
Strauss, Richard - Josephslegende
Opulent
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Neeme Järvi bietet eine lebensvolle, aber leider ein wenig glättende Einspielung der 'Josephslegende' von Richard Strauss.
Seit 2000 finden sich immer wieder wenige Dirigenten, die sich Richard Strauss‘ Ballettes 'Josephs Legende' (oder 'Josephslegende' wie hier auf dem CD-Cover) op. 63 annehmen (Giuseppe Sinopoli und Iván Fischer), doch auf DVD (John Neumeier-Choreographie mit einem Soundtrack mit den Wiener Philharmonikern unter Heinrich Hollreiser) hat sich bis heute kaum je jemand mediumsadäquat mit der Partitur auseinandergesetzt (und es ist wichtig, Strauss‘ ambitionierteste Ballettkomposition im ursprünglichen Konzept zu verstehen). Im Stile von Veronese stellten sich Strauss und seine Librettisten Harry Graf Kessler und Hugo von Hofmannsthal die Choreografie vor, doch war dem kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges entstandenen Werk kein nachhaltiger Erfolg beschieden, nicht zuletzt weil die Entwicklung des Ballettwesens durch die Ballets Russes (für die auch Strauss‘ Komposition gedacht war) innerhalb allerkürzester Zeit 'Josephs Legende' regelrecht alt aussehen ließ. Im Grunde haben wir hier eine Art ‚Light-Version‘ des 'Salome'-Stoffes. Auch hier begehrt eine (diesmal deutlich ältere) Frau einen jugendlichen Propheten. Es ist überraschend, dass die Theater diese Verbindung bislang nie zu einem klug zusammengestellten ‚Double-bill‘ genutzt haben, um die Querverbindungen herauszustellen und die Unterschiede zu betonen.
'Josephs Legende' ist eine ausgesprochen koloristisch reiche Partitur. Durch die klare bildliche Vorstellung wurde musikalisch sogar im Grunde die Ausstattung mit komponiert (wer sich heute an einer Neuchoreografie versucht, muss der Musik viel von ihrem Sinn nehmen, wenn er sich nicht an die originale Szenografie hält), so ist es gut, eine nonvisuelle Version zu haben (so wie es bei manchen weitgehend unbekannten Opern guttut, sich durch modernistische Inszenierungen nicht abzulenken).
Im direkten Vergleich mit Hollreisers Wiener Aufnahme von 1977 fällt auf, dass bei Järvi manche Nebenstimmen stärker sind als bei Hollreiser, wodurch die komplexe Instrumentation, die Strauss an die Stelle der überreichen Harmonik der 'Salome' treten lässt, trotz SACD-Aufnahmetechnik nicht ganz so transparent gemacht wird wie in dem Wiener Soundtrack. Järvi glättet die Partitur, lässt sie aber in opulenten Klangfarben glänzen. Seine Tempi sind um einiges schneller als Hollreisers (der, um sich der Choreografie anzupassen, mit 62 Minuten insgesamt vier Minunten länger braucht als Järvi), dramatisch flüssig und bestens aufeinander abgestimmt, so dass von einer Einspielung wie aus einem Guss zu sprechen ist, der es aber an der unterschwelligen ‚Nervenkontrapunktik‘ und den instrumentatorischen Feinheiten mangelt.
Damit veräußerlicht die Partitur etwas und gerät zu einem Prunkgemälde, das die Zeitgenossen nicht ganz zu Unrecht als unzeitgemäß kritisierten. Lässt man diesen Kritikpunkt aber außer Acht, haben wir hier eine musikalisch und klanglich höchst brillante Einspielung, die Järvis Strauss-Sicht deutlich zeigt. Mit 'Josephs Legende' kehrt Neeme Järvi nach langer Pause bei Chandos zu Richard Strauss und zu dem Royal Scottish National Orchestra zurück – in den 1980er-Jahren nahm er in Dundee den größten Teil der Tondichtungen auf, in den 1990er-Jahren gefolgt von der Ballettsuite 'Schlagobers' und dem Symphonischen Fragment aus 'Josephs Legende' aus Detroit. Wie umfangreich Järvi seine Strauss-Reihe fortsetzen wird, bleibt abzuwarten. Ob etwa das vollständige 'Schlagobers'-Ballett folgt (besonders warten wir aber auch auf die erste Stereo-Einspielung [!] der Festmusik zur Feier des 2600jährigen Bestehens des Kaiserreichs Japan für großes Orchester).
Dass man vielleicht auf entsprechende Ergänzungen von Järvis Strauss-Diskografie hoffen darf (insbesondere nachdem die Reihe ‚Der unbekannte Strauss‘ bei Koch schon seit langem nur noch in Restexemplaren auf dem Markt erhältlich ist), zeigen die beiden Bonus-Tracks der SACD: die (auch im Original instrumentale) Liebesszene aus Strauss‘ früher Oper 'Feuersnot' op. 50 (1900-1) sowie ein früher Festmarsch op. 1 für das Orchester Wilde Gung’l (1876), in dem Strauss‘ Vater Franz zentrale Funktionen einnahm. Während der Festmarsch des Zwölfjährigen (!) Anklänge an Mendelssohn und Beethoven bietet, gehört die Liebesszene aus 'Feuersnot', die bis in die 1960er-Jahre gelegentlich in Konzerten zu hören war und in jüngerer Zeit von Rickenbacher, Sinopoli und Thielemann auf CD vorgelegt wurde, bereits in Strauss‘ Reifezeit und lässt sich als selbstständiges ‚Tongedicht‘ genießen und hören (auch hier bietet Järvi mehr Feuer als die drei genannten Dirigenten). Insgesamt also äußerst lebensvolle, aber leider ein wenig glättende Einspielungen, die aber die Strauss-Diskografie um eine prachtvolle Facette bereichern.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Strauss, Richard: Josephslegende |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 01.06.2013 |
Medium:
EAN: |
SACD
095115512029 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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