
Collins, Michael spielt - Werke von Arnold, Cooke u.a.
Starke Traditionslinien
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die zweite Folge britischer Werke für Klarinette beinhaltet Stücke, die nicht alle gleich stark sind. Die Umsetzung allerdings ist erstklassig.
Großbritannien hat im 20. Jahrhundert eine beeindruckende Klarinettistentradition hervorgebracht. Begonnen durch den legendären Frederick Thurston, befinden wir uns mittlerweile in der vierten oder fünften Generation weltweit herausragender britischer Klarinettisten. An allervorderster Front hier zu nennen ist der 1962 geborene Michael Collins, Schüler von Thea King und Widmungsträger zahlreicher wichtiger Werken für das Instrument.
Die vorliegende zweite Folge britischer Klarinettensonaten verbindet Berühmtheiten wie die Sonatine von Malcolm Arnold mit selten zu hörenden Werken wie der Sonate von Arnold Cooke, 'Tributes' von Edward Gregson und der Sonatine von Joseph Horovitz. Die älteste Komposition auf der CD ist aber 'Le Tombeau de Ravel' von Arthur Benjamin (1893-1960), dem Lehrer u.a. von Benjamin Britten. Lange war Benjamins Schaffen nach seinem Tode der Vergessenheit anheimgefallen, nicht zuletzt weil er offenbar ohne klar identifizierbaren Rechtsnachfolger verstarb, doch hat sich mittlerweile die Situation völlig gewandelt; eine substanzielle Biografie ist ebenso in Vorbereitung wie sein kompositorisches Schaffen zumindest teilweise auf Tonträger vorgelegt ist (darunter etwa seine Klavierkonzerte, die Fantasie für Violine, Viola und Orchester und die Sinfonie). 'Le Tombeau de Ravel' trägt den Untertitel 'Valse-Caprices for Clarinet and Piano' und bezieht sich naturgemäß auf Ravels eigenes 'Tombeau de Couperin'. Bekanntlich fühlte sich Benjamin Ravel auf mehr als eine Weise wesensverwandt und die Komposition beginnt in raffinierter verschleierter Imitation von 'La Valse'; doch es ist mehr der musikalische Geist denn die musikalische Substanz, die Ravel und Benjamin, den Komponisten der berühmten ‚Sturmwind‘-Kantate in Hitchcocks ‚The Man Who Knew Too Much‘, verbindet. Die Komposition wäre – ähnlich wie Arnolds Sonatine, doch auf ganz andere Weise, ein beeindruckendes ‚Teststück‘ für angehende Klarinettisten – die geforderten Spielweisen und Stimmungen gehen an das Äußerste, was Interpreten bieten können (nur extremste Virtuosität fordert Benjamin nicht).
Arnolds Klarinettensonatine g-Moll op. 29 ist seit langem beliebtes Teststück für Konservatoriumsstudierende, verbindet es doch Virtuosität und musikalische Empfindung auf das Glücklichste. Timing, Phrasierung, differenzierte Dynamisierung – dies alles wird auf knappem denkbar intensiv ‚getestet‘, ohne die geringste Konzession an die musikalische Identität des Komponisten. Internationalen Solisten gelingt es nicht immer, das spezifische Idiom Arnolds umzusetzen, doch Collins war schon 1993 äußerst erfolgreicher Interpret des Zweiten Klarinettenkonzerts op. 115 auf einer Last Night of the Proms und ist so seit langem, fast blind schon, mit Arnolds Idiom vertraut. In dem jungen Pianisten Michael McHale hat er einen Partner, der der Musik durchaus auch eine gewisse eigene Note hinzufügt, ohne aber den ‚typischen‘ Arnold zu konterkarieren.
Arnold Cooke (1906-2005) wird zumeist als Komponist der zweiten Reihe behandelt, nicht zuletzt weil viele der Werke des ehemaligen Hindemith-Schülers einen stark neoklassisch-eklektischen Anteil besitzen. Auch die 1959 entstandene Klarinettensonate B-Dur, das umfangreichste Werk der CD, verbindet moderat modernistische Harmonik und nachromantische, herrlich aufgebaute Melodiebögen. Im Scherzo scheinen die Metrumswechsel durchaus auch Malcolm Arnolds Modell zu folgen. Das tiefgründige 'Adagio ma non troppo' ist fast nicht englisch zu nennen; hier scheint die ‚deutsche‘ Melancholie auf den Engländer abzufärben. Gerade das Spannungsfeld von Nachromantik und Neoklassik bewirkt eine durchaus attraktive Komposition, deren größte Schwierigkeit die Vermittlung des emotionalen Aspektes der Musik ist. Collins und McHale gelingt dies auf das Gelungenste – die feinen, akkordgestützten Melodielinien und die kontrapunktischen Passagen ergeben ein rundum überzeugendes Ganzes.
Auch der als Kind nach England emigrierte Joseph Horovitz (geboren 1926) gilt als eher eklektischer Komponist, und die bislang vorgelegten Tonträger mit Werken von ihm haben bislang nicht den Eindruck eines zwar begabten, aber nicht erstrangigen Komponisten verändern können. Horovitz‘ Sonatine B-Dur aus dem Jahre 1981 ist, ähnlich wie Cookes Sonate, eine essenziell lyrische, nicht in die tiefsten Gründe der Emotion gehende Komposition; allerdings gelingt es hier Horovitz (wie so häufig in seinem Schaffen), die scheinbar so leichtgewichtige Musik mit einer unterschwelligen Kunstfertigkeit zu versehen (ein Erbe seines Lehrers Gordon Jacob mehr noch als Nadia Boulangers), so dass beileibe weder von einer einfach zu spielenden noch von einer leichtfertigen Komposition die Rede sein kann; vielmehr nimmt Horovitz den Titel Sonatine wie Malcolm Arnold ernst und bemüht sich um ein Gegenstück dessen, was spätestens seit Mozart als der Serenadenton bezeichnet wird. Dabei passt der jazzy Tonfall des Finales nicht ganz zum Rest des Werks – was nichts über die Qualität der (rundum überzeugenden) Interpretation aussagt.
Erst kürzlich (2008-10) entstanden die fünf 'Tributes' an Komponisten, die u.a. mit Klarinettenkompositionen die Musikwelt nachhaltig bereichert haben – Francis Poulenc, Gerald Finzi, Igor Strawinsky, Olivier Messiaen und Béla Bartók; jedes der fünf Stücke ist einem bedeutenden britischen Klarinettisten gewidmet (das letzte dem Interpreten dieser CD). Entsprechende Qualitäten der einzelnen Komponisten werden in dem essenziell eklektischen Werk herausgehoben, so dass die beiden Interpreten perkussive, extrem rhythmisierte ebenso wie ausgesprochen ‚auf Linie‘ bezogene Fähigkeiten (‚unendliche Melodien‘, reiche Kontrapunktik) in ungeheurer Vielfalt präsentieren können. Vom feinsten Piano bis zum extremen Ausbruch wird dabei nahezu alles gefordert – eines jedoch fehlt: die wirklich eigene kompositorische Identität; in dieser Hinsicht überzeugen alle anderen Werke auf dieser CD mehr.
Michael Collins und Michael McHale musizieren auf technisch und musikalisch allerhöchstem Niveau; ihnen gelingt es, die disparatesten kompositorischen Forderungen zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden, ohne jemals in Beliebigkeit zu verfallen. die Aufnahmetechnik ist bester Chandos-Standard, das Booklet lässt ebenfalls kaum Wünsche offen. Insgesamt sehr erfreulich.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Collins, Michael spielt: Werke von Arnold, Cooke u.a. |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 01.03.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
095115175828 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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