
Grainger, Percy - Werke für Chor & Orchester
Dadadidada
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Für Grainger-Vollständigkeitsfanatiker ein Muss, für Anfänger in diesem Bereich ist die SACD vielleicht eher weniger zu empfehlen.
Australische Komponisten kennt man gemeinhin nicht viele, geschweige denn solche, die stark nach den USA ausgerichtet waren. Und der Name Percy Grainger mag auch den Interessierten an britischer Musik eher weniger geläufig sein, auch wenn einige seiner Schöpfungen ausgesprochen ‚englisch‘ sind (er verfasste eine ganze Reihe an 'British Folk Music Settings'). So bleibt Grainger (1882-1961) insgesamt gewissermaßen ein Exot, für den sich nur wenige Interpreten einsetzen. Auch ist es schwierig, klare Hauptwerke auszumachen, da diese in einer Vielzahl an kleineren Werken für flexible Besetzungen unterzugehen drohen, deren handwerkliche Sorgfalt in Blick auf die Instrumentierung das Epithet ‚Gelegenheitswerk‘ Lügen strafen würde.
Schon vor mehr als dreißig Jahren begann das englische Label Chandos mit Einspielungen von Werken Graingers, seither ist eine regelrechte Grainger-Edition gefolgt, zumeist dirigiert von dem viel zu früh verstorbenen Richard Hickox. Sir Andrew Davis hat für die vorliegende SACD mit Werken für großen Chor und Orchester Hickox‘ Nachfolge angetreten, mit diversen Weltersteinspielungen.
Der Charakter vieler Werke Graingers spiegelt sich auch auf dieser Silberscheibe: Die Stücke sind kurz, knapp, musikalisch reich. 'King Solomon‘s Espousals' fordert ein Mammutorchester von 32 Holzbläsern, elf Blechbläsern sowie einem entsprechend großen Streicherkörper. Leider ist das Ergebnis nicht dazu angetan, Grainger als großen Komponisten zu präsentieren. Die beeindruckenden Kräfte verlieren sich in einer ausgesprochen traditionellen, weitgehend syllabisch-homophonen Chorkomposition mit einigen interessanten Instrumentaleffekten. Auch sonst ist der Chorsatz vielfach nicht auf einer qualitativen Ebene mit dem Orchestersatz; bei 'The Wraith of Odin' lobe ich mir Elgars 'Scenes from the Saga of King Olaf', dem die gleiche Textvorlage zu Grunde liegt. Teilweise sind die hier vorgelegten Stücke in einer Tradition zu sehen, die uns heute eher unbekannt ist, jener der sogenannten Chorballade. Grainger sieht diese auch in England weit verbreitete Tradition quasi durch eine kosmopolitische Brille.
Graingers extensiver Gebrauch von Chorchromatik in manchen Stücken kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier zumeist mit Musik zu tun haben, die nicht über Delius‘ Errungenschaften hinausgeht, ohne die genuine Poesie, die Delius‘ Musik so häufig innewohnt. 'The Bride‘s Tragedy' hingegen ist von gewissen Anklängen an Elgar erfüllt, mit stärker rhythmischer Prägung; ein Motiv aus einer Vaughan Williams-Sinfonie ist ebenfalls kurz zu hören, doch ohne dass das Gesamtergebnis volle Individualität erlangen würde. Stärker an älteren Modellen orientiert sich Grainger in 'Sir Eglamore' (1904/12) und 'The Lads of Wamphray' (1904), im teilweise stark synkopierten Orchestersatz abermals deutlich interessanter als im Chorsatz. Insgesamt überzeugender sind Stücke mit Gesangs-Solopartien, etwa 'Danny Deever' mit dem charaktervollen Bariton José Carbó oder 'Tribute to Foster' mit einem ganzen Solistenquintett, letzteres auch viel stärker mit der für Grainger typischen Instrumentierung (u.a. mit größerem Schlagapparat und Klavier). Zwei Kompositionen nutzen den Chor nur wortlos (auch dies etwas, das sich häufig bei Delius entdecken lässt): 'Marching Song of Democracy' und 'Thanksgiving Song'. Nicht zuletzt durch die Prädominanz des Orchesters überzeugt 'Thanksgiving Song' stärker als die traditionelleren Chorwerke; hier zeigt sich, wo Graingers eigentliche Stärke lag. Dahingegen ist der 'Marching Song of Democracy' eine echte Kuriosität. Die herrlichen Orchestereffekte werden konterkariert durch mehr als lachhafte Chorbehandlung – durchgängig hat der textlose Chor die merkwürdigsten ‚dabida‘-Silbenfolgen zu singen, was im hohen Maße unfreiwillige Komik erzeugt – die Nähe zu Loriots ‚Jodelschule‘ ist für den deutschen Hörer nur mit großer Mühe beiseite zu schieben.
Der Melbourne Symphony Chorus und der Sydney Chamber Choir bemühen sich ausgesprochen um gute Textverständlichkeit – mit großem Erfolg; allerdings sind die Soprane in den extremen Höhen nicht wirklich gut einstudiert, und es mangelt dem Chor manchmal hörbar an Klangkultur (deutsche Rundfunkchöre sind da ein anderes Kaliber), trotz der beeindruckenden auskomponierten Portamenti, die der Chor bestens umsetzen kann. Auch das Melbourne Symphony Orchestra ist in voller Durchhörbarkeit eingefangen. So wirkt es jedoch gelegentlich fast kleiner, als es für die Einspielung faktisch besetzt war. Die SACD-Technik ist nahezu essenziell für die vorliegende Produktion – mit Doppelchorbesetzungen, mit Fernchören, mit dem Raumerlebnis als zusätzlicher Klangkomponente; auf dem CD-Player gibt es leider mehrfach ‚Einbrüche‘ in dieser Hinsicht, so dass diese Produktion besonders für SACD-Player zu empfehlen ist. Der Editor der Notentexte vieler der hier vorgelegten Stücke bietet einen gutinformierten Booklettext (leider ohne überall die Kompositionsdaten zu geben). Für Grainger-Vollständigkeitsfanatiker ein Muss, für Anfänger in diesem Bereich ist die SACD vielleicht eher weniger zu empfehlen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Grainger, Percy: Werke für Chor & Orchester |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 01.04.2013 |
Medium:
EAN: |
SACD
095115512128 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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