
Stäbler, Gerhard - HEISS! - Orgelwerke
Orgel-Soundscapes
Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Der Organist Dominik Susteck bringt auf seiner neuesten CD die manchmal etwas trockenen Werke von Gerhard Stäbler zum Strahlen.
Alle Jahre wieder überrascht der Organist Dominik Susteck mit einer neuen CD, die sich dem Schaffen eines zeitgenössischen Komponisten widmet. Nach den Veröffentlichungen zu Karlheinz Stockhausen (Wergo, 2011), Wolfgang Rihm (Wergo, 2012), György Ligeti (Wergo, 2013), Jörg Herchet (Querstand, 2013) und Adriana Hölszky (Wergo, 2014) wendet sich die neueste Wergo-Produktion dem Komponisten Gerhard Stäbler (*1949) zu. Zwar unterstreicht Hanno Ehrler in seinem ausgezeichneten Booklettext, dass Stäbler der Orgel seit jeher ein großes Interesse entgegenbringt und mit einer ‚tief empfundenen Emphase‘ von ihr spricht; dennoch gibt es in seinem umfangreichen Œuvre bislang nur eine Handvoll der Orgel zugedachte oder auf ihr ausführbare Kompositionen. Gegenüber anderen Werken des Komponisten heben sich diese Stücke insofern positiv ab, als die von Stäbler oft bis zum Exzess verwendeten Neue-Musik-Klischees von der Aura des Instruments geschluckt werden; dennoch wirken sie gelegentlich etwas trocken, was Susteck mit viel Fantasie kompensiert.
Bei der Umsetzung der Werke legt der Organist großes Geschick an den Tag, indem er sie durch die eindrucksvollen Möglichkeiten der Orgel an der Kunst-Station Sankt Peter in Köln klanglich aufwertet. Dies lässt sich gleich zu Beginn der CD bemerken, wenn Susteck die ursprünglich für Cembalo entstandene Komposition '!? – Musikalischer Essay über die Grenzen des Möglichen' (2001) auf die Orgel überträgt. Gegenüber der Originalfassung gewinnt das auf das Phänomen der Repetition fokussierende Stück ganz besondere Reize, da einerseits die spezifische Art der Tonerzeugung samt der Verzögerung beim Einsetzen des Klangs, andererseits aber auch das Zusammenwirken der unterschiedlichen Register eine bis in den Bereich des Geräuschs reichende Ereignisvielfalt generieren. Über zwanzig Minuten hinweg entsteht ein Szenario, das sich in bestem Sinne als Soundscape-Studie voller wuchtiger, skulptural wirkender Klangsituationen und -gegensätze begreifen lässt.
Ähnliches lässt sich auch für das Orgelstück 'HEISS! ' (1988) geltend machen, in dem Susteck seiner interpretatorischen Kreativität vollen Lauf lässt. Dabei kommt ihm die spezielle Beschaffenheit der Partitur entgehen, die aus einer Montage von Barcodes besteht, wie sie heute als Informationsträger an jedem Produkt angebracht sind, zur Entstehungszeit des Werkes aber erst eingeführt wurden. Susteck transformiert die visuelle Abfolge dicker und dünner Striche in repetitive Strukturen von oft perkussiver Qualität und konfrontiert sie mit raschen Passagen voller Akkorde und eruptiver Einwürfe. Im Gegensatz dazu wirken die fünf Einzelsätze von 'Windows' (1983) nicht nur viel stärker zurückgenommen, sondern auch – von einzelnen, eher leise angestimmten perkussiven Ereignissen einmal abgesehen – in der Klangfarbenwirkung wesentlich milder. Dass Stäbler sich hier dem Titel gemäß einzelne Fenster denkt, aus denen divergierende klangliche und musikalische Realitäten auf unterschiedliche Weise gefiltert dem Hörer begegnen, lässt das Stück zu einer Art Pasticcio voller Bildhafter Klangeindrücke werden.
Das von der Konzeption her schwächste Werk ist 'TAP' für Orgelpedal solo (1998), eine Art Etüde, die dem Interpreten Lautstärkegrade, Klangdauer und Anzahl der Pedale vorgibt. Auch in diesem Fall verlässt sich Susteck wieder auf die Klangvielfalt der Orgel, die er als Kontrapunkt zur beschränkten Tonerzeugung mit den Füßen nutzt. Wesentlich spannender ist die fast 30-minütige Komposition 'Aber …' (2009), die Stäbler im Untertitel als ‚eine Phantasie‘ bezeichnet: Obgleich das Klangbild aufgrund der über weite Strecken herrschenden Einstimmigkeit oder lang gehaltener Einzeltöne eher reduktionistisch wirkt, erscheint das Stück bei der Umsetzung nicht ermüdend. Dies erreicht Susteck dadurch, dass er mit seiner Interpretation die klanglichen Extreme sucht und zarte, kaum hörbare Ereignisse neben eruptive Klangauswürfe stellt oder die karge Linienführungen durch farbliche Abstufungen aufwertet. Mit diesem Vorgehen beweist er sein Vermögen, dem Werk Möglichkeiten zu entlocken, die weit über das hinausgehen, was Stäbler ihnen an Substanz eingeschrieben hat. Und gerade dies macht die CD sehr reizvoll, wodurch sie sich hervorragend in die früheren Veröffentlichungen Sustecks einreiht und dessen Ausnahmestellung als Interpret zeitgenössischer Orgelmusik erneut unterstreicht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Stäbler, Gerhard: HEISS! - Orgelwerke |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: |
WERGO 1 13.03.2015 79:23 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
4010228731521 WER 73152 |
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WERGO Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt. Mehr Info... |
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