
Szymanowski, Karol - Sinfonien Nr. 1 & 2
Frühe Globalisierung
Label/Verlag: LSO Live
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Valery Gergiev ist mit dem ersten Teil seiner Gesamteinspielung der Sinfonien von Karol Szymanowski ein bedeutender Beitrag gelungen.
Es ist merkwürdig, wie wenige Dirigenten mit großem Namen sich der Musik Karol Szymanowskis annehmen, sich lieber in die unnötigste hundertste Richard-Strauss-Wiederholung zurückziehen. Nach Simon Rattles wichtigen Produktionen aus Birmingham haben wir hier nun einen weiteren in England tätigen Dirigenten, der auf Rattles Leistungen aufbaut und auf ganz eigene Weise weiterentwickelt. Natürlich ist Valery Gergiev, Chefdirigent des London Symphony Orchestra, kein Brite, doch ist es schon auffallend, dass die hier vorgelegten Aufnahmen nicht etwa aus Wien oder Sankt Petersburg kommen, sondern aus England. In mehreren Konzerten hat Gergiev die vier Sinfonien Szymanowskis gespielt, und die Aufnahmen werden jetzt beim hauseigenen Label vorgelegt – auf der hier vorliegenden SACD die Sinfonien Nr. 1 (f-Moll op. 15 von 1906-7) und 2 (B-Dur op. 19 von 1909-10, rev. 1927-36).
Was schon in den ersten Takten der Ersten Sinfonie auffällt, ist der ungeheure Klangreichtum im Vergleich zu Karol Stryjas Studioeinspielungen aus Katowice (Naxos), der ‚modernere‘ Klang. Bedingt ist das durch die Hörbarmachung zahlreicher Klangvaleurs, die in der früheren Einspielung untergingen. Szymanowski wird unter Gergievs Händen ein Zeitgenosse Zemlinskys, Schrekers, Braunfels‘ und Delius‘, aber auch Strauss‘ und Debussys. Doch hat dies nichts mit Unverständnis oder falschem Zugang zu tun, sondern mit einem britischen Orchestern (und besonders dem London Symphony Orchestra) auf geradezu beängstigende Weise eigenen Verständnis für die globalen Zusammenhänge in der Musik; Szymanowskis sozusagen frühe Globalisierung wird hier auf das Beglückendste umgesetzt. Die zahllosen Schönheiten der in ihrer Zweisätzigkeit formal durchaus etwas sperrigen Ersten Sinfonie vermag Gergiev zu einem Ganzen zusammenzufassen, nicht zuletzt dank eines klug zupackenden Zugriffes, der den Spannungsbogen nicht erlahmen lässt. Auch hierarchisiert er an manchen Stellen die Klangtexturen auf teilweise auch durchaus überraschende Weise, so dass die Textur für manches analytische Ohr möglicherweise etwas geglättet wird; doch ist dies ein legitimes Konzept, und angesichts keiner besser vorliegenden Einspielung der Sinfonie kann ich gerne damit leben.
Die Zweite Sinfonie trägt uns einen Schritt weiter. Glaubt man zunächst, Szymanowski wolle kaum über die Errungenschaften seiner Ersten Sinfonie hinausgehen, so ist schon bald klar, dass der Komponist die Form der Sinfonie in Struktur und klanglicher Gestalt in gänzlich anderer Form erkunden will. Auch hier gibt es scheinbare Echos an Strauss, doch scheinen diese mehr Zitat oder Anspielung denn Eklektizismus zu sein. Auch die Zweite Sinfonie ist insgesamt zweisätzig, wobei der Schlussteil des zweiten Satzes (Thema und Variationen) eine ausladende Fuge ist – hier knüpft Szymanowski Verbindungen in Richtung Reger. Doch auch hier erkundet er gänzlich neue Bereiche; seine Fuge ist im Grunde ein Versuch in Atonalität, damit also eine Verknüpfung an die Zweite Wiener Schule. Das alles integriert Szymanowski in die sinfonische Konzeption, und die Londoner Musiker setzen all dies auf eine Weise um, dass selbst manche Mahler-Interpretation dagegen blass aussieht.
Und wenn es etwas zu kritteln gäbe, dann höchstens, dass Gergiev noch nicht ganz jene intime Szymanowski-Kenntnis besitzt wie Rattle. Der SACD-Aufnahmeklang lässt einmal mehr nicht glauben, dass es sich um im Londoner Barbican mitgeschnittene Aufführungen handelt, der Booklettext ist hilfreich und ausführlich genug – insgesamt also ein rundum gelungenes, sehr empfehlenswertes Gesamtpaket.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Szymanowski, Karol: Sinfonien Nr. 1 & 2 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
LSO Live 1 01.06.2013 |
Medium:
EAN: |
SACD
822231173120 |
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LSO Live Einspielungen des Labels LSO Live vermitteln die Energie und Emotion der großartigsten Aufführungen mit höchster technischer Qualität und Finesse.
Liveaufzeichnungen bedeuteten früher gewöhnlich Kompromisse, aber heutzutage kann mit Hilfe der besten Aufnahmetechnik im Konzertsaal die Vitalität festgehalten werden, die im Studio so schwer nachzustellen ist. Seit 2000 veröffentlichte das LSO Live über 80 Alben und nahm zahlreiche Preise entgegen. Das London Symphony Orchestra war schon früher das am meisten aufgenommene Orchester der Welt, hatte es doch für zahlreiche Plattenfirmen gearbeitet und viele der berühmtesten Filmmusiken eingespielt. Die Investition in unsere eigenen Aufnahmen ermöglicht dem Orchester jedoch abzusichern, dass jede Veröffentlichung den höchsten Qualitätsansprüchen genügt und das Hören der besten Musik allen Menschen zugänglich ist. Das LSO Live war eines der ersten klassischen Plattenfirmen, die Downloads anboten, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Wir geben auch unsere Einspielungen im SACD Format (Super Audio Compact Disc) heraus. SACDs lassen sich auf allen CD-Spielern abspielen, ermöglichen aber den Hörern mit speziellen SACD-Spielern den Genuss eines hochaufgelösten, mehrkanaligen Klangs.
London Symphony Orchestra Heute gibt das LSO ungefähr 70 Konzerte pro Jahr in London und bis zu 90 auf Tournee. Es ist regelmäßig auf Konzertreise durch Europa, Nordamerika und im Fernen Osten. Waleri Gergijew ist seit 2007 Chefdirigent des LSO und Sir Colin Davis sein Präsident. Das LSO organisiert auch das in der Welt am längsten laufende und umfangreichste Bildungsprogramm eines Orchesters: LSO Discovery. Mit seinem Sitz im Londoner Musikbildungszentrum LSO St Lukes schafft Discovery die Möglichkeit für Menschen aller Altersgruppen und Veranlagungen, mit Musikern des LSO zusammenzuarbeiten, etwas über Musik zu lernen und ihre Fertigkeiten zu entwickeln. Mehr Info... |
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