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Mittwoch, 27. September 2023

Blow, John - Venus & Adonis

Zeitreise


Label/Verlag: Alpha Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Diese Produktion von John Blows Masque 'Venus & Adonis' ist sowohl in Bezug auf die Inszenierung als auch musikalisch erstklassig. Da bleiben höchstens im Vokalen kleine Wünsche offen.

Es gibt Gattungen, die sperren sich im Grunde der Reduktion auf Konserve. Gattungen, die im Grunde durch die Interaktion mit dem Publikum leben. Hierzu zählen die Intermezzi oder Masques des Barock, die durch die Reduktion auf die musikalische Komponente im Grunde um wesentliche, man möchte fast sagen essenzielle Aspekte beschnitten werden. Die höfischen Feierlichkeiten, das Essen, die Vergnügungen, die szenische Darbietung und vielleicht ein Feuerwerk bildeten ein großes Gesamtkunstwerk.

Im Oktober 2012 hatte Louise Moatys Inszenierung einer solcher Masque in Caen Premiere. Die Produktion war bis Januar 2013 in Frankreich und Luxembourg zu sehen. Moaty ist noch ein relativer Regieneuling, hat aber in Werken von Lully und Stefano Landi ihre ersten filmischen Erfahrungen mit Barockmusik machen können (alles bei Alpha und Virgin auf DVD vorgelegt). Ihre erste (nicht verfilmte) Inszenierung war 2009 Händels 'Rinaldo', gefolgt von der nun vorliegenden, John Blows 'Venus & Adonis'.

Schon die ersten Bilder der Filmfassung versetzen einen in die rechte Stimmung: Kerzenlicht auf der Bühne, einige wenige Requisiten, Darsteller im ‚period costume‘. Das braucht keine krampfhafte Modernisierung, das setzt auf die Kraft der Musik und auf die Kraft des Bildes. Musikalische Darbietung und szenische Umsetzung bilden eine erfrischende, überzeugende Einheit (Ausstattung Adeline Caron, Christophe Naillet Lichtkunst, Alain Blanchot Kostüme [alle Kostüme sind schwarz], Mathilde Benmoussa Maske, Françoise Denieau Choreographie). Bildregisseur François-René Martin hat offenkundig eng mit der Regisseurin zusammengearbeitet, so dass ein dichtes, in sich rundes Ganzes das Ergebnis ist, das ganz unaufgeregt daherkommt, aber umso überzeugender wirkt, in bester digitaler Auflösung. Musik auf offener Bühne, Tanz, Gesang und dramatische Aktion erlauben trotz der offenkundigen Ansiedlung in einem genuinen Theater eine Zeitreise in die Vergangenheit. Selbst der so handlungsarme zweite Akt überzeugt, er zeigt Cupid und seine Freunde beim Spiel, ehe Venus sich zu ihrem Sohn gesellt; so sind ganz natürlich die in der Partitur berufenen ‚Graces‘ Cupids Spielkameraden, die zum Aktende hin ein regelrechtes Schlachtfeld hinterlassen, dem Venus entgeistert gegenübertritt, vielleicht schon ahnend, dass Adonis vom Eber in der Jagd schwer verwundet wurde und sie sein Blut in die Anemone verwandeln wird.

Bertrand Cuiller und seine Musiker, Les Musiciens du Paradis, verstehen die Musik und das Idiom, nähern sich dem Werk respektvoll und angemessen, ohne es zum musealen Schaustück verkommen zu lassen; der mitwirkende Knabenchor Maîtrise de Caen überzeugt hier weniger. Es war jedoch gerade in diesem Konzept ein cleverer Coup, Cupid mit einem Knabensopran zu besetzen. Grégoire Augustin hat ein gutes Gefühl für Timing, er singt seine Phrasen auf den Punkt, nur leider mit einer Aussprache des Englischen, die in Zeiten eines vereinten Europa auf Opernbühnen heute nicht mehr akzeptabel sein kann. Glücklicherweise beschränkt sich diese Sprachschwierigkeit auf Cupid, der Chor und die anderen Solisten entführen einen in der Tat ins barocke Albion, ohne aufgesetzte Ausstattung, die man in England um 1683 ebenso vergebens gesucht hätte.

