
Rossini, Gioachino - Ciro in Babilonia
An die Wand gespielt
Label/Verlag: Opus Arte
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Rossinis 'Ciro in Babilonia' in einem Mitschnitt aus Pesaro: Musikalisch großenteils überzeugend, szenisch diskutabel.
In jüngster Zeit wird vermehrt, vor allem bei Opern, die sich einer regietheaterhaften Produktion verweigern, auf die Nutzung filmischer Mittel gesetzt, um das Opernhafte zu modernisieren. Diesen filmischen Ansatz verfolgt im vorliegenden Fall auch der aus Turin stammende Davide Livermore, ein im italienischsprechenden Raum als Opernregisseur vielfältig aktiver Vertreter seiner Zunft, seines Zeichens auch künstlerischer Leiter des Cineteatro Baretti in Turin. In Pesaro ist Livermore seit mehreren Jahren regelmäßig präsent, zuletzt 2010 mit 'Demetrio e Polibio'. In Paris soll Livermore Anfang 2014 in 'La pietra del paragone' in einer der Hauptrollen mitwirken – hiermit erweist er sich als löbliche Ausnahme von den häufig der Oper im Grunde völlig fern stehenden Regisseuren. Aus dem Geschriebenen erweist sich vor allem auch, dass Livermore schon einige Erfahrung in Sachen Rossini hat.
'Ciro in Babilonia' wurde am 10. August 2012 auf dem Rossini-Festival Pesaro mitgeschnitten und erhielt zumeist hymnische Kritiken, nicht zuletzt wegen der Interpretin der Titelpartie. Ihre Premiere hatte die Produktion allerdings in Caramoor im US-Bundesstaat New York, und sie war die erste Produktion aus Caramoor, die auf Reisen ging. Musikalisch ist das gut zweihundert Jahre zuvor entstandene Werk außerordentlich reizvoll, von ihm kennt man zumeist aber fast nur die Ouvertüre. Schon während der Ouvertüre wird das Konzept der Inszenierung – die Oper in Art eines Stummfilms zu präsentieren, betrachtet von einem (allerdings zu stark geschminkten) Publikum – offenbar; so bietet sich eine doppelte Brechung.
Doch zur Handlung selbst (für Rossini in Form gegossen von Francesco Aventi): Es geht um den babylonischen König Baldassare (Belsazar), dessen Reich durch den Perserkönig Ciro belagert wird. Es gelingt Baldassare, Ciros Frau und Kind gefangen zu setzen, später auch Ciro selbst. Nach einem Schwur Ciros erscheint Baldassare auf einem Festmahl die berühmte göttliche Hand und schreibt die unheilvollen Worte ‚Mene, Tekel, Upharsin‘ an die Wand. Die Weissage der Magier und des Propheten Daniello (Daniel) trifft letztendlich ein – Baldassare stirbt noch in derselben Nacht, sein Reich wird unter Medern und Persern aufgeteilt werden.
Dieser melodramatische Stoff bietet sich naturgemäß für eine melodramatische Umsetzung an, doch schnell stellt sich heraus, dass nicht alle Interpreten Livermores Konzept gleich gut umsetzen können. Der aus Rimini stammende Mirco Palazzi als Zambri etwa beherrscht keineswegs die großen Gesten des Stummfilmes, um überzeugend in der Inszenierung seinen Platz einzunehmen; da er die Eröffnungsszene zu bewältigen hat, fällt diese Schwäche umso deutlicher auf. Auch musikalisch ist Palazzi nicht rundum überzeugend. Er besitzt nicht ganz die vokale Virtuosität, die Rossini so gerne von seinen Bassisten fordert. Ein ähnliches Problem hat da Raffaele Costantini in der Rolle des Propheten Daniel; rein vokal wirkt er mehrere Jahrzehnte älter als er in Wirklichkeit ist. Aber er ist immerhin darstellerisch sehr überzeugend.
