
Popp, Lucia singt - Werke von Mozart, Rossini u.a.
Von der Operette ins Oratorium
Label/Verlag: BR-Klassik
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Der Bayerische Rundfunk hebt Schätze seines Archivs. Diesmal sind es Aufnahmen der in einigen Rollen unerreichten Lucia Popp.
Die Sonntagskonzerte des Münchner Rundfunkorchesters waren eine Institution, und es ist schön, dass mehr und mehr auch aus den Beständen des BR-Archivs zu Tage gefördert wird. So viele herrliche Klangdokumente harren der professionellen Wiederveröffentlichung, und es darf durchaus als problematisch angesehen werden, wenn in der BR Klassik-Reihe die Konzerte mit Blick auf Interpreten hin erschlossen werden, nicht auf Komponisten hin: Eine gesunde Mischung würde dem geneigten Hörer am meisten bringen.
Lucia Popp (1939–1993) war eine Sängerin, die sich schnell auf höchstem Niveau etablierte, mit einer Bandbreite, die nur wenigen ihrer Zeitgenossinnen gegeben war. Oper und Lied, Operette und Oratorium – Popp hat zu all diesen Gattungen Bedeutendes beigesteuert, nicht selten sind ihre Interpretationen bis heute maßstäblich, etwa ihre (viel zu wenig bekannte) 'Figaro'-Gräfin, die unter Neville Marriner von allem larmoyantem Gesäusel befreit und wieder zu jener post-paisiellanischen Rosina wurde, als die Mozart sie gedacht hatte. Die Decca-Aufnahme von Janáceks 'Schlauem Füchslein' unter Mackerras gewinnt nicht zuletzt dank ihr den Referenzstatus.
Allerdings gab es bei ihr auch ein Manko, das man nicht unter den Teppich kehren darf. Bei all ihrem Charme (unerreicht auch in ihrer Marie in Lortzings 'Zar und Zimmermann', immer noch nicht auf DVD vorgelegt und auf CD nur in einer minderwertigen Edition ohne Dialoge) sind gelegentlich bei der deutschen Sprache bei Popp (geringfügige) Abstriche zu machen (vor allem in Dialogen, in den Arien fließt die Artikulation sehr viel leichter, auch in so intrikaten Partien wie der Christine in Strauss‘ 'Intermezzo'). Was aber nicht bedeutet, dass ihre musikalische Interpretation selbst nicht zumeist nicht nur tadellos, sondern exemplarisch ist. Popps Phrasierung ist legendär, ihre Atemkontrolle und ihre farblichen und dynamischen Abschattierungen vielfach unerreicht; die Register sind bruchlos miteinander verblendet, Wärme und silbriges Timbre bestens aufeinander abgestimmt.
In den Jahren 1968–1982 entstanden die hier nun erstmals gesammelt vorgelegten Arien, die teilweise Gesamtaufnahmen widerspiegeln, teilweise aber auch erfreuliche Repertoireergänzungen sind. Die ersten drei Tracks zeigen Popp als Primadonna der Operette (ihre herausragendsten Gesamteinspielungen waren Lehárs 'Der Graf von Luxemburg' und 'Der Zarewitsch' sowie Strauss‘ 'Die Fledermaus'), in Ausschnitten aus Werken von Robert Stolz und Franz Lehár. 'Du sollst der Kaiser meiner Seele sein' aus 'Der Favorit' liegt auch auf einer Arien-CD unter Neville Marriner vor – in München 1968 unter Werner Schmidt-Boelcke geht Popp weitaus stärker aus sich heraus, ist deutlich extrovertierter als zwanzig Jahre später; auch ist die Stimme durch die Aufnahmetechnik besser zur Geltung gebracht. Ähnlich auf Goldgrund gebettet (und noch deutlich überzeugender als Anneliese Rothenberger in Electrola-Aufnahmen) ist 'Spiel auf deiner Geige' aus Stolz‘ 'Venus in Seide' und 'Liebe, du Himmel auf Erden' aus Lehárs 'Paganini'. Es braucht solche Sänger, um Operette voll zu ihrem Recht zu verhelfen. Wo sind solche Sänger heute?
In traditionellere Gefilde begibt sich Popp in den Konzertausschnitten von 1972 unter Hans Zanotelli (aufnahmetechnisch etwas schwächer als die drei Arien unter Schmidt-Boelcke). Beide Male mit Ausschnitten aus Opern, von denen mit Popp keine Gesamtaufnahmen vorliegen: Webers 'Freischütz'-Ännchen erfüllt Popp mit unbändiger Energie und es muss gefragt werden, warum 1969 Robert Heger seine Studioproduktion für die Electrola nicht mit der unzweifelhaft stimmlich reicheren Sängerin besetzte; Lortzings Undine beseelt Popp mit mehr Wärme als Rita Streich und mehr dramatischer Dringlichkeit als Anneliese Rothenberger. Überdies singt Popp die Arie im Gegensatz zu Rothenberger ungekürzt.
Prominent figurierte Popp 1979 in einem Konzert unter Kurt Eichhorn. Händels Cleopatra in 'Julius Caesar' hat sie fast fünfzehn Jahre zuvor beim Bayerischen Rundfunk auch als Gesamtaufnahme vorgelegt (Orfeo d’Or). In dieser späteren Version ist ihre Textverständlichkeit nicht wirklich besser; die deutsche Sprache (Arie 'Ich lieb euch, ihr Augen'/'V’adoro, pupille') hätte sie weder nötig gehabt (ihr Italienisch war zumeist noch idiomatischer als ihr Deutsch) noch tut sie der Arie gut. Da freut man sich auf 'Le nozze di Figaro'. Insgeheim war der Star in Soltis Gesamteinspielung der Oper nicht der Figaro Samuel Rameys, sondern Lucia Popps Susanna. Leider ist Eichhorn hier denkbar uninspiriert und verleiht der Rosen-Arie Bleischuhe – beide Studioproduktionen (die Gesamtaufnahme und die Recital-CD unter Leonard Slatkin) sind dem Live-Mitschnitt deutlich überlegen. Da gerät Rossinis Rosina (im 'Barbiere di Siviglia') Popp und Eichhorn deutlich besser, doch kann man darüber diskutieren, ob die Arie (wenn auch eine diskografische Repertoireergänzung) hier nicht doch mehr Kunstprodukt denn gewachsenes Rollenporträt ist. Dieser Vorwurf wurde auch der 1979 (!) entstandenen Gesamteinspielung von Donizettis 'Don Pasquale' gemacht (mit Popp, Francisco Araiza, Bernd Weikl und Jewgenij Nesterenko), die den Rezensenten aber gerade wegen Popp ausgesprochen überzeugt hat. Gleiches ist über Norinas große Arie hier im Live-Konzert zu sagen: Wir hören eine sorgsam ausgearbeitete Interpretation, kein bloßes Konzertgeträller, eine Interpretation, die jener in der Gesamtaufnahme durchaus nicht eins zu eins entspricht und gerade dadurch besonders reizvoll ist.
Heinz Wallberg, der Dirigent der Gesamtaufnahme des 'Don Pasquale' und Nachfolger Kurt Eichhorns als Leiter des durchweg bestens aufgelegten Münchner Rundfunkorchesters, leitete das Konzert 1980, bei dem die große Arie der Marie in Smetanas 'Verkaufter Braut' mitgeschnitten wurde (mittlerweile liegt eine Wiener Aufführung von 1982 mit Siegfried Jerusalem und Karl Ridderbusch auf DVD vor). Hier zeigt Popp ganz besonders, wie ihr doch das ihr ganz eigene Idiom besonders liegt, ob auf Deutsch (wie hier) oder auf Tschechisch wie auf Recital-CDs unter Stefan Soltesz oder Kurt Eichhorn. Herrlich ihre sanft flutenden Piani, wunderbar die großen Melodiebögen. Allerdings ist die Mischung der Gesangsstimme mit dem Orchesterklang etwas zu Ungunsten Popps erfolgt. Man hätte sich gewünscht, dass die BR-Techniker dies hier noch optimiert hätten.
Nicht recht passen will die Schlussarie der CD, das 'Laudate Dominum' aus Mozarts 'Vesperae solennes de Confessore' KV 339, 1982 unter Lamberto Gardelli mitgeschnitten. Auch hier gerät der Aufnahmeklang etwas betulich. Die Regensburger Domspatzen bemühen sich um Stilsicherheit (wenn man von fast durchgängig zu tiefer Intonation absieht), was aber durch die Orchestergestaltung konterkariert wird; immerhin überzeugt Popp weitaus mehr als in der EMI-Studioproduktion.
Es fällt schwer, ein abschließendes Urteil zu fällen, zumal man nicht recht weiß, was im BR-Archiv alles noch der Hebung harrt (eine 'Genoveva' von Schumann mit Popp in der Titelrolle etwa oder ein Marschner-'Vampyr' mit Roland Hermann, Anna Tomowa-Sintow und Arleen Augér sowie, wie gesagt, die 'Zar und Zimmermann'-Verfilmung mit Popp, Hermann Prey und Karl Ridderbusch). Wäre es möglich gewesen, eine noch optimalere Popp-CD vorzulegen (in dieser Hinsicht erfahren wir im Booklet mit den einfühlsamen Ausführungen Thomas Voigts leider nicht viel)? Und wäre einem mit einer Spielopern- oder einer Operetten-CD vielleicht mehr gedient gewesen? Hoffen wir, dass der Bayerische Rundfunk nicht am Anfang eines vielversprechenden Weges stehen bleibt. Die Musikliebhaber werden es ihm danken.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Popp, Lucia singt: Werke von Mozart, Rossini u.a. |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
BR-Klassik 1 12.09.2011 |
Medium:
EAN: |
CD
4035719003062 |
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BR-Klassik BR-KLASSIK, das Label des Bayerischen Rundfunks (BR), veröffentlicht herausragende Live-Konzerte des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BRSO), des Chors des Bayerischen Rundfunks, des Münchner Rundfunkorchesters sowie der Konzertreihe musica viva. Dabei ist es ein wesentliches Ziel des Senders, über seine Radio- und TV-Programme hinaus auch digital sowie via CD und DVD allen Musikfreunden weltweit Zugang zu besonderen Aufnahmen zu bieten und auf diese Weise auch jenes Publikum zu erreichen, welches keine Möglichkeit hat, die Konzerte der internationalen Tourneen selbst vor Ort live zu erleben. Neben den jeweiligen Chefdirigenten wie beispielsweise Mariss Jansons oder Sir Simon Rattle finden sich großartige Künstlerpersönlichkeiten wie Daniel Barenboim, Herbert Blomstedt, Bernard Haitink und viele andere mehr. Die Reihe BR-KLASSIK WISSEN liefert unterhaltsame und kurzweilige Hörbiografien von Jörg Handstein mit vielen Hintergrundinformationen und Musikbeispielen auf jeweils 4 CDs, erzählt von Udo Wachtveitl sowie spannende Werkeinführungen in bedeutende Kompositionen der Musikgeschichte. Durch die Reihe BR-KLASSIK ARCHIVE werden historische Aufnahmen des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks wieder verfügbar. Beispielsweise die legendäre Aufführung des Verdi-Requiems unter der Leitung Ricardo Mutis mit Jessye Norman, Agnes Baltsa, José Carreras und Jewgenij Nesterenko und dem Chor des BR im Jahr 1981 oder etwa denkwürdige Konzertabende mit der Pianistin Martha Argerich: 1973 unter Leitung von Eugen Jochum mit Mozarts Klavierkonzert KV 456 sowie zehn Jahre später mit Beethovens Klavierkonzert Nr.1 unter Seiji Ozawa. Mittlerweile umfasst der gesamte Katalog über 200 Aufnahmen und hat bereits mehr als 50 renommierte und internationale Auszeichnungen erhalten, darunter den Preis der Deutschen Schallplattenkritik, den Diapason d’or, den BBC Music Magazine Award und den ICMA. BR-KLASSIK wird weltweit durch NAXOS vertrieben. Selbstverständlich gehören hierzu auch digitale Portale wie Spotify, Apple, amazon u.v.a.. Die Naxos Music Library präsentiert zudem für Universitäten und öffentliche Bibliotheken via Internet einen ständig wachsenden Katalog mit tausenden von Titeln weltweit führender Labels. Studenten, Lehrpersonal und andere Benutzer können sich jederzeit einloggen und in der Bibliothek, im Hörsaal, im Studentenwohnheim, im Büro oder zu Hause das komplette Repertoire abrufen - auch die Aufnahmen von BR-KLASSIK. Mehr Info... |
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