
Reibenspies, Andreas & Sellheim, Eckart - Uhland-Vertonungen: Werke von Brahms, Liszt u.a.
Intelligent
Label/Verlag: ARS Produktion
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Diese Zusammenstellung vorwiegend unbekannter Uhland-Vertonungen hat so manches Juwel zu bieten. Aber es ist keine Juwelensammlung geworden.
Selten findet man heute so klug konzipierte Lieder-CDs, mit dem starken Willen, vergessenes und bekanntes Repertoire miteinander unter ganz klaren Prinzipien fast schon systematisch zu erkunden. Gerne wird behauptet, das Publikum sei an solchen Programmen nicht interessiert – vielmehr jedoch scheitern solche Konzepte nicht selten an der Repertoireunkenntnis der involvierten Persönlichkeiten. Hier also Ludwig Uhland, ein wichtiger, ein bedeutender Dichter der Romantik, ein Dichter, der zahlreiche Komponisten zur musikalischen Auseinandersetzung inspirierte, ein Dichter, der auch international Reputation erlangte, nicht zuletzt in den USA; sein 'Der gute Kamerad' wurde integraler Bestandteil von Militärtrauerfeiern. Vor allem war Uhland auch für seine Balladen bekannt, lange Texte also, die eher zur kantatenhaften Vertonung einluden als zur Gestaltung als Sololied; bekannte Beispiele sind Schumanns 'Des Sängers Fluch' und 'Der Königssohn' und Elgars 'The Black Knight'. Uhlands ausgesprochen sangbare, an farbigen Bildern reiche Lyrik war zutiefst inspirierend; allein das Gedicht 'Frühlingsglaube' wurde nicht weniger als drei Dutzend Male in Musik gesetzt. Ein reicher Schatz, aus dem sich die beiden Künstler bedienen können. Konsequent wird auf der vorliegenden CD ein Vergleich zwischen unterschiedlichen Vertonungen eines Gedichtes verzichtet – durchaus logisch, wenn der Dichter Uhland wie die Komponisten gleichermaßen im Fokus stehen sollen. Das umfangreiche wie informative Booklet unterstützt diesen Anspruch.
Das Spektrum der Lieder reicht von Franz Schubert ('Frühlingsglaube' D 686), Robert Schumann ('Des Knaben Berglied' op. 79 Nr. 9, 'Provenzalisches Lied' aus 'Des Sängers Fluch'), Fanny Hensel ('Die Nonne' op. 9 Nr. 12), Carl Loewe ('Graf Eberstein') und Felix Mendelssohn Bartholdy ('Hirtenlied' op. 57 Nr. 2) über Franz Liszt ('Die Vätergruft', 'Hohe Liebe') oder Edvard Grieg ('Jägerlied' op. 4 Nr. 4, 'Lauf der Welt'/'Verdens Gang' op. 48 Nr. 3) bis hin zu Max Reger ('Hans und Grete' op. 76 Nr. 19, 'Sonntag' op. 98 Nr. 3), Richard Strauss ('Des Dichters Abendgang' op. 47 Nr. 2), Hans Pfitzner ('Naturfreiheit') und Othmar Schoeck ('Der Kirchhof im Frühling' op. 17 Nr. 3, 'Frühlingsfeier' op. 15 Nr. 3).
Mit jedem einzelnen Lied (und es ist auch zu empfehlen, nicht die ganze CD auf einmal anzuhören) ersteht eine eigene kleine Welt, von Seite des Komponisten ebenso wie von Seiten der Interpreten. Besonders beeindruckend etwa Liszts 'Die Vätergruft', berühmt auch wegen seiner Schlüpfrigkeit Loewes 'Graf Eberstein'. Die komplexe modulatorische Struktur von Regers 'Sonntag' durchdringen die beiden Künstler leider nicht innerlich; Regers Schweifen, das bei anderen durchaus ein Ziel hat, scheint hier ziellos, ungerichtet und damit ‚egal‘. Da fällt ihnen die Schlichte Weise 'Hans und Grete' natürlich deutlich leichter. Strauss‘'Abendgang des Dichters' wirkt in der Orchesterfassung deutlich ‚moderner‘ und überzeugender.
An den Bösendorfer-Flügel aus dem Jahre 1849 muss sich der Hörer erst gewöhnen. Das reich nachklingende Instrument hat viele feine Farbnuancen, die sich – ein kleiner Geniestreich – auch in der Gesangsstimme wiederfinden. Dass der Stimmer des Instruments im Booklet nicht genannt wird, ist verständlich (wenn auch bei historischen Instrumenten unüblich), denn er hat ein paar Unsauberkeiten des Klanges zu verantworten, gelegentlich gar für unsauber gestimmte Oktaven; dass an den vier Aufnahmetagen das Instrument auch nicht einheitlich gestimmt wurde, fällt bei manchen Trackwechseln deutlich auf. Beim 'Provenzalischen Lied', bei 'Naturfreiheit', in Burgmüllers 'Winterreise' und in Herzogenbergs 'Das versunkene Kloster' ist das Instrument im Verhältnis zu laut der Singstimme gegenüber, und beeinträchtigt so den Effekt beträchtlich.
Zentrale Position auf der CD nehmen die Uhland-Vertonungen von Johannes Brahms ('Scheiden und Meiden' op. 19 Nr. 2, 'In der Ferne' op. 19 Nr. 3, 'Heimkehr' op. 7 Nr. 6) sowie Norbert Burgmüller ein ('Nachtreise' op. 6 Nr. 5, 'Winterreise' op. 3 Nr. 4, 'Abreise' op. 10 Nr. 3 und 'Einkehr' op. 3 Nr. 1). Von den Brahms-Lieder gibt es natürlich zahlreiche Einspielungen, und gerade der den Klang verunklarende Flügel erhöht hier nur bedingt den Effekt. Am besten passt das Instrument hier zu 'Heimkehr'. Der 1836 nur 26-jährig verstorbene Burgmüller war ein durchaus beachtlicher Liedkomponist, in 'Nachtreise' etwa Schubert vergleichbar, der in 'Abreise' schon eine kleine Vorahnung auf Hugo Wolf gibt.
Zu den weniger geläufigen Namen zählen Louis Hetsch ('Lied des Gefangenen'), Heinrich von Herzogenberg ('Das versunkene Kloster'), Bernhard Klein ('Frühlingsahnung'), Conradin Kreutzer ('Frühlingsruhe'), Christian Hornemann ('Die Lerchen') und Adolf Jensen ('Der Schmied'). Einer ganz anderen, scheinbar deutlich früheren Generation als allen anderen gehört Kleins 'Frühlingsahnung' an, ein Beitrag aus der sogenannten Dritten Berliner Liederschule. Gerade hier kommt der Bösendorfer-Flügel auf das Beste zur Geltung. Hornemanns 'Lerchen' sind eine herrliche Miniatur à la Mendelssohn. Die melancholischen Lieder von Kreutzer und Hetsch, die bei anderen Interpreten belanglos oder peinlich klingen könnten, erfahren hier hervorragende Wiedergaben.
Andreas Reibenspies‘ in der Essenz lyrischer Bariton kann mit überraschend vielen unterschiedlichen Facetten und feinen Pianonuancen aufwarten; eine tenorale, gelegentlich fast falsettartig angegangene Höhe wird kontrastiert durch eine ebenfalls wandlungsfähige mittlere Lage mit etwas enger Tiefe; insgesamