
Paul Graener - Orchesterwerke Vol.2
In die Gegenwart gehört
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Auch die zweite Folge in der bei CPO veröffentlichten Reihe mit Orchesterwerken von Paul Graener erweist sich der Komponist als ökonomischer Tonsetzer, in dessen Werken keine Note zu viel ist.
Werner Andreas Albert ist ein Dirigent, den man nicht zu hoch loben kann für seine Entdeckerfreude in Sachen Repertoire. Die CDs, die er insbesondere fürs Label cpo eingespielt hat, sind Legion, die Qualität ist zumeist sehr gut, häufig exzeptionell. Diesmal also Paul Graener, ein Komponist mit schillernder Karriere, der sich im Dritten Reich zumindest teilweise vereinnahmen ließ, ehe ihm 1940 die Leitung einer Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste entzogen wurde, weil er seine arische Herkunft nicht nachweisen konnte und ihm zu enger Kontakt zu Juden vorgeworfen wurde. Graeners Lebensdaten (1872–1944) erweisen ihn als Zeitgenossen Schillings‘, Szymanowskis und Volkmar Andreaes, und seine Klangsprache ist so jener seiner Zeitgenossen nicht gänzlich fern.
Gleichwohl enthält seine 1912 erschienene Sinfonie d-Moll op. 39 (im Gedenken an seinen früh verstorbenen ersten Sohnes entstanden) viele Aspekte, die das Werk in die Brahms-Tradition stellen, nicht nur formal, sondern teilweise auch harmonisch und vor allem kontrapunktisch. Hauptsächlich aber ist die Sinfonie musikalisch ganz auf der Höhe der Vorkriegszeit zu hören, ohne Abkehrungen von der Tonalität à la Schönberg, doch bereits mit Klangsensualismen, die die spätere Stummfilmmusik deutlich vorwegnehmen. Das dreisätzige Werk trägt den Subtitel 'Schmied Schmerz' (nach Julius Otto Bierbaums Gedicht), eine Reverenz an den Frühverstorbenen.
Die Suite 'Aus dem Reiche des Pan' op. 22 wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in London (wo Graener musikalischer Leiter des Royal Haymarket Theatre und Kompositionslehrer an der Royal Academy of Music war) zunächst für Klavier geschrieben und erschien 1920 in seiner Orchesterfassung. Die vier teilweise sehr kurzen Sätze sind ganz dem deutschen Impressionismus verpflichtet. Wie auch in der Sinfonie ist auffallend, dass Graeners Texturen im Grunde ausgesprochen licht sind, trotz reicher nachromantischer Harmonik wirkt der Orchestersatz nie überladen oder aufgebläht. Der dritte Satz ('Pan tanzt') nimmt in Momenten gerade erst in Mode kommende Tänze vorweg. Paul Graener erweist sich so als seiner Zeit stets einen Hauch voraus empfindender Geist. Im Schlusssatz 'Pan singt das Welt-Wiegenlied' gar finden wir Klangformen, die drei Generationen später John Tavener mit 'The Protecting Veil' vertieft erkunden sollte.
Nationalsozialistisch befrachtet kann man das dritte Werk auf der CD sehen, die 1939 entstandenen Variationen 'Prinz Eugen, der edle Ritter' op. 108 für großes Orchester. In der Tat entstand die Komposition über das alte Volkslied anlässlich der Reichsmusiktage in Düsseldorf, die Uraufführung erfolgte im Vorfeld der Abschlussrede Joseph Goebbels‘. Aus der Vorstellung zunächst nur von Fragmenten des Volksliedes tritt dieses im Lauf der Komposition immer stärker hervor, um zuletzt als triumphaler Hymnus mit Strauss‘scher Apotheose zu erstrahlen. Trotz dieser historischen Komponente macht Graener keine Zugeständnisse an die nationalsozialistische musikalische Ästhetik; ohne die ideologische Befrachtung wegwischen zu wollen, handelt es sich hier doch um eine dem Thema durchaus angemessene Umsetzung, die naturgemäß kriegerische Einsätze (im originalen Volkslied wie in der Orchesterversion) schönfärbt. Leider fehlt im Booklet der Abdruck des Volksliedtextes – weitaus stärker wäre noch klar geworden, dass es sich hier nachgerade zwangsläufig um Kriegspropaganda handelt.
Die Klarheit des Orchestersatzes bei Graener ist insofern eine Herausforderung für Orchester, als jeder Ton auf den Punkt berechnet sein muss. Der Komponist verzichtet durchgehend auf unnötige Füllstimmen, bietet so eine Klarheit, die gelegentlich fast karg wirken kann. In dieser Hinsicht scheint die NDR Radiophilharmonie Hannover diesmal ein wenig überfordert; selbst in den Variationen wirkt das ‚große Orchester‘ diesmal zumeist überraschend klein, trotz der raumgreifenden Aufnahmeakustik. Bei Unisonopassagen der Violinen kann das fast zu musikalischer Dürre führen, die in sich nicht ganz rund geformt ist. Ansonsten aber ist die CD ganz entsprechend den üblichen hohen cpo-Standards, insbesondere auch mit einem sehr informativen Booklet.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Paul Graener: Orchesterwerke Vol.2 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 1 20.11.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
761203767922 |
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Graener, Paul |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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