
Goossens, Sir Eugene - Concert Piece, op. 65
Klangexplosionen
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
In der Goossens-Reihe von Chandos kann die neueste Folge nicht nur mit Weltersteinspielungen punkten. Auch die Umsetzung ist vorbildlich.
Der australische Dirigent und Komponist Eugene Goossens (1893–1962) geriet schon bald nach seinem Tod, der auch einen Generationenwechsel markierte, in beiden Funktionen in Vergessenheit. Nur noch wenige seiner Einspielungen sind im kollektiven Gedächtnis erhalten geblieben, darunter die Bach-Violinkonzerte und Beethoven-Romanzen mit David Oistrakh, Waltons Violinkonzert mit Jascha Heifetz oder Saint-Saëns‘ Havanaise mit Yehudi Menuhin. Andere Einspielungen, etwa Strawinskys 'Sacre' und 'Petruschka', für die er sich zeitlebens einsetzte, Brittens Serenade, Prokofjews 'Symphonie classique', Vaughan Williams‘ 'London Symphony', Respighis 'Feste romane' oder Mussorgsky/Ravels 'Bilder einer Ausstellung' sind heute weitgehend der Vergessenheit anheimgefallen. Für den Komponisten Eugene Goossens hat sich besonders Vernon Handley eingesetzt, mit drei CDs, die die Australian Broadcasting Corporation in den vergangenen zwanzig Jahren veröffentlichte; Richard Hickox begann für Chandos mit einer neuen Reihe mit dem Melbourne Symphony Orchestra, die nach Hickox‘ Tod (wie andere von dem Dirigenten begonnenen Projekte, etwa die Holst- und die Delius-Reihe) von Sir Andrew Davis fortgeführt wird.
Man hätte gedacht, dass Handley mit den genannten drei CDs bereits nahezu alle Orchesterwerke Goossens‘ vorgelegt hätte. Was für eine Überraschung also, dass es sich bei der Hälfte der Stücke auf der vorliegenden SACD um Ersteinspielungen handelt. Nach der Ersten Sinfonie und dem Klavierkonzert handelt es sich auf dieser zweiten Produktion der Goossens-Reihe bei Chandos ungefähr zur Hälfte handelt um kleinere Miniaturen (zumeist zu kleineren Zyklen zusammengefasst), klug gemischt mit substanzielleren Kompositionen, allen voran dem wichtigen 'Concert Piece' für Englischhorn, zwei Harfen und Orchester.
Die SACD beginnt mit 'Kaleidoscope' op. 18, einer 'Suite for Children'. 1917-18 für Klavier komponiert, ist die Nähe zu Debussys 'Children‘s Corner' oder vergleichbaren Zyklen unübersehbar. In der 1933 entstandenen Orchesterfassung wird die Musik in manchen Momenten stärker dem Zeitgenossen Lord Berners angenähert, doch spielt Goossens noch virtuoser als Berners auf dem Emotions- und Klangspektrum des Orchesters. Quasi das Gegenstück zu 'Kaleidoscope' sind die 'Four Conceits' op. 20, ebenfalls 1917 ursprünglich für Klavier entstanden und schon 1918 in einer Orchesterfassung vorgelegt, die hier ihre CD-Premiere erleben. Der Titel des Schlussstücks 'The Marionette Show' erweist, dass die Nähe zu 'Kaleidoscope' nicht von der Hand zu weisen ist, doch spannt Goossens hier das Spektrum weiter. Der erste der vier Sätze etwa heißt 'The Gargoyle' (Die groteske Skulptur am Wasserspeier); 'Dance Memories' und ein 'Walking Tune' komplettieren die Stimmungen.
Das dritte orchestrierte Klavierwerk sind die 'Two Nature Poems' op. 25; im Original 1919 für den berühmten Benno Moiseiwitsch entstanden, folgte 1937-8 die Orchestrierung zweier der ursprünglich drei Sätze. Mit dieser Komposition reiht sich Goossens in die Tradition der britischen ‚Natur-Komponisten‘ Arnold Bax, George Butterworth, John Ireland, Frederick Delius oder Ralph Vaughan Williams ein; der erste Satz 'Pastoral' bezieht unmittelbar ein Schlag- (oder Schimpf-)wort dieser musikalischen Richtung mit ein – in diesem Fall ist Delius (darüber hinaus vielleicht Arthur Bliss) Goossens‘ Stil am nächsten stehend; allerdings weist die Steigerung des Satzes weit über die britischen Zeitgenossen hinaus und lässt an die herrlichsten Farben Korngolds oder auch des noch nachromatischen Schönberg denken. Der zweite Satz, 'Bacchanal', hingegen ist nicht nur von der Instrumentation her ein ganz typischer Goossens, vor allem haben wir hier den mit dem Ballett extrem vertrauten Musik-Handwerker, der Versatzstücke einbaut, die aus weiter Ferne Igor Strawinsky oder Claude Debussy ähneln; auch hier haben wir herrliche Klangexplosionen, verbunden mit einem ganz eigenen musikalischen Denken. Man hätte die beiden Sätze wohl auch ‚Hommages‘ nennen können, wie Joseph Holbrooke dies bei einer zeitnah entstandenen Symphonischen Suite tat, und die ‚Reminiscencenjäger‘ (Max Reger) könnten einen vergnüglichen Nachmittag damit verbringen, nach möglichen Vorbildern auf die Suche zu gehen.
Das früheste genuine Orchesterwerk auf dieser SACD ist das Scherzo 'Tam O‘Shanter' op. 17a (1918-19) nach dem berühmten Gedicht des Schotten Robert Burns; Goossens (und Davis) verstehen hier bestens, mit den vielfältigen Farben des Orchesters schottisches Naturell in äußerst origineller Form zu modernisieren. Ganz anderer Art sind die (ebenfalls quasi miniaturhaften) Variationen über das französische Volkslied 'Cadet Rousselle'. In ihrer Originalform entstand die Komposition 1918 als Gemeinschaftsprodukt der Komponisten Arnold Bax, Frank Bridge, John Ireland und Eugene Goossens für Singstimme und Klavier; das Idiom der einzelnen Komponisten ist in unterschiedlich starkem Maß deutlich wahrnehmbar. 1930 setzte Goossens die einzelnen Sätze für Orchester – dabei gelang es ihm, einen ganz eigenen instrumentatorischen Steigerungsbogen zu entwickeln.
Stärkeres Eigenprofil entwickelt Goossens in den 'Three Greek Dances' op. 44 und dem 'Concert Piece' op. 65. Die 'Three Greek Dances' für kleines Orchester (1926, rev. 1927 – eine weitere [SA]CD-Premiere) sind harmonisch deutlich stärker fortgeschritten als die anderen bislang angesprochenen Kompositionen, auch wenn Goossens der Tonalität (wenn auch auf stark erweiterten Pfaden) treu bleibt. Im Falle der vorliegenden Komposition (entstanden für die Ausdruckstänzerin Margaret Morris und ihrer Truppe) kommen einem so widersprüchliche Meister wie Percy Grainger und Charles Ives in den Sinn, und es muss als höchst bedauerlich gelten, dass die drei äußerst anspruchsvollen Sätze bis heute auf ihre Wiederbelebung warten mussten.
Von ganz eigener Art ist das bereits erwähnte 'Concert Piece' op. 65, das 1957 quasi in Art einer ‚Familienzusammenführung‘ entstand. Die drei Soloparts für Englischhorn und zwei Harfen kommen nicht im Mindesten von ungefähr – vielmehr war Goossens‘ Bruder Leon (1897-1988) der wohl bedeutendste Oboist er ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Schwestern Sidonie (1899-2004) und Marie Goossens (1884-1991) waren schon zu Lebzeiten legendär als die damals weltbesten Harfenistinnen. Nicht nur die familiäre Vertrautheit bewirkt aber, dass wir es hier mit einem Ausnahmewerk zu tun haben. Goossens, damals auf dem Zenit seiner Fähigkeiten, schöpfte aus dem Vollen und legte eine zwar selten zu hörende, aber äußerst attraktive (im Finale überbordend amüsante) und für seine Zeit auch durchaus nicht unmoderne, teilweise nahezu atonale Komposition vor. Jeff Crellin (Englischhorn) und Marshall Maguire und Alannah Guthrie-Jones (Harfe) gestalten ihre Solopartien so, dass sie voll zu der Orchesterleistung passen – also meisterhaft.
Alle Werke werden hier in einer kongenialen, auch aufnahmetechnisch herausragenden Interpretation vorgelegt (man möge sich ob des niedrigen Startpegels nicht wundern – die noch kommenden Steigerungen werden zeigen, warum man die Aussteuerung so weit heruntergeschraubt hat). Der Streicherklang des Melbourne Symphony Orchestra erweist sich als eines der besten und bedeutendsten Orchester Australiens würdig, und auch die anderen Instrumentengruppen brauchen sich nicht vor Konkurrenz zu verstecken. Die einzelnen Klanggruppen sind bestens abgebildet und auf das Differenzierteste miteinander verbunden. Davis versteht die großen und kleinen Formen klug zu steigern und zu runde, so dass keinen Moment lang der Hauch von Langeweile aufkommen kann. Die rundum gelungene Aufnahme wird durch ein überzeugendes Booklet abgerundet, das nur geringe Wünsche offen lässt (etwa bei den Lebensdaten der Geschwister).
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Goossens, Sir Eugene: Concert Piece, op. 65 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 01.03.2013 |
Medium:
EAN: |
SACD
095115511923 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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