> > > Stokowski, Leopold dirigiert: Werke von Tschaikowsky & Rimsky-Korsakov
Samstag, 23. September 2023

Stokowski, Leopold dirigiert - Werke von Tschaikowsky & Rimsky-Korsakov

Querkopf


Label/Verlag: Guild
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Guild präsentiert Mitschnitte von Werken, die zum Kern von Stokowskis Repertoire gehörten. Das Ergebnis zeigt einmal mehr Stokowskis eigenständigen und -willigen, hörenswerten Zugang.

Eigentlich kennt man Leopold Stokowski heute vor allem für seine orchestral und aufnahmetechnisch brillanten, gelegentlich einen Hauch oberflächlichen Interpretationen von ‚Schlagern‘. Doch ist dies ein gänzlich falsches Bild – spätestens wenn man sich mit Stokowskis Mono-Aufnahmen befasst, erkennt man seinen nahezu elektrisierenden Zugang zur Musik, sein Gespür für Form (und Farbe), seine zumeist äußerst überzeugende Tempowahl, seine Feinfühligkeit in Sachen Agogik und Dynamik.

In den letzten Jahren erscheinen vermehrt auch Mitschnitte Stokowskis auch aus der Stereo-Ära, die häufig den Elan der jungen Jahre mit den leuchtenden Farben der High Fidelity bereits zu verbinden wissen. So bieten sich Rimsky-Korsakoffs 'Scheherazade' und Tschaikowskys 'Romeo und Julia' nahezu ideal an, Form, Farbe und Emotion in optimaler Verknüpfung zu präsentieren. Allerdings, das sei hier gleich vorweggenommen, scheute sich Stokowski nicht, teilweise extrem in die jeweilige Originalorchestrierung oder -gestalt einzugreifen: Den Schluss von 'Romeo und Julia' etwa etwa schrieb er komplett um, und auch in 'Scheherazade' hört man vieles, was nicht in der Originalpartitur steht. Wer sich genauer mit Stokowskis 'Scheherazade' befassen will, kann dies an Hand von allein fünf Studioaufnahmen (darunter zwei aus Philadelphia, von 1927 und 1934, sowie drei aus London, von 1951, 1964 und 1975) tun. Von 'Romeo und Julia' gibt gar insgesamt vier Studioaufnahmen (von 1928, 1944, 1949 und 1968) sowie neben dem hier vorliegenden drei weitere Mitschnitte (von 1951, 1968 und 1969, der letzte hiervon fürs Fernsehen). Repertoire, das Stokowski also allerbestens kannte.

1912 hatte Stokowski dreißigjährig in Philadelphia debütiert, der vorliegende Konzertmitschnitt vom 6. Februar 1962 dokumentiert somit eine Art Rückkehr in heimische Gefilde. Doch hatten sich musikhistorisch die Zeiten mittlerweile gewandelt. Mehr und mehr wurde die Originalpartitur favorisiert. Ebenfalls 1962 erschien beispielsweise Igor Markevitchs Studioaufnahme für Philips mit dem London Symphony Orchestra (heute aus unerfindlichen Gründen nicht mehr lieferbar), die dem Geist der Komposition ebenso deutlich näher kommt wie Carlo Maria Giulinis Londoner EMI-Einspielung der Tschaikowsky-Ouvertüre von 1963. Insofern haben wir hier einen Querdenker, einen, der seinen eigenen Kopf hat und durchsetzen will.

Bei anderen Werken, so muss ich gestehen, habe ich stärker das Gefühl, dass sich Stokowski hinter und nicht vor das Werk stellt, es ungestört wirken lässt, in eindringlichen Interpretationen. Auch in diesem Konzert waltet Stokowski als eindringlicher Interpret, lässt Farben blühen; der Beginn von 'Romeo und Julia' (teilweise abermals unter bewusstem Ignorieren von Tschaikowskys Partiturangaben) gerät klanglich immer wieder geradezu magisch, auch wenn die Streicher in Studioproduktionen noch mehr Präsenz erlangt hätten. Dies wird auch der frühen Stereo-Rundfunkaufnahmetechnik geschuldet sein, die insgesamt von überraschender Qualität ist (man würde die Aufnahme für gewöhnlich zehn Jahre später datieren); doch immer wieder scheint die Balance zwischen den Orchestergruppen nicht ganz optimal eingefangen (die Harfe in 'Romeo und Julia' etwa ist zumeist nahezu unhörbar) – ein Steckenpferd Stokowskis im Studio.

Das Philadelphia Orchestra hatte 1962, unter dem Vorstand von Eugene Ormandy, der von 1936 bis 1938 zusammen mit Stokowski Leiter des Orchesters, danach bis 1980 (!) dessen alleiniger künstlerischer Leiter war, nicht immer einen makellosen Klang – George Szell in Cleveland, Charles Münch in Boston und Fritz Reiner in Chicago waren die unnachgiebigeren Orchestererzieher in jener Zeit in den USA. Doch so gelingt Stokowski – vielleicht auch wegen der gewissen Hemdsärmeligkeit des Orchesters – eine eindringliche Interpretation, die nur nicht unbedingt jedermanns Geschmack sein mag.

Das Remastering der alten Rundfunkbänder ist in allerhöchster Qualität gelungen, der Booklettext insgesamt informativ, doch fehlen diverse wichtige Informationen (etwa jene zu Stokowskis Eingriffen in die Partituren). Für einen frühen Mitschnitt ein ganz außerordentliches Dokument, das in der Diskografie der beiden vorgestellten Werke aber einen gewissen Außenseiterposten einnimmt. Das Hörerlebnis hätte ein wenig besser gewirkt, hätte man den Tschaikowsky auf der CD hinter und nicht vor den Rimsky-Korsakoff platziert.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Stokowski, Leopold dirigiert: Werke von Tschaikowsky & Rimsky-Korsakov

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Guild
1
08.01.2014
Medium:
EAN:

CD
795754240320


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Guild

Guild entstand in den frühen Achtzigerjahren auf Initiative des berühmten englischen Chorleiters Barry Rose, der den St Paul's Cathedral Choir in London leitete. Der Name hat nichts mit der nahe gelegenen Londoner Guild Hall zu tun, sondern kommt von Barry Roses erstem Chor, dem Guildford Cathedral Choir. Das frühere Logo (ein grosses G) entstand indem Barry Rose kurzerhand eine Teetasse umstülpte und mit einem Bleistift ihrem Rand bis zum Henkel entlang fuhr. Seit 2002 hat die Firma als Guild GmbH ihren Sitz in der Schweiz, in Ramsen bei Stein am Rhein.
Bei den Aufnahmen arbeiten wir mit Fachleuten zusammen, die für grosse internationale Firmen und unabhängige kleinere und grössere Labels tätig sind. Unsere Programmschwerpunkte sind Welt-Erstaufnahmen, vergessene Werke bekannter Meister, noch nicht entdeckte Komponisten und Schweizer Musiker sowie historische Aufnahmen, etwa die Toscanini Legacy und Mitschnitte der Metropolitan Opera New York.
Wir arbeiten intensiv mit der Zentralbibliothek in Zürich und mit der Allgemeinen Musikgesellschaft Zürich zusammen, produzieren CDs mit Chören wie dem Salisbury Cathedral Choir und den Chören der Cambridge und Oxford University - und als Steckenpferd pflegen wir die grossen englischen und amerikanischen Unterhaltungsorchester mit ihren Light-Music-Hits der Dreissiger- bis Fünfzigerjahre.


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