Céline Scheen zeigt als Venus nicht nur angemessen viel Haut, ohne unschicklich zu wirken; vor allem beherrscht sie historische Gesangs- und Verzierungstechniken auf das Beste, bietet vokal ein reiches Ausdrucksspektrum mit einem beeindruckenden Schlussgesang; auch ihrer Darbietung eignet Frische, Wahrhaftigkeit und großer Charme (und sie kann, dies nur am Rande, sogar typisch britisch lächeln). Dem Bariton Marc Mauillon gelingt es, die legendäre jugendliche Schönheit des Adonis nicht nur darstellerisch, sondern auch musikalisch überzeugend umzusetzen, wenn auch mit Schwächen bei den Verzierungen im dritten Akt. Die Maske betont den androgynen Aspekt, was trotz der tiefen Stimme die Jugendlichkeit besonders hervorhebt.

Zu dieser zutiefst berührenden und verzaubernden Produktion bietet die DVD einen reichen Bonusbereich. Es gibt ein umfangreiches ‚Making of‘ sowie eine Aufführung von Blows Cäcilienode des Jahres 1684 'Begin the Song', mit der Moaty und Cuiller 'Venus & Adonis' halbszenisch koppeln; da das Werk unvollständig überliefert ist, hatte Cuiller eine eigene Aufführungsfassung zu erstellen; so gelingt aber die Wiederbelebung eines knapp halbstündigen vergessenen Meisterwerkes, das auf der DVD-Hülle kaum ausgewiesen ist und so als weitaus mehr als einfacher Bonus gelten darf. Eine lohnende Präsentation, die den Schüler Henry Purcells aus dem Schatten seines Lehrers hervortreten lässt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:
Features:
Regie:







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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Blow, John: Venus & Adonis

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Alpha Classics
1
08.11.2013
Medium:
EAN:

DVD
3760014197031


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Alpha Classics

"Haute-Couture-Label", "Orchidee im Brachland der Klassikbranche" oder schlicht "Wunder", das sind die Titel mit denen das französische Label ALPHA von der Fachpresse hierzulande bedacht wird. In der Tat ist die Erfolgsgeschichte des Labels ein kleines Wunder. Honoriert wurde hiermit die Pionierlust und Entdeckerfreude des Gründers Jean-Paul Combet und die außerordentliche Qualität seiner Künstler und Ensembles (z.B. Vincent Dumestre, Marco Beasley, Christina Pluhar u.v.a.), aber auch die auffallend schöne, geschmackvolle Präsentation der Serie "ut pictura musica" mit ihren inzwischen mehr als 200 Titeln. Das schwarze Front-Layout und die Grundierung mit venezianischem Papier im Innern sind mittlerweile genauso zum Markenzeichen geworden wie die ausgesprochen stimmungsvollen Fotografien der Aufnahmesitzungen durch den Fotografen Robin Davies. Das Programm umfasst die Zeitspanne von der mittelalterlichen Notre Dame-Schule bis hin zur klassischen Moderne, doch ist nach wie vor ein deutlicher Schwerpunkt auf Alte Musik zu erkennen. Innerhalb des Labels möchte die zweite, auch "Weiße Reihe" genannte, Serie "Les Chants de la terre" die ältesten Quellen musikalischen Ausdrucks erkunden. Mit Virtuosität und Spielfreude widmet man sich hier dem Beziehungsfeld von schriftlich überlieferten und mündlich weitergegebenen Musiktraditionen, um alte Melodien zu neuem Leben zu erwecken. Trotz akribischer musikwissenschaftlicher Recherche geht es hier nicht um eindimensionale, akademisch trockene Werktreue, sondern um lebendigen Umgang mit altem Material.


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