
Stokowski, Leopold dirigiert - Werke von Tschaikowsky & Rimsky-Korsakov
Querkopf
Label/Verlag: Guild
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Guild präsentiert Mitschnitte von Werken, die zum Kern von Stokowskis Repertoire gehörten. Das Ergebnis zeigt einmal mehr Stokowskis eigenständigen und -willigen, hörenswerten Zugang.
Eigentlich kennt man Leopold Stokowski heute vor allem für seine orchestral und aufnahmetechnisch brillanten, gelegentlich einen Hauch oberflächlichen Interpretationen von ‚Schlagern‘. Doch ist dies ein gänzlich falsches Bild – spätestens wenn man sich mit Stokowskis Mono-Aufnahmen befasst, erkennt man seinen nahezu elektrisierenden Zugang zur Musik, sein Gespür für Form (und Farbe), seine zumeist äußerst überzeugende Tempowahl, seine Feinfühligkeit in Sachen Agogik und Dynamik.
In den letzten Jahren erscheinen vermehrt auch Mitschnitte Stokowskis auch aus der Stereo-Ära, die häufig den Elan der jungen Jahre mit den leuchtenden Farben der High Fidelity bereits zu verbinden wissen. So bieten sich Rimsky-Korsakoffs 'Scheherazade' und Tschaikowskys 'Romeo und Julia' nahezu ideal an, Form, Farbe und Emotion in optimaler Verknüpfung zu präsentieren. Allerdings, das sei hier gleich vorweggenommen, scheute sich Stokowski nicht, teilweise extrem in die jeweilige Originalorchestrierung oder -gestalt einzugreifen: Den Schluss von 'Romeo und Julia' etwa etwa schrieb er komplett um, und auch in 'Scheherazade' hört man vieles, was nicht in der Originalpartitur steht. Wer sich genauer mit Stokowskis 'Scheherazade' befassen will, kann dies an Hand von allein fünf Studioaufnahmen (darunter zwei aus Philadelphia, von 1927 und 1934, sowie drei aus London, von 1951, 1964 und 1975) tun. Von 'Romeo und Julia' gibt gar insgesamt vier Studioaufnahmen (von 1928, 1944, 1949 und 1968) sowie neben dem hier vorliegenden drei weitere Mitschnitte (von 1951, 1968 und 1969, der letzte hiervon fürs Fernsehen). Repertoire, das Stokowski also allerbestens kannte.
1912 hatte Stokowski dreißigjährig in Philadelphia debütiert, der vorliegende Konzertmitschnitt vom 6. Februar 1962 dokumentiert somit eine Art Rückkehr in heimische Gefilde. Doch hatten sich musikhistorisch die Zeiten mittlerweile gewandelt. Mehr und mehr wurde die Originalpartitur favorisiert. Ebenfalls 1962 erschien beispielsweise Igor Markevitchs Studioaufnahme für Philips mit dem London Symphony Orchestra (heute aus unerfindlichen Gründen nicht mehr lieferbar), die dem Geist der Komposition ebenso deutlich näher kommt wie Carlo Maria Giulinis Londoner EMI-Einspielung der Tschaikowsky-Ouvertüre von 1963. Insofern haben wir hier einen Querdenker, einen, der seinen eigenen Kopf hat und durchsetzen will.
Bei anderen Werken, so muss ich gestehen, habe ich stärker das Gefühl, dass sich Stokowski hinter und nicht vor das Werk stellt, es ungestört wirken lässt, in eindringlichen Interpretationen. Auch in diesem Konzert waltet Stokowski als eindringlicher Interpret, lässt Farben blühen; der Beginn von 'Romeo und Julia' (teilweise abermals unter bewusstem Ignorieren von Tschaikowskys Partiturangaben) gerät klanglich immer wieder geradezu magisch, auch wenn die Streicher in Studioproduktionen noch mehr Präsenz erlangt hätten. Dies wird auch der frühen Stereo-Rundfunkaufnahmetechnik geschuldet sein, die insgesamt von überraschender Qualität ist (man würde die Aufnahme für gewöhnlich zehn Jahre später datieren); doch immer wieder scheint die Balance zwischen den Orchestergruppen nicht ganz optimal eingefangen (die Harfe in 'Romeo und Julia' etwa ist zumeist nahezu unhörbar) – ein Steckenpferd Stokowskis im Studio.
Das Philadelphia Orchestra hatte 1962, unter dem Vorstand von Eugene Ormandy, der von 1936 bis 1938 zusammen mit Stokowski Leiter des Orchesters, danach bis 1980 (!) dessen alleiniger künstlerischer Leiter war, nicht immer einen makellosen Klang – George Szell in Cleveland, Charles Münch in Boston und Fritz Reiner in Chicago waren die unnachgiebigeren Orchestererzieher in jener Zeit in den USA. Doch so gelingt Stokowski – vielleicht auch wegen der gewissen Hemdsärmeligkeit des Orchesters – eine eindringliche Interpretation, die nur nicht unbedingt jedermanns Geschmack sein mag.
Das Remastering der alten Rundfunkbänder ist in allerhöchster Qualität gelungen, der Booklettext insgesamt informativ, doch fehlen diverse wichtige Informationen (etwa jene zu Stokowskis Eingriffen in die Partituren). Für einen frühen Mitschnitt ein ganz außerordentliches Dokument, das in der Diskografie der beiden vorgestellten Werke aber einen gewissen Außenseiterposten einnimmt. Das Hörerlebnis hätte ein wenig besser gewirkt, hätte man den Tschaikowsky auf der CD hinter und nicht vor den Rimsky-Korsakoff platziert.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Stokowski, Leopold dirigiert: Werke von Tschaikowsky & Rimsky-Korsakov |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Guild 1 08.01.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
795754240320 |
![]() Cover vergössern |
Guild Guild entstand in den frühen Achtzigerjahren auf Initiative des berühmten englischen Chorleiters Barry Rose, der den St Paul's Cathedral Choir in London leitete. Der Name hat nichts mit der nahe gelegenen Londoner Guild Hall zu tun, sondern kommt von Barry Roses erstem Chor, dem Guildford Cathedral Choir. Das frühere Logo (ein grosses G) entstand indem Barry Rose kurzerhand eine Teetasse umstülpte und mit einem Bleistift ihrem Rand bis zum Henkel entlang fuhr. Seit 2002 hat die Firma als Guild GmbH ihren Sitz in der Schweiz, in Ramsen bei Stein am Rhein. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei... |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Guild:
-
Spannende Wiederentdeckung: Symphonische Dichtungen von César Franck: Die Lemberger Philharmoniker unter Francisco Varela lassen Windgeister und verwunschene Jäger auferstehen. Weiter...
(Matthias Nikolaidis, )
-
Von fremden Interpretationsansätzen und Werken: Faszinierende historische Aufnahmen von Werken von Aram Khachaturian. Weiter...
(Michael Pitz-Grewenig, )
-
Schwyzer Sinfonik: Für Freunde vergessener Orchestermusik ist Fritz Bruns Achte Sinfonie ein Muss. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Jürgen Schaarwächter:
-
Es dreht sich nur um einen: Der Klaviertriokomponist Camille Saint-Saëns als Schöpfer und Nachschöpfer. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Kein überzeugendes Plädoyer: Dem Constanze Quartett mangelt es an rhetorischer Überzeugungskraft, um drei Streichquartette Emilie Mayers zu einem besonderen Erlebnis zu machen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Pionierleistungen: Bedeutsame Dokumente der Havergal-Brian-Diskografie. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Lohnende Neuauflage: Hochwertige Liszt-Aufnahmen von Michael Korstick, gesammelt in einer neuen Edition. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
Komplexe Kunst: Verlässlich bringt das Orlando Consort wie hier mit Machaut ferne Musik ans Ohr der Gegenwart und lässt sie ebenso regelmäßig auf erstaunliche Weise bei aller Komplexität frisch, relevant und dringlich klingen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
"Mannheimer goût" mit enormem Eigenwert: David Castro-Balbi und das Württembergische Kammerorchester Heilbronn unter Kevin Griffiths überzeugen auf ganzer Linie mit Werken von Johann Stamitz. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
Portrait

"Casals kämpfte für den Frieden."
Roger Morelló über seine neue CD, die dem katalanischen Cellisten Pau Casals gewidmet ist.
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich