> > > Hindemith, Paul: Klaviersonaten Nr. 1-3
Montag, 25. September 2023

Hindemith, Paul - Klaviersonaten Nr. 1-3

Schweres mit leichter Hand


Label/Verlag: Hyperion
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Ein großer Wurf: Markus Becker erweist sich als sinnstiftend und emotional durchleuchtender Interpret von Hindemiths Klaviermusik.

1995 entstand die legendäre Hyperion-Einspielung von Paul Hindemiths 'Ludus Tonalis' sowie der Suite 1922. John McCabe, der Interpret der damals entstandenen CD, dem wir auch die erste Gesamteinspielung von Haydns Klaviersonaten verdanken, hat sich mittlerweile aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen, und es ist erfreulich zu vermerken, dass Hyperion mit Markus Becker kaum einen besseren Nachfolger für ihre Hindemith-Klavierreihe gewinnen konnten. Wohl wissend, dass es auf dem englischsprachigen Markt schwer genug ist, Hindemith zu verkaufen (die legendäre Einspielung von Glenn Gould aus den Jahren 1966-73 läuft außer Konkurrenz, da der Pianist die Musik nicht aus Hindemiths, sondern seiner eigenen Ästhetik nachschafft), konnte nur das Beste gut genug sein. Die drei Sonaten entstanden 1936 in kurzer Folge, ein hochkomplizierter Variationensatz, den der vorgesehene Uraufführungsinterpret Walter Gieseking ablehnte, wurde aus der ersten Sonate ausgeschieden, ist aber auf der vorliegenden CD mit eingespielt (wie auch bei Mauser).

Markus Becker ist zu Recht berühmt dafür, dass er selbst dichte Strukturen durchhörbar macht, selbst die komplexeste Kontrapunktik von Verwaschenheit und Unklarheit befreit, ohne Poesie und ureigenste Aussage der Komposition zu vernachlässigen. Der umfangreichen ersten Sonate in A-Dur lässt er genügenden Raum, ist aber doch häufig schneller, auch in sich runder als Siegfried Mauser in seiner teilweise ausgesprochen tiefgründigen Gesamtschau des Hindemithschen Klavierwerks für Wergo aus dem Jahre 1996. Beckers meisterhaftes Gespür für Übergänge verbindet scheinbar disparate Abschnitte zu einem höchst überzeugenden Ganzen. Wie er mit leichter Hand komplexe Klangfolgen transportiert, die Kontrapunktik des Finales durchhörbar macht, nicht ohne das nötige Gewicht an den passenden Stellen, das ist ganz große Meisterschaft, das straft den ‚Akademiker‘ Hindemith Lügen.

Die zweite Sonate in G-Dur ist derart typischer Hindemith, dass man fast das Gefühl hat, die Komposition eines Hindemith-Schülers oder -Verehrers zu hören. Auch hier sind Beckers differenzierter Anschlag, seine feinsinnige Phrasierung, seine sorgsam gestaltete Dynamik vorbildlich. Die intime Auseinandersetzung mit der Komposition ist jeden Moment zutiefst spürbar.

Von den drei Sonaten Hindemiths aus dem Jahr 1936 (später entstand noch eine weitere) nähert sich der Komponist mit der viersätzigen dritten in B-Dur am stärksten dem klassischen Ideal – sie ist virtuoser, weniger poetisch, dramaturgisch der klare Höhepunkt der Trilogie. Die Satzcharaktere scheinen entsprechend der Tradition sorgsam ausgearbeitet, doch nach Hauptsatz und Scherzo verlässt Hindemith mit dem dritten Satz die ausgetretenen Pfade, schafft eine sperrige Introduktion und Fugato, die gleichzeitig Rondoelemente aufweist, und krönt das Werk mit einer grandiosen Doppelfuge, die unter Beckers Händen nie unspielbar, wohl aber hochkomplex klingt und an Busoni wie Sorabji gleichermaßen denken lässt. Wie Becker die Stimmen sich umschlingen, umwinden lässt, wie er die große Architektur stets im Blick behält und den Steigerungsbogen nicht abreißen lässt – das zeigt in jedem Takt höchste Meisterschaft und tiefes Verständnis für einen ganz Großen.

Malcolm MacDonalds Booklettext ist wie immer von hoher Qualität (leider hätten aber die deutschen Texte ein etwas sorgfältigeres Lektorat vertragen), die Aufnahmequalität so, wie man sich Aufnahmequalität wünscht: unaufdringlich, klar, ausgewogen, farbenreich, fast als wohne man den Aufnahmesitzungen bei.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Hindemith, Paul: Klaviersonaten Nr. 1-3

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Hyperion
1
08.11.2013
Medium:
EAN:

CD
034571179773


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Hyperion

Founded in 1980, Hyperion is an independent British classical label devoted to presenting high-quality recordings of music of all styles and from all periods from the twelfth century to the twenty-first. We have been described as 'Britain’s brightest record label'. In January 1996 we were presented with the Best Label Award by MIDEM's Cannes Classiques Awards. The jury was made up of the editors of most of the leading classical CD magazines in the world - Classic CD (England), Soundscapes (Australia), Répertoire (France), FonoForum (Germany), Luister (Holland), Musica (Italy), Scherzo (Spain), and In Tune (USA & Japan).

We named our label after an altogether splendid figure from Greek mythology. Hyperion was one of the Titans, and the father of the sun and the moon - and also of the Muses, so we feel we are fulfilling his modern role by giving the art of music to the world.

The repertoire available on Hyperion, and its subsidiary label Helios (Helios, the sun, was the son of Hyperion), ranges over the entire spectrum of music - sacred and secular, choral and solo vocal, orchestral, chamber and instrumental - and much of it is unique to Hyperion. The catalogue currently comprises nearly 1400 CDs and approximately 80 new titles are issued each year. We have won many awards.

Our records are easily available throughout the world in those countries served by our distributors. A list of the world's top Hyperion dealers, listed by country and city, can be found on our homepage. But if you have any difficulty please get in touch with the distributor in your territory. In Germany that is Note 1 Music Gmbh.


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