
Österreich, Georg - Psalmen und Kantaten
Nicht nur ein Sammler
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Psalmen und Kantaten von Georg Österreich: lohnende Musik in einer ausgewogen hochklassigen Interpretation durch Manfred Cordes und sein Ensemble Weser-Renaissance.
Georg Österreich, geboren 1664 in Magdeburg, ausgebildet an der Leipziger Thomasschule bei Johann Schelle, später als Tenor mit einer erfolgreichen Karriere in Hamburg und Wolfenbüttel, dort unter den Fittichen von Johann Theile, dann, noch in sehr jungen Jahren 1689 auf die Empfehlung des Theile-Schülers Johann Philipp Förtsch als Kapellmeister an den Hof nach Gottorf gerufen, ist heute vor allem als Sammler und Bewahrer jener Musik bekannt, die an deutschen Höfen und in den großen Kirchen vor Johann Sebastian Bach und seinen unmittelbaren Zeitgenossen musiziert wurde und populär war. Diese Sammlung wurde später von Österreichs Schüler Bokemeyer erweitert. Schon die Begründung dieser Sammlung ist eine kaum zu überschätzende Leistung, vergleichbar etwa der des Schweden Gustav Düben, dessen Konvolut ein zweites umfassendes Bild zur Musik des 17. Jahrhunderts bewahrt hat.
Doch ist Österreich auch seinen Pflichten nachgekommen, indem er selbst komponiert hat. Manfred Cordes hat nun, in der dritten Folge seiner Reihe mit Musik für Schloss Gottorf, ein klingendes Österreich-Porträt geschaffen. Man hört sehr schnell, dass Österreich über aktuelle Entwicklungen, stilistische Novitäten und die vielen Einflüsse europäischen Komponierens seiner Zeit bestens im Bilde war. Vielleicht war er kein Großmeister überkommener Satztechniken, ein bemerkenswert sensibler Disponent expressiver Möglichkeiten war er gewiss.
Das Ergebnis ist Ausdrucksmusik, der schon die Anmutung des Gelehrten abgeht, lebendig und textgezeugt, expressiv, durchaus auch mit manch theatralischer Geste. Auffallend sind die vergleichsweise hohen Anforderungen an die Vokalstimmen, die Österreichs eigene Expertise als versierter Tenorist widerspiegeln. Neben der affektiven Frische und Entschiedenheit ist es dieser Aspekt, der Österreichs Musik besonders macht, wenngleich sich natürlich auch beim ihm Erwartbares und Konventionelles hören lässt.
Manfred Cordes hat fünf sehr schöne Beispiele zu einem feinen Programm gefügt: Den Auftakt macht der ansprechend bewegte, gelegentlich virtuose Ensemblepsalm 'Sie ist fest gegründet', dann folgt mit 'Herr Jesu Christ, wahr‘ Mensch und Gott' eine klangschöne, weitgehend schlicht gehaltene Choralkantate, deren wundervoll verhaltene Schlusswirkung individuelle Qualitäten dokumentiert.
'Dixit Dominus Domino meo' ist ein farbiger Großpsalm von bemerkenswerter Ausdehnung. Mit der Kantate 'Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand' begegnet uns eine intensive Trauermusik, voller fein schattierter Ausdrucksvarianten, den Schluss bildet die erzählerisch starke Evangelienkantate 'Und Jesus ging aus von dannen': Hier ist, in freilich milder Dramatisierung, zu hören, dass Österreich die Welt des Theaters kannte und die deutliche Affektenzeichnung zu schätzen wusste.
Versierte Experten
Diese durchaus attraktive Musik ist bei Manfred Cordes und seinen Mitstreitern von Weser-Renaissance in besten Händen, etwas anderes war nicht zu erwarten. Fünf Vokalisten sorgen mit dezenter Grundgeste für eine sehr angemessene Umsetzung, werden mit ihren vielfach dokumentierten Qualitäten, mit ihrer subtilen Stilkenntnis diesem Repertoire sehr deutlich gerecht: Ulrike Hofbauer und Marie Luise Werneburg singen Sopran, David Erler Altus, Hans Jörg Mammel Tenor, Harry van der Kamp schließlich Bass – eine mehr als respektable Reihe mit üppigen individuellen Möglichkeiten. Und es sind sämtlich Experten des Gesangs zwischen solistischer, auch technisch fordernder Geste und uneitlem Ensemblemusizieren. Alle fünf singen behände, eloquent und mit großer Sensibilität, so dass kleinere Nachlässigkeiten in der Diktion nicht entscheidend ins Gewicht fallen.
Begleitet wird das Vokalquintett von einer gleichfalls hochkompetenten Gruppe von Instrumentalisten, die ihrerseits mit subtil entfalteter Klangkultur agieren. Ein feiner, dezenter, durchaus im Sinne affektiver Notwendigkeit dynamisch steigerbarer Kern prägt das Bild. Überzeugend ist die verlässlich begleitende Grundierung des vokalen Geschehens mit elegant präsentierten Farben. Auch die instrumentale Führungsrolle wird souverän ausgefüllt, wenn gefordert, durchaus mit solistischer Geste, etwa in den Vorspielen zum ‚Dixit Dominus‘ oder zur empfindungsreichen Trauerkantate.
Manfred Cordes wählt fließende Tempi, etwaige Beschleunigung ergibt sich verlässlich aus der Kleinteiligkeit vor allem der vokalen Linien. Artikulatorisch wird das Geschehen souverän aus dem Text entfaltet, das instrumentale Idiom bleibt eng auf diese Ebene bezogen. Das Klangbild der in der Gottorfer Schlosskapelle entstandenen Aufnahme ist überaus klar, sehr präzis, wirkt harmonisch, fein in den Raum integriert, mit eleganter Gesamtanmutung.
In der Summe eine sehr schöne Fortsetzung der interessanten Reihe zur Gottorfer Musik – immerhin zu jener Zeit eins der wichtigen Zentren musikalischen Geschehens in Deutschland. Georg Österreichs Größe nur in seiner Sammlertätigkeit sehen zu wollen, ihn möglicherweise als komponierenden Kleinmeister abzuqualifizieren, geht unbedingt fehl. Gewiss, man wird die Musikgeschichte auch nach dem Hören dieser sehr lohnenden Platte nicht umschreiben müssen, doch lassen Manfred Cordes und das Ensemble Weser-Renaissance dem fast vergessenen Komponisten wünschenswerte Gerechtigkeit widerfahren. Und sie vermitteln einen lebendigen Eindruck davon, dass das ausgehende 17. Jahrhundert keine Vor-Bach-Zeit ist, die in der Retrospektive auf ein bloßes Vorstadium zu etwas Größerem reduziert werden kann, sondern die in großer Vielfalt Kunst eigenen Ranges hervorgebracht hat.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Österreich, Georg: Psalmen und Kantaten |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 1 20.04.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
761203794423 |
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Österreich, Georg |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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