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Mittwoch, 27. September 2023

Spohr, Louis - Sinfonien 4 & 5

Aus der Ecke der Ungeliebten


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Der Spohr-Sinfonien-Zyklus bei CPO schreitet mit einer schön musizierten Folge voran. Zuweilen wäre ein wenig mehr emotionales Engagement wünschenswert, doch kann die Produktion ingesamt überzeugen.

1984 standen erstmals Sinfonien von Louis Spohr im Fokus der CD-Industrie, fünf Jahre später gefolgt von einem ersten Gesamtaufnahmen-Projekt (Marco Polo), das 1993 abgeschlossen war. Seither sind zwei neue Gesamtaufnahmen in Arbeit, vom Orchestra della Svizzera Italiana unter Howard Shelley (hyperion) und der NDR Radiophilharmonie unter Howard Griffiths. Die erste CD-Produktion 1984 (Orfeo) unter dem Karajan-Schüler Karl Anton Rickenbacher setzte seinerzeit schon Maßstäbe, die in der Folgeedition unter Alfred Walter nicht nennenswert unterboten wurden.

Die berühmteste der heute weitgehend von Orchestern und Dirigenten ignorierten Sinfonien Louis Spohrs ist 'Die Weihe der Töne' op. 86. 1832 entstanden, nannte Spohr das Werk in F-Dur ein ‚charakteristisches Tongemälde in Form einer Sinfonie‘. Wie fast alle von Spohrs Sinfonien (die Siebte ausgenommen), ist die Komposition viersätzig; dennoch bietet das Werk formal viel Neues und zeigt sich rückwirkend betrachtet als für viele Sinfoniker der folgenden Jahrzehnte prägend oder zumindest inspirierend – im Grunde haben wir hier eine weitere Verbindung zwischen Beethoven und Weber und Raff oder den sogenannten Akademikern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Durch seinen in der Essenz vor allem lyrischen Zugang zu der Form der Sinfonie (ihm von der Kritik durchaus vorgeworfen) erlangt das Werk ein ganz eigenes Profil, nicht zuletzt dank der außermusikalischen Ideen, die zum Verständnis von Spohrs Konzept, nicht jedoch der Musik selbst ausgesprochen wichtig sind (der cpo-Booklettext von Bert Hagels ist vorbildlich).

Von Howard Griffiths sind wir nahezu immer vorbildliche, gelegentlich auch Referenzinterpretationen gewohnt. Der musikalischen Magie von Spohrs Sinfonie spürt er auf mirakulöse Weise nach, zeichnet die vielfältigen Farben der Partitur differenziert nach. Zur Unterstützung hat er einen feinen, äußerst durchhörbaren SACD-Aufnahmeklang, der aber im Stereoerleben an einigen Stellen unnötig verfremdet erscheint; einige Soli werden unangemessen stark hervorgehoben, so dass die Proportionen etwas leiden.

Die 1837 entstandene Fünfte Sinfonie c-Moll op. 102 erweist sich mehr noch als die Vierte als wichtiges Vorbild für Robert Schumann. Echos von Marschner und Lortzing zeigen die Verwurzelung in der Musik der Zeit; der lyrische Gestus ist auch hier immer wieder prävalent. Herrlich abermals die warmen Farben des langsamen Satzes – Griffiths‘ Liebe zu der Musik ist spürbar, er zeigt, dass diese Musik aus der ‚Ecke der Ungeliebten‘ heraus muss.

Als Bonus bietet cpo die Spohrs Ouvertüre zu Karl Birnbaums Schauspiel ‚Der Matrose‘, die Anfang 1839 ihre Uraufführung in Kassel erlebte und erst fünfzehn Jahre nach dem Tod des Komponisten verlegt wurde. Die Ouvertüre ist ein wunderbares, außerordentlich sorgsam gearbeitetes, wenn auch formal traditionell angelegtes Fünfeinhalbminutenstück, mit beachtlichem Effektpotenzial, deutlich dramatischer angelegt als die beiden Sinfonien, doch mit einer überraschend unprätentiösen Schlussgestalt.

Griffiths‘ Interpretation mangelt es gelegentlich – wie manchen neuen Interpretationen – ein wenig an Innerlichkeit, vielleicht auch Innigkeit. Alles ist perfekt musiziert (mögliche Imperfektionen beeinträchtigen nicht im Geringsten den Eindruck), aber vergleicht man etwa die Aufnahme der Vierten Sinfonie mit jener Alfred Walters, so ist der etwas stärkere emotionale ‚impact‘ (zu Lasten des musikalischen Schönklangs) der älteren Aufnahme zu spüren.

Insgesamt haben wir eine musikalisch insgesamt beglückende Einspielung, die sich aber im Emotionalen der Musik noch ein wenig mehr Engagement hätte leisten können. Dies ist aber eine Frage von Nuancen, will man den Geist der Musik nicht zerstören (was leider von manchen Pultstars an anderen Kompositionen allzu oft bewiesen worden ist). Doch scheint dem Rezensenten bei Spohr noch mehr als bei anderen Komponisten der Zeit die Musik selbst den Einsatz historisch informierter Kräfte zu fordern. So könnten vorhandene Ränder geschärft und die klangliche Farbigkeit noch sorgsamer ausgespielt werden.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Spohr, Louis: Sinfonien 4 & 5

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
cpo
1
22.07.2013
Medium:
EAN:

SACD
761203774524


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Spohr, Louis
 - Sinfonie Nr. 4 op. 86 in F major - Largo - Allegro
 - Sinfonie Nr. 4 op. 86 in F major - Wiegenlied, Tanz, Ständchen
 - Sinfonie Nr. 4 op. 86 in F major - Kriegsmusik
 - Sinfonie Nr. 4 op. 86 in F major - Begräbnismusik
 - Sinfonie Nr. 5 op. 102 in C minor - Andante - Allegro
 - Sinfonie Nr. 5 op. 102 in C minor - Larghetto
 - Sinfonie Nr. 5 op. 102 in C minor - Scherzo - Trio - Scherzo
 - Sinfonie Nr. 5 op. 102 in C minor - Presto
 - Overture - Allegro moderato - Presto


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Dirigent(en):Griffiths, Howard
Orchester/Ensemble:NDR Radiophilharmonie Hannover


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
Letztendlich ist unser künstlerisches Credo ganz einfach: Wir machen die CDs, die wir schon immer selbst haben wollten. Seien Sie herzlich zu dieser abenteuerlichen Entdeckungsfahrt eingeladen!


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