
Verdi, Giuseppe - Falstaff
Hinter den Bettlaken
Label/Verlag: Monarda Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser 'Falstaff' aus Glyndebourne kann mit darstellerischer Feinarbeit und vokaler Stilsicherheit punkten. Selige Zeiten der Oper.
Es war einmal – es ist mittlerweile schon einige Jahrzehnte her –, da gab es hervorragende Opernregisseure zuhauf, Regisseure, die sich dem Werk unterordneten, ihre Inszenierung ganz auf die Gesamtheit von Libretto und Musik abstimmten und sich durch die Musik zu regelrechten Choreografien inspirieren ließen. Solche Zeiten sind heute weitgehend vorbei, das Ernstnehmen insbesondere eines Librettos wird heute allgemein von der Kritik (und vor allem von den Regisseuren selbst) als Einfallslosigkeit, als Verzicht auf eine eigene Position gedeutet. ‚Werktreue‘ bedeutete damals nicht, dass auf eine eigene Lesart verzichtet wurde; vielmehr war diese Lesart stets eng mit der von Librettist und Komponist intendierten Aussage verbunden (was durchaus zu kontroversen Ergebnissen führen konnte).
Jean-Pierre Ponnelle (1932–1988) galt als Poet unter den Opernregisseuren, seine Inszenierungen waren zumeist äußerst fantasievoll, dabei aber an passender Stelle von durchaus eigenem Profil. In Glyndebourne inszenierte er 1976 Giuseppe Verdis 'Falstaff'. Es war eine liebevoll ausgestaltete, mit vielen Details handverlesene Produktion, die auch nach der x-ten Wiederholung den Zuschauer Neues entdecken ließ. Mit einem für unterschiedlichste Auftrittsmöglichkeiten bestens geeigneten Bühnenbildrahmen und einem schön bemalten Bühnenprospekt wird die vergleichsweise kleine Glyndebourne-Bühne auf das optimalste genutzt. Hier kann man nicht gut Versteck spielen, hier kommt man sich schnell ins Gehege, hier bedarf es szenischer Einfälle, um zu überzeugenden Ergebnissen zu kommen. Dennoch birst das Schlussbild nur so von Einfällen – einem ganzen Panoptikum von Fantomen, Elfen, Monstern und anderen Waldwesen, dabei ganz nah an der ‚Umsetzbarkeit‘. Es bleibt zu bedenken, dass dies alles ein dörflicher Spaß ist und keine Hollywoodproduktion. Arthur Jacobs hat die Produktion seinerzeit ‘the most Shakespearean production of Verdi‘s opera I have ever seen’ genannt.
Die musikalische Leitung lag in den Händen des Festspielleiters Sir John Pritchard (1921–1989), eines Dirigenten, dem gelegentlich (vor allem in Studioproduktionen) ein etwas zu eleganter, zu wenig kantiger Zugriff vorgeworfen werden kann. Pritchard war in den frühen 1950er-Jahren Assistent von Fritz Busch, später von Vittorio Gui in Glyndebourne gewesen und war von 1969 bis 1978 musikalischer Leiter der Glyndebourne Festival Opera. Er lässt Verdis Farben blühen und glühen, auch wenn das London Philharmonic Orchestra nicht ganz über die Klangkultur anderer Opernorchester verfügt; besonders fällt aber auf, dass die musikalischen Feinheiten bestens zur Geltung kommen. Vor allem das Schlussbild ist mit dunklen Klangfarben und räumlichen Effekten ausgesprochen liebevoll ausmusiziert – hier bietet Pritchard weitaus mehr als manch schönklingend dirigierender Maestro der musikalischen Gegenwart.
Als Solisten stand Pritchard eine internationale Schar keineswegs unbedingt allererster Namen zur Verfügung, die sich – wie in Glyndebourne nicht unüblich – besonders durch perfektes Ensemblespiel hervortat. Nun ist 'Falstaff' vornehmlich eine Ensembleoper (Höhepunkte sind das Nonett im zweiten Bild und die komplette zweite Hälfte des Schlussbildes), so dass die Musiker einander bestens im wahrsten Sinne des Wortes die Stichworte zuwerfen können.
Im Zentrum des Geschehens steht natürlich der ‚dicke Ritter‘ Sir John Falstaff – hier durch den Amerikaner Donald Gramm verkörpert, der ähnlich wie Paul Plishka in der klassischen DVD-Produktion aus der Metropolitan Opera New York 1992 der Musik nicht das geringste schuldig bleibt. Seine darstellerische Präsenz ist nicht minder beeindruckend. Er ist bei Pritchard und Ponnelle nicht so lustig oder schlüpfrig wie Bryn Terfel, doch kann er fast mit berühmten Rollenvertretern wie Tito Gobbi oder Giuseppe Taddei mithalten. Herrlich auch der Beginn des fünften Bildes: Der pitschnasse Falstaff krabbelt, mit Wasserpflanzen behangen, (aus dem Orchestergraben) auf die Bühne – wie gut, dass dies keinerlei Auswirkungen auf seine stimmlichen und darstellerischen Leistungen hat. Selten habe ich gerade diese Szene, in der Falstaff seine Maske fallen lässt, so schonungslos ausgespielt gesehen – allein hierfür lohnt sich schon die DVD.
Falstaffs Diener Bardolfo und Pistola sind mit Bernard Dickerson und Ugo Trama allein schon darstellerisch auf den Punkt charakterisiert. Wir haben hier Singdarsteller von beeindruckender Bühnenpräsenz, von Ponnelle virtuos choreografiert, im Timing perfekt, musikalisch tadellos. Besonders fein ausgearbeitet auch die Rolle des Pagen Robin (Paul Jackson), der nicht nur in den Szenen auftaucht, in denen er vorgeschrieben ist, sondern auch sonst zur rechten Zeit am rechten Ort ist.
Alice (Kay Griffel), Meg (Reni Penkova) und Nanetta (Elizabeth Gale) sprühen nur so vor Spielfreude und finden in Nucci Condò als Mrs. Quickly eine nicht minder inspirierte Quartettpartnerin – musikalisch nicht schwächer als manch berühmtere Rolleninterpretin, darstellerisch zumeist noch stärker. Die damals 27-jährige Gale wirkt für die Nanetta vielleicht schon etwas zu erwachsen, doch ist dies eine reine Äußerlichkeit. Herrlich die Szene Nanetta-Fenton im zweiten Bild als Schattenspiel hinter Bettlaken. Auch Max-René Cosotti als Fenton, dem mit dieser Produktion der internationale Durchbruch gelang, wirkt, allerdings ausschließlich vokal, ein wenig reif (herrlich dennoch sein Solo im Schlussbild) – darstellerisch wirkt sein Spiel heute etwas affektiert (Ponnelle hat ihn in psychologischer Andeutung als jüngere Version Fords angelegt). Die Bühnensicherheit der beiden (bedingt nicht zuletzt durch die unmittelbare Nähe zum Orchester) ist gleichwohl beeindruckend – ob auf dem Boden knutschend, hinter den Bettlaken oder hinterm Wandschirm.
Nicht minder spielfreudig und vokal frisch ist Benjamin Luxon als Mr Ford, der nur im Forte gestalterisch nicht ganz überzeugend wirkt (dies mag aber an der Mikrofonierung liegen); allerdings findet er – anders als fast alle seine Rollenkollegen – eine Art eigenen Ton für seine Maskierung als Signore Fontana. Herrlich auch sein stummes Agieren während Falstaffs großspuriger Tirade im dritten Bild, gefolgt von eines fast eines Filippo II würdigen Ausbruchs, darstellerisch wie vokal äußerst fein und auch filmisch durch sorgsame Nahaufnahme passend eingefangen. Überhaupt fällt der ausgesprochene filmische Zugriff bei dieser Fernsehproduktion (Bildregie Dave Heather) auf (hatte Ponnelle seine Hand im Spiel?).
John Fryatt braucht musikalisch kurze Zeit, bis er sich in die Rolle des Dr. Caius findet, doch dann erfüllt er Ponnelles Konzept des unfreiwillig komischen französischen Arztes auf das Herrlichste (wie er im ersten Bild sein Baguette einer Kerze gleich auf die Worte ‚e pia‘ vor sich hält, ist einfach umwerfend). Komplettiert wird die Solistenliste durch zwei weitere stumme Rollen, den Wirt (Graeme Matheson-Bruce) und (nicht in Arrigo Boitos Libretto vorgesehen) Mr Page (Richard Robson) – letzteres eine sinnvolle Ergänzung, auch wenn Page eine im Vergleich zu Ford passivere Rolle spielt.
Von Anfang an fällt die liebevolle Titelgestaltung der Fernsehproduktion auf, die in krassem Gegensatz zu der lieblosen Präsentation auf DVD steht. Zwar wird ein informativer Begleittext zur Oper selbst geboten, aber jedwede Information zur Inszenierung und der Fernsehversion fehlt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Verdi, Giuseppe: Falstaff |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Monarda Music 1 13.05.2013 |
Medium:
EAN: |
DVD
807280231595 |
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Monarda Music Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels. Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011. Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter. Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von LArche Editeur, Preisträger des Prix de lAcadémie de Berlin 2010. Mehr Info... |
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