Sehr viel ansprechender sind da zumindest zwei der Hauptfiguren. Der amerikanische Tenor Michael Spyres ist ein Rossini-Tenor, wie man ihn sich wünscht, koloraturenstark, mit gut ausgeprägter Höhe, doch auch in den Tiefen äußerst überzeugend; auch darstellerisch lässt er keine Wünsche offen, gerade nicht in seiner großen Arie im zweiten Akt. Die zum Zeitpunkt des Mitschnitts bereits sechzigjährige polnische Altistin Ewa Podles ist seit Jahrzehnten eine feste Größe in Sachen Rossini. Sie lässt in ihrer Interpretation der Titelpartie jedes etwa vorliegende Inszenierungskonzept hinter sich und überzeugt ganz durch ihres Sich-Einlassen auf die Musik und die Rolle. Und hier zeigen sich dann auch die Grenzen von Livermores Konzept: Sobald ein Interpret von echtem Format in der Inszenierung auftritt, werden alle Äußerlichkeiten, auch die Ausstattung und das Licht- und Video-Design von Nicholas Bovey und D-WOK, plötzlich als eben diese offenbar: Podles interpretiert, was vor zweihundert Jahren geschaffen wurde, nicht irgendwelche postmodernen Äußerlichkeiten, die technisch schon in wenigen Jahren als altmodischer Schnickschnack abgetan werden mögen. Zwar ist ihre Stimme nicht mehr so frisch wie vor zwanzig Jahren, doch berührt sie mit jedem Ton.
Dahingegen besitzt die Australierin Jessica Pratt nicht ganz die richtige Stimme für Rossini, für die Partie von Ciros Gattin Amira fehlt es ihr an Noblesse, ihre Koloraturen sind nicht ganz angemessen auf den Punkt, ihr Ton ist bei gehaltenen Tönen unstet. Besonders positiv fällt bei ihr das Brustregister auf, das deutlich sicherer ausgebildet scheint als andere Bereiche ihrer Stimme (vom Koloratursopran hat sie sich offenbar schon zum dramatischen Mezzosopran entwickelt, und es seien ihr viele schöne Rollen in diesem Fach gewünscht), und auch im Piano hat sie Stärken. Dagegen mischt sich die spanische Sopranistin Carmen Romeu als Amiras Vertraute Argene weder vokal noch darstellerisch gänzlich harmonisch mit Pratt – viel stärker als diese passt sie rein figürlich in Livermores Konzept, ist aber leider musikalisch nicht überzeugender, vielmehr immer wieder intonatorisch unsicher. Der amerikanische Tenor Robert McPherson (Arbace, ein in Persien geborener, Argene wohlgesonnener General Baldassares) kontrastiert gut zu Spyres, seine Maske wirkt allerdings deutlich weniger überzeugend als jene der anderen Mitwirkenden (als sei sie selbst für Baldassare bereits eine Maske und er nicht etwa ein Mensch im Gewissenskonflikt).
Betrachtet man die Produktion als Ganzes, so stellt sich schnell heraus, dass es zwei herausragende Leistungen gibt und einige gute; doch wenn durch die reinen Leistungen einzelner Interpreten die Ausstattung und hier damit das ganze Inszenierungskonzept an die Wand gespielt wird, erweist sich, dass wir keine High Definition und keinen Projektions-Schnickschnack benötigen, um gute Oper zu erleben. Und so macht es schlussendlich auch nicht viel aus, wenn die Videoregie (Daniele Biggiero) immer wieder von Livermores Regiekonzept ablenkt, da sich dieses als postmoderne Äußerlichkeit erweist und die reine Rossini-Interpretation triumphiert. Auch aus dem Orchestergraben: Das Orchester des Teatro Comunale di Bologna und Dirigent-Continuopianist Will Crutchfield (Operndirektor in Caramoor und neben seiner Tätigkeit als Interpret auch Musikwissenschaftler) überzeugen durch Frische, wenn auch nicht historisch informierte Kenntnisse (abgesehen davon, dass anstelle eines unpassenden Cembalos ein Hammerflügel genutzt wird). Die Aufnahmetechnik ist tadellos, was man von der Präsentation der DVD leider nicht im Geringsten sagen kann: Es fehlt ein Tracklisting ebenso wie eine auf diese hin angelegte Inhaltsangabe. Das ist mehr als publikumsunfreundlich. Da rettet auch kein kenntnisreicher Einführungsessay von Richard Osborne.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Rossini, Gioachino: Ciro in Babilonia |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Opus Arte 1 05.08.2013 |
Medium:
EAN: |
DVD
809478011088 |
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Opus Arte Opus Arte ist eines der weltweit führenden DVD-Labels. Spezialisiert auf Oper und Tanz, enthält unser Katalog eine Vielzahl musikalischer Erfahrungen. Angefangen bei der Grand Opera hin zu märchenhaften Balletten, von zeitgenössischem Tanz hin zu Künstlerporträts - und nicht zu vergessen zu einer Party im rückseitigen Garten ihrer Majestät!
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