
Praetorius, Michael - Sämtliche Orgelwerke
Großer Wurf
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Orgelmusik von Michael Praetorius und etlichen weiteren Komponisten des norddeutschen Orgelbarock, rundum überzeugend gespielt von Friedhelm Flamme auf einer faszinierenden Orgel.
Die ausgedehnte Reihe mit Musik des norddeutschen Orgelbarock, die seit einigen Jahren beim Label cpo erscheint, geht in ihre dreizehnte Folge. Und das mit einem wirklich großen Namen: Im Mittelpunkt steht das überlieferte Werk von Michael Praetorius, des vielbegabten Komponisten, Organisten, Theoretikers, Musikschriftstellers und -organisators, der an der Wende zum 17. Jahrhundert sein eminentes Talent an vielen Orten in Mittel- und Norddeutschland fruchtbar machte. Zwar heute mehr aus der Ferne geschätzt als wirklich gekannt, ist er doch mit seiner Sammlung ‚Terpsichore‘ oder etlichen der schlichteren Vokalkompositionen noch immer vernehmlich. Seine ambitioniertere geistliche Musik, häufig mit herben Anteilen älterer Provenienz gespickt, ist weit weniger vertraut. Und auch die überlieferten Orgelwerke können nicht unbedingt als bekannt vorausgesetzt werden.
Dabei sind es gerade die drei großen Choralfantasien, die zeigen, wie souverän Praetorius Form und Inhalt zu beherrschen wusste: In ausuferndem Variantenreichtum gebietet der Komponist über einen komplexen Satz, reich an Finessen, aus dem üppigen Fundus des 16. Jahrhunderts schöpfend, immer wieder neue Elemente integrierend. Und doch sind es gerade die bemerkenswerte Strenge und Konsequenz, die auffallen – wie man überhaupt den Anteil und die Präsenz des Gelehrten, Wissenden, Systematischen in Praetorius‘ Kunstansatz nicht übersehen darf. Zwar konnte der vielseitige Meister prägnant und pointiert schreiben, doch gründet sein Komponistentum hörbar auch in der Tradition.
Abgerundet wird das Programm durch die Werke etlicher weiterer, meist weniger prominenter Meister, etwa aus der Hasse-Dynastie oder aus dem Kreis der Hamburger, nicht mit Michael verwandten Praetorius-Familie. Die nominell interessanteste Stimme dürfte die von Andreas Werckmeister sein, den wir heute sehr viel eher als Musikschriftsteller und Theoretiker denn als Organisten und Komponisten kennen. Zu hören ist hier sein nur sehr karg überliefertes Werk, das sich durch musikalisches Temperament, Affektsicherheit und motorische Stärken auszeichnet, in seiner Explikation freilich auch etwas mechanisch wirkt.
Herrliches Instrument, famos gespielt
Auf diesem für die Reihe typischen programmatischen Terrain bewegt sich der Organist Friedhelm Flamme mit traumwandlerischer Sicherheit: Manualiter und pedaliter zeigt er sich makellos, entfaltet er die Musik in technischer Hinsicht ideal und mühelos, auch in raschen Läufen wirkt er unangestrengt. Dazu spielt er artikulatorisch präzis, ohne je pedantisch zu wirken. Und er beweist sich einmal mehr als Meister der zutreffenden Registrierung: Beflügelt von den Möglichkeiten, entfaltet er das weite Spektrum der Orgel souverän und in vielen Farben, lässt der Musik auf diese Weise zusätzliche Deutung zukommen, ohne sie manieriert zu überzeichnen. Das so gelungen zu bewerkstelligen, verlangt tiefe Einsicht und große Meisterschaft.
Entscheidende Größe ist natürlich die erklingende Orgel. Friedhelm Flamme hat das Programm auf der in den 1730er Jahren erbauten Christoph-Treutmann-Orgel der Klosterkirche St. Georg zu Grauhof bei Goslar eingespielt, einem vor rund 25 Jahren von den Gebrüdern Hillebrand restaurierten Instrument von einiger Klangschönheit: Zunächst fällt das kraftvolle, wunderbar grundtönige Plenum auf, das bei aller Klarheit der Stimmzeichnung auch mit eleganten Verschmelzungstendenzen aufwartet, in einem reich ausdifferenzierten, überaus kernigen Klang. Zu hören sind wunderbar charaktervolle, dennoch harmonische Zungenregister, dazu feine Flöten, die schöne Kontraste liefern. Auch groß dimensionierte Gambenregister fallen auf, dazu eine 16 Fuß-Posaune von geradezu charismatischem Zuschnitt im Pedal, sekundiert von einem gelegentlich hinzugezogenen 32 Fuß-Großposaunenbass, der effektvoll, wenn auch nicht wirklich eigenständig grundiert. Insgesamt ist die 16 Fuß-Basis im Pedal hervorragend ausgebaut. Eine wunderbar farbenreiche, hochdifferenziert spielbare und zugleich kraftvoll klingende Orgel.
Kongenial ist das Klangbild zu nennen – bei Aufnahmen von Orgelmusik alles andere als eine Selbstverständlichkeit: Es ist ebenso reich an Differenzen und einzelnen Farben wie das erklingende Instrument, ist sehr plastisch und mit viel klingender Struktur gebaut. Zudem überzeugt das sehr stimmige Verhältnis zum Raum – eine schlicht ideale Konstellation.
Aus der ohnehin niveauvollen Reihe mit Orgelmusik des norddeutschen Barock scheint diese besonders gelungene Folge noch etwas herauszuragen: Programmatisch absolut relevant und auf einem hochinteressanten Instrument hervorragend gespielt. Man kann sich nur wünschen, dass Friedhelm Flammes Streifzug durch das Orgelrepertoire des barocken Norddeutschland noch mehr solcher Ergebnisse zeitigt.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Praetorius, Michael: Sämtliche Orgelwerke |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 2 17.10.2014 |
Medium:
EAN: |
SACD
761203771622 |
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Praetorius, Michael |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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