
Isserlis, Steven spielt - Werke von Bloch, Bridge & Hough
Schrecken des Krieges
Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Steven Isserlis hat Teile dieses Programms bereits vor Jahren aufgenommen. Nun aber zeigt sich sein Zugang noch ausgereifter. Und auch die Ersteinspielung von Stephen Houghs 'The Loneliest Wilderness' ist ausgezeichnet gelungen.
Steven Isserlis ist derzeit einer der bedeutendsten Cellisten Großbritanniens. Der 1958 Geborene hat sich intensiv für das Standardrepertoire wie auch die Neue Musik eingesetzt – zu den für ihn geschriebenen Werken gehören Kompositionen von John Tavener, Wolfgang Rihm und David Matthews. Auf der vorliegenden SACD führt Isserlis diese Tradition fort. Sein Kammermusikpartner Stephen Hough hat 2005 die Elegie 'The Loneliest Wilderness' für Cello (ursprünglich Fagott) und Orchester geschrieben, die im November 2009 ihre Weltersteinspielung erlebte und hier nun, gekoppelt mit zwei weiteren emotional äußerst ausdrucksstarken Werken, ihre Tonträgerpremiere erlebt. Das ist Musik, in der man sich verlieren kann, Musik, die nicht modern wirken will, dafür aber eine tiefe Emotionalität vermittelt. Schon seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gibt es in Großbritannien eine Tradition elegischer Kompositionen angesichts der Opfer des Krieges, einerseits inspiriert durch die Literatur Walt Whitmans, andererseits durch den Dichter A.E. Housman, dessen Gedichtband ‚A Shropshire Lad‘ die Schrecken des Ersten Weltkrieges vorwegnahm. Houghs Komposition schlägt sozusagen den Bogen zurück zu dieser Tradition, und Isserlis und die Tapiola Sinfonietta unter Gábor Takács-Nagy bieten eine kongeniale, fein durchhörbare, gleichzeitig aber wunderbar runde Interpretation, die man sich kaum besser vorstellen kann. Der herrliche, singende Ton des Soloinstruments, stets mit der gerade rechten Portion Vibrato und Druck, mit sorgfältigster Phrasierung (inklusive Portamenti wo angemessen), Agogik und Dynamik, erhält durch das finnische Orchester den passenden Rahmen; der Gefahr, zu süßlich zu werden, entgeht Isserlis trotz bewussten Raffinements seiner Darbietung durch die ungemein klug kalkulierte Abstimmung aller erforderlicher Komponenten.
Eröffnet wird die SACD durch 'Schelemo', Ernest Blochs berühmter Hebräischer Rhapsodie, die seit der Entstehung mitten im Krieg 1916 ein Standardwerk der Celloliteratur ist. Isserlis hatte das Werk schon 1989 für Virgin unter Richard Hickox eingespielt (damals gekoppelt mit Elgars Cellokonzert); seither hat sich seine Interpretation noch deutlich vertieft. Ähnlich steht es mit 'Oration', einem ‚Concerto elegiaco‘ von Frank Bridge, der 1930 seinen Vorkriegsstil vollständig hinter sich gelassen hatte. Auch dieses Werk hatte Isserlis bereits zuvor eingespielt (1987 für EMI, ebenfalls unter Richard Hickox, damals gekoppelt mit Brittens 'Cello Symphony'), und auch hier haben wir nun jene Konzentration, die mancher Kritiker bei der früheren Einspielung vermisste, jene Konzentration, die nicht nur Isserlis als einen der derzeit weltbesten Solisten seines Instrumentes bestätigt, sondern auch Bridge, den immer wieder ungerechtfertigt hinter dem Schatten seines Schülers Benjamin Britten Verschwindenden, als bedeutende musikalische Größe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etabliert. Wie fein sind die Töne zwischen Piano und Pianissimo, wie sorgsam sind die Steigerungen gestaltet, wie klug ist die gesamte Aufführung architektonisch angelegt. Nach Meinung des Rezensenten überbietet die vorliegende Interpretation selbst die lange als maßstäblich angesehene Einspielung mit Julian Lloyd Webber und dem London Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Nicholas Braithwaite von 1976 (Lyrita). Hugh Wolff, der sich schon zuvor als Meister britischer Musik etabliert hat (etwa in der Einspielung des Cellokonzertes von Andrzej Panufnik mit Mstislav Rostropovitch), leitet das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin zu einer ausgesprochen idiomatischen Interpretation an – durchaus nicht selbstverständliche bei Musik eines Komponisten, den man nicht alle Tage auf dem Notenpult findet.
BIS haben sich bei der vorliegenden Produktion aufnahmetechnisch nahezu selbst übertroffen – der natürliche, durchhörbare Klang ist von größter Transparenz und Wärme. Auch das Booklet überzeugt. Steven Isserlis gehört zu den wenigen Musikern, die es beherrschen, einen gut lesbaren, gleichzeitig äußerst informatives und persönlich geprägten Text zu verfassen, der an keiner Stelle zur Peinlichkeit abgleitet. Rundum empfehlenswert.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Isserlis, Steven spielt: Werke von Bloch, Bridge & Hough |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
BIS Records 1 16.01.2013 |
Medium:
EAN: |
SACD
7318599919928 |
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BIS Records Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees. Mehr Info... |
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