> > > Szell, George dirigiert: Werke von Blacher, Mozart, Brahms & Stravinsky
Samstag, 23. September 2023

Szell, George dirigiert - Werke von Blacher, Mozart, Brahms & Stravinsky

Fern der Wahlheimat


Label/Verlag: Guild
Detailinformationen zum besprochenen Titel


George Széll gastierte in den Nachkriegsjahrzehnten nur selten in Deutschland. Mitschnitte von Konzerten mit dem Sinfonieorchester des WDR legt nun das Label Guild auf.

1939 traf der in Budapest geborene Dirigent George Széll in seiner zukünftigen Wahlheimat USA ein – für mehr als zwei Jahrzehnte sollte er dort als musikalischer Leiter des Cleveland Orchestra das amerikanische Musikleben entscheidend mitprägen. Nach Deutschland, wo er u. a. in Berlin gewirkt hatte (schon mit siebzehn hatte er bei den Philharmonikern debütiert), kehrte er aber nur äußerst selten zurück. Leider erfahren wir im diesmal leider nur eingeschränkt informativen CD-Booklet nichts über den hier vorliegenden raren Auftritt in Köln am 8. September 1958 (nicht einmal das exakte Datum wird im Booklet genannt – eine Kooperation mit dem WDR hätte hier helfen können); weitere Mitschnitte aus Köln sind Mozarts Klavierkonzert Nr. 24 von 1960 (mit Robert Casadesus, bei Medici Arts erschienen), Dvoráks Cellokonzert mit Pierre Fournier von 1962 (ebenfalls bei Medici Arts), Debussys 'La Mer' von 1962 sowie Tschaikowskys Fünfte Sinfonie von 1966 (beide in der EMI-Reihe ‚Great Conductors‘). Nun haben sich mehrere Kritiker beklagt, die anderen Aufnahmen aus Köln könnten es nicht mit den Studioproduktionen aus Cleveland aufnehmen, doch ist dies naturgemäß aus dem beschränkteren Aufnahmeklang und dem Liveerlebnis selbst leicht nachvollziehbar.

Auf der vorliegenden CD haben wir immerhin zwei Aufnahmen, die bislang unveröffentlicht waren, zwei Werke, die in Szells Diskographie bislang fehlten: Boris Blachers 'Music for Cleveland' op. 53 von 1957, erst am 21. November 1957 in Cleveland uraufgeführt, und Igor Strawinskys 'Feu d’artifice' (oder 'Fireworks'), bei dem Konzert am 8. September 1958 als Zugabe gegeben. Die 'Music for Cleveland' kommt mit einer ungeheuren Intensität und Unmittelbarkeit daher, die die erste Studioaufnahme von 1998 (aus Berlin) nicht aufbieten kann. Auch bei 'Feu d’artifice' ist die Brillanz des Kölner Orchesters unbestreitbar, gleichzeitig die Fähigkeit zu poetischen Stimmungen. Alle Orchestermitglieder sind gleichermaßen hochkarätig, und es ist höchst bedauerlich, dass der Klang (bedingt durch die Sekundärklangquelle, trotz vorbildlicher Restaurierung) etwas ‚boxig‘ klingt, nicht ganz so brillant wie es bei Heranziehung der WDR-Bänder möglich gewesen wäre.

Dies erweist sich unmittelbar bei Mozarts letztem Klavierkonzert KV 595 in B-Dur mit dem Solisten Robert Casadesus, der auch sonst häufig mit Szell zusammengearbeitet hat (es gibt allein von diesem Werk außerdem eine Studioproduktion aus Cleveland von 1962, ansonsten noch zahlreiche andere Mozart-Klavierkonzerte). Bei Medici Arts erschien 2011 dasselbe Konzert in Kooperation mit dem WDR, und die klangliche Brillanz besonders der Holzbläser ist deutlich hörbar, und auch der Gesamtklang ist in sich runder, wenn auch immer noch ein wenig ‚boxig‘.

Interessant ist, Szélls molto legato-Spiel des Kölner Orchesters im ersten Satz zu hören, mit gelegentlich leichten Portamenti in den Streichern, die hierdurch nicht ganz ins Gesamtkonzept zu passen scheinen. Insgesamt aber ist Szells und Casadesus‘ Mozart in den Außensätzen lebhaft (im Finale ausgesprochen geistreich), im 'Larghetto' poetisch (wunderbar die Klangmischungen in diesem Satz), insgesamt ausgesprochen präzise und bezüglich der Instrumentenproportionen ausgesprochen ausgewogen. Kaum eine der neuesten Einspielungen kann sich rühmen, interpretatorisch pointierter zu sein. Besonders ansprechend im Orchester die Holzbläser, die der Interpretation mehr als heute einen durchaus eigenen Klangcharakter hinzufügen.

Johannes Brahms‘ Zweite Sinfonie op. 73 in D-Dur hatte Szell schon 1928 mit der Staatskapelle Berlin eingespielt (bis heute scheint diese Einspielung nicht auf CD vorgelegt worden zu sein), außerdem existieren neben dem vorliegenden Mitschnitt (der auch schon auf Archipel veröffentlicht worden war) eine Live-Aufnahme aus Cleveland vom 5. Januar 1967 sowie die einen Tag später für Columbia entstandene Studioaufnahme. In diesem Fall muss leider gesagt werden, dass die Kölner Interpretation bei aller Dichte, Intensität und in sich schlüssigen Logik mittlerweile von anderen Einspielungen, nicht zuletzt Szélls eigener Einspielung, überboten worden ist. Hier können die Holzbläser auch nicht ganz so gut ihre eigenen Klangfarben zur Geltung bringen – alles ist dem Gesamtklang untergeordnet (nur die Trompeten vermitteln gelegentlich eine nicht vollständige Integration in diesen Gesamtklang). Dennoch kann man Szells Kölner Brahms anderen großen Mitschnitten der Zeit gerechtfertigt zur Seite stellen, und viele Stereo-Studioproduktionen anderer Dirigenten fallen rein interpretatorisch (nicht klanglich) Szell gegenüber teilweise extrem ab.

Insgesamt eine interpretatorisch fast durchgängig ideale CD, die mit kleinen Einschränkungen sehr zu empfehlen ist.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!

Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel

Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.



Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



Cover vergrößern

    Szell, George dirigiert: Werke von Blacher, Mozart, Brahms & Stravinsky

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Guild
1
08.01.2014
Medium:
EAN:

CD
795754240429


Cover vergössern

Guild

Guild entstand in den frühen Achtzigerjahren auf Initiative des berühmten englischen Chorleiters Barry Rose, der den St Paul's Cathedral Choir in London leitete. Der Name hat nichts mit der nahe gelegenen Londoner Guild Hall zu tun, sondern kommt von Barry Roses erstem Chor, dem Guildford Cathedral Choir. Das frühere Logo (ein grosses G) entstand indem Barry Rose kurzerhand eine Teetasse umstülpte und mit einem Bleistift ihrem Rand bis zum Henkel entlang fuhr. Seit 2002 hat die Firma als Guild GmbH ihren Sitz in der Schweiz, in Ramsen bei Stein am Rhein.
Bei den Aufnahmen arbeiten wir mit Fachleuten zusammen, die für grosse internationale Firmen und unabhängige kleinere und grössere Labels tätig sind. Unsere Programmschwerpunkte sind Welt-Erstaufnahmen, vergessene Werke bekannter Meister, noch nicht entdeckte Komponisten und Schweizer Musiker sowie historische Aufnahmen, etwa die Toscanini Legacy und Mitschnitte der Metropolitan Opera New York.
Wir arbeiten intensiv mit der Zentralbibliothek in Zürich und mit der Allgemeinen Musikgesellschaft Zürich zusammen, produzieren CDs mit Chören wie dem Salisbury Cathedral Choir und den Chören der Cambridge und Oxford University - und als Steckenpferd pflegen wir die grossen englischen und amerikanischen Unterhaltungsorchester mit ihren Light-Music-Hits der Dreissiger- bis Fünfzigerjahre.


Mehr Info...


Cover vergössern
Jetzt kaufen bei...


Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Guild:

blättern

Alle Kritiken von Guild...

Weitere CD-Besprechungen von Dr. Jürgen Schaarwächter:

  • Zur Kritik... Es dreht sich nur um einen: Der Klaviertriokomponist Camille Saint-Saëns als Schöpfer und Nachschöpfer. Weiter...
    (Dr. Jürgen Schaarwächter, )
  • Zur Kritik... Kein überzeugendes Plädoyer: Dem Constanze Quartett mangelt es an rhetorischer Überzeugungskraft, um drei Streichquartette Emilie Mayers zu einem besonderen Erlebnis zu machen. Weiter...
    (Dr. Jürgen Schaarwächter, )
  • Zur Kritik... Pionierleistungen: Bedeutsame Dokumente der Havergal-Brian-Diskografie. Weiter...
    (Dr. Jürgen Schaarwächter, )
blättern

Alle Kritiken von Dr. Jürgen Schaarwächter...

Weitere Kritiken interessanter Labels:

  • Zur Kritik... Lohnende Neuauflage: Hochwertige Liszt-Aufnahmen von Michael Korstick, gesammelt in einer neuen Edition. Weiter...
    (Oliver Bernhardt, )
  • Zur Kritik... Komplexe Kunst: Verlässlich bringt das Orlando Consort wie hier mit Machaut ferne Musik ans Ohr der Gegenwart und lässt sie ebenso regelmäßig auf erstaunliche Weise bei aller Komplexität frisch, relevant und dringlich klingen. Weiter...
    (Dr. Matthias Lange, )
  • Zur Kritik... "Mannheimer goût" mit enormem Eigenwert: David Castro-Balbi und das Württembergische Kammerorchester Heilbronn unter Kevin Griffiths überzeugen auf ganzer Linie mit Werken von Johann Stamitz. Weiter...
    (Dr. Kai Marius Schabram, )
blättern

Alle CD-Kritiken...

Magazine zum Downloaden

NOTE 1 - Mitteilungen (3/2023) herunterladen (4400 KByte)

Anzeige

Jetzt im klassik.com Radio

Georges Bizet: Jeux d'enfants op.22

CD kaufen


Empfehlungen der Redaktion

Die Empfehlungen der klassik.com Redaktion...

Diese Einspielungen sollten in keiner Plattensammlung fehlen

weiter...


Portrait

Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.

"Man muss das Ziel kennen, bevor man zur ersten Probe erscheint."
Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.

weiter...
Alle Interviews...


Hinweis:

Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Die Bewertung der klassik.com-Autoren:

Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich