Jahrhunderts
Wenig bekannte Facetten
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Musik des Spätmittelalters eine andere Perspektive auf die Musikstadt Wien, in einer behutsamen Deutung des Ensembles Stimmwerck.
Mit der Musikstadt Wien, mit dem Habsburgerreich verbinden sich verschiedene musikalische Epochen in der heutigen Wahrnehmung deutlicher als andere – zu den weniger typischen darf sicher die Zeit des Spätmittelalters gerechnet werden, da sich Habsburg und Wien erst anschickten, eminentes Machtzentrum und damit auch kulturell gewichtiger Ort zu werden. Von dieser fernen Zeit, schwerpunktmäßig dem 14. Jahrhundert, kündet die vorliegende Platte des Vokalensembles Stimmwerck. Das Programm ist hervorgegangen aus einem Forschungsprojekt der Universität Wien, das dem Musikleben des Spätmittelalters in Österreich gewidmet ist.
Unter dem Titel ‚Flos virginum‘ werden Motetten und Cantionen gesungen, die oft gespinstartig leicht entfaltet werden, zugleich von intensiver kontrapunktischer Grammatik bestimmt sind. Immer wieder werden einzelne Stimmen außerordentlich bewegt über liegenden oder allmählich fortschreitenden Tönen geführt, kunstvoll vertrackt, rhythmisch prägnant und doch komplex, linear verschlungen und in der Grundanmutung kaum je heutig – all das sollte in der Musik des beginnenden 16. Jahrhunderts deutlich fortentwickelt werden. Es ist Musik zeitlich neben dem ehrfurchtgebietenden Werk Guillaume Dufays, auch künstlerisch gelegentlich auf exzellenten Höhen, in Arbeiten von Johannes Pullois oder Johannes Brassart, dazu in manch anonym überliefertem Satz.
Behutsamer Zugriff
Beim vielfach erfahrenen Ensemble Stimmwerck ist diese Musik in guten Händen. Die Formation ist versiert, agiert mit einem sehr behutsamen Zugriff, stets auf maßvolle Klangentfaltung bedacht. Es singen der Kontratenor Franz Vitzthum, die beiden Tenöre Klaus Wenk und Gerhard Hölzle sowie der Bass Marcus Schmidl, alle mit großer Expertise in verschiedenen Ensemblekonstellationen. Als Gast ist dazu der Kontratenor David Erler zu hören.
Die Formation agiert souverän in frei fließenden Tempi, intoniert überzeugend, von nur sehr wenigen Trübungen abgesehen. Und sie lässt den rhythmisch oft heiklen Gebilden eine dezidierte lineare Gliederung angedeihen, immer auf lebendige Interaktion der Stimmen bedacht.
Franz Vitzthum bildet eine zugleich weiche und prägnante Oberstimme, dazu liefert Marcus Schmidl ein bemerkenswert warmes Bassfundament. Überhaupt sind die Randstimmen sehr präsent, und erstaunlicherweise entfalten sich die beiden Tenöre bei aller detaillierten Durchhörbarkeit des räumlich sehr fein disponierten Klangbilds nicht in gleicher Weise. Dass sie ähnliche Möglichkeiten haben, zeigen etliche schöne Bizinien verschiedener Konstellation, zum Beispiel von Klaus Wenk und Marcus Schmidl.
Insgesamt bleiben die Stimmen bei allem positiven Eindruck, den die vier Vokalisten als Ensemble machen, etwas disparat, vielleicht auch zu individuell in den Farben, nicht hinreichend von einem gemeinsamen klangästhetischen Ideal überwölbt. Wobei – diesen Befund einschränkend – gesagt werden muss: Die erklingende Musik ist in der Tat ausgesprochen zerbrechlich und nicht ohne weiteres in ein Gewand klingender Gemeinsamkeit zu kleiden.
Als Fazit steht eine hochinteressante wissenschaftliche Arbeit mit erfreulichem musikalisch-interpretatorischen Ertrag. Den Sätzen ist eine Verankerung im Repertoire zu wünschen, auch wenn nicht sicher ist, dass das über diese Platte hinaus wirklich geschehen wird.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Flos virginum: Motetten des 15. Jahrhunderts |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 1 20.07.2015 |
Medium:
EAN: |
SACD
761203793723 |
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Anonymous, |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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