
Die Entführung aus dem Serail - Deutsche Oper Berlin 1976
Klassiker
Label/Verlag: Monarda Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Nichts für Anhänger der szenischen Avantgarde, aber musikalisch überzeugend: eine 'Entführung' aus der Deutschen Oper Berlin, veröffentlicht von Arthaus.
Langsam werden die reichen Rundfunkarchive einer ersten Sichtung auch mit Blick auf audiovisuelle Schätze unterzogen mit Blick auf eine mögliche Veröffentlichung. Die Deutsche Oper Berlin, die 2011/12 gleich ein doppeltes Jubiläum feierte – das hundertste (Eröffnungsjahr 1912) sowie das fünfzigste (Wiedereröffnung nach dem Krieg 1961) –, bemüht sich seither um Erschließung der Vergangenheit – vielleicht auch ein Zeichen, dass es mit der Gegenwart nicht gar zu gut bestellt ist. Es steht zu hoffen, dass nicht nach einigen wenigen Veröffentlichungen mit dieser Initiative Schluss ist; insbesondere die Uraufführungen, die am Haus stattfanden, sollten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (Henzes 'Der junge Lord' liegt bereits seit 2008 vor).
Nun also 'Die Entführung aus dem Serail' in einer Inszenierung Günther Rennerts, eines der ganz Großen der Opernregie im 20. Jahrhundert. Rennert war 1942/43 Leiter der Deutschen Oper geworden, 1976 schuf er die zweite Nachkriegsinszenierung von Mozarts Singspiel in seinem alten Haus, mit Ausstattung Filippo Sanjusts (nicht, wie im ansonsten ausgesprochen informativen Booklettext notorisch falsch vermerkt, Wilhelm Reinkings), der 1981 als letzte Ausstattung, diesmal für Salzburg, sich abermals mit der 'Entführung' befasste. Die zurückhaltend pittoresk-architektonisch empfundene, dem Charakter des Werks äußerst passende Ausstattung ist eine optimale Folie für eine sorgfältige Personenregie mit einigen überraschenden Einfällen. Äußerst überzeugend ist das Prinzip der Einheit von szenischer Darstellung, äußerer Gestalt und musikalischer Darbietung umgesetzt. Wie erfreulich, dass nicht nur die Regieanweisungen des Librettos umgesetzt, sondern vielmehr auch mit Leben erfüllt werden; selbst ‚aufhaltende‘ Momente wie der Janitscharenchor werden sorgfältig choreografiert und eine Freude anzuschauen. Avantgardisten werden hier freilich enttäuscht werden.
Die musikalischen Leistungen sind von der Qualität her nicht ganz so einheitlich. Horst R. Laubenthal war vielleicht nicht der beste Mozart-Tenor der 1970er-Jahre, doch ist er nobel in Gestaltung und musikalisch zuverlässig. Insbesondere in der Höhe fehlt ihm die Grazie eines echten lyrischen Tenors (nicht umsonst wurde er nicht selten eher im Bereich des Charakter- oder Buffotenors eingesetzt). Während man ihn sich als Sänger nicht unbedingt anschauen müsste (am besten ist er im dritten Akt), ist seine szenische Darstellung aber insgesamt von großer Überzeugungskraft.
Die polnische Sopranistin Zdzisława Donat war in der Zeit vor Edita Gruberová jene Sängerin, die häufig für Partien wie Konstanze oder Königin der Nacht eingesetzt wurde (unter Levine nahm sie die Königin in Salzburg auf Platte auf und ist auf DVD in der 'Zauberflöte für Kinder' zu sehen). Donat, die nur in wenigen Rollen dokumentiert ist, erfüllt die Erwartungen an die Partie insgesamt sehr gut, insbesondere auch die höllisch hohen Passagen, dazu wirkt sie jeden Zoll eben jene Dame, in die sich Belmonte verlieben könnte. Wenn man ihrer Darbietung etwas absprechen könnte, dann vielleicht die Wärme, die eine Arleen Augér oder eine Valerie Masterson der Partie auch vokal einzuhauchen wusste. Doch muss man heute eine Sängerin von Donats Graden lange, sehr lange suchen ...
Norbert Orth ist als Pedrillo auch in August Everdings Fernsehmitschnitt aus München zu sehen – er war (auch für Heinz Wallberg auf Platte) der Pedrillo vom Dienst, nicht zu Unrecht, überzeugt er doch in jeder Bewegung, in jeder Flexion seiner Stimme (sehr schön der Einsatz des Piano in der ‚Kampf‘-Arie), im ganzen Auftreten. Seine Stimme mischt sich bestens mit Laubenthals (was auch erweist, dass Laubenthal rein vokal ebenfalls ein passabler Pedrillo wäre).
Barbara Vogel gehörte der Deutschen Oper seit 1963 an und sang zumeist eher kleinere Rollen, da ihre Stimme nicht so belastbar war. Ihre Blonde versucht sich an Vorbildern wie Lisa Otto oder Ingeborg Hallstein (die bereits 1967 in Salzburg zur Konstanze gewechselt war) zu orientieren, kann aber musikalisch nicht als Sängerin der ersten Reihe durchgehen (man höre nur die tiefen Töne in ihrem Duett mit Osmin). Auch sonst gelingt es ihr offenbar nicht, ihre Stimme durchgängig erfolgreich zu runden, so dass einzelne Klangfarben unverbunden und nicht logisch begründet nebeneinander stehen.
Die insgesamt vielleicht geschlossenste Darbietung bietet der bekannteste der fünf Sänger, der finnische Bass Martti Talvela, den man auch in Everdings Münchner Mitschnitt erleben kann. Es ist beeindruckend, wie Talvela der Partie insgesamt mehr Farben verleiht als Kurt Moll (der aber musikalisch runder und feiner singt). Denkt man an den zuvor in Berlin zu hörenden eher grobschlächtigen Osmin Josef Greindl, so ist Talvelas Interpretation einer anderen, höheren Liga zuzuweisen. Vom feinen Säuseln bis zur aggressiven Attacke hat Talvela zahllose Nuancen aufzubieten. Seine großen Arien nutzt er in vollen Zügen – nach ihm haben nur wenige, etwa Kurt Rydl, die Partie ähnlich kongenial szenisch umgesetzt. Bei der wagemutigen Darbietung der Rachearie, die er freihändig auf einer Leiter stehend beginnt, bin ich ein wenig in Sorge mit Blick auf andere Opernsänger, die in solcher Situation verunglückten (etwa Wolfgang Anheißer 1974).
Wie üblich, wurde die Partie des Bassa Selim durch einen renommierten deutschen Schauspieler besetzt, Hans Peter Hallwachs. Hallwachs hat vielleicht nicht ganz die Farbnuancen anderer Rollenexponenten, gestaltet mit der Stimme eher einen Typ denn einen wirklichen Charakter; stärker ist er im (schweigenden) Gegenspiel, etwa mit Konstanze während der „Martern“-Arie – hier erlangt seine Partie eine Tiefe, die der bloße Text nicht vermittelt. Dem Libretto gemäß bleibt er aber (anders als Klaus Maria Brandauer in Zürich 2003) der von Anfang an auf verlorenem Posten stehende Liebhaber.
Chor (Chordirektion Walter Hagen-Groll) und Orchester der Deutschen Oper sind bestens in Form, wir hören eine elegante, frische, aber nicht gegen den Strich gebürstete Aufführung unter Gary Bertinis inspirierter Leitung – der insgesamt straffe Zugriff (Bertini benötigt knapp 130 Minuten, Karl Böhm in München vier Jahre später rund eine Viertelstunde länger). Man freut sich, dass die Klangtechnik selbst differenzierte Klangfarben so gut eingefangen hat – dass der Monoklang dennoch gelegentlich einen Hauch dumpf ist, ist den alten Bändern geschuldet, die aber von Klang- und Bildqualität insgesamt sehr akzeptabel und ausgezeichnet aufgearbeitet sind. Die Fernsehregie (Karlheinz Hundorf, der übrigens vier Jahre später auch für Everdings 'Entführung' im Dienst war) unterstützt die Bühnenregie auf das Gelungenste – offensichtlich haben Regie und Bildregie die Fernsehübertragung gemeinsam erarbeitet.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Die Entführung aus dem Serail: Deutsche Oper Berlin 1976 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Monarda Music 1 16.09.2013 |
Medium:
EAN: |
DVD
807280169195 |
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Monarda Music Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels. Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011. Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter. Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von LArche Editeur, Preisträger des Prix de lAcadémie de Berlin 2010. Mehr Info... |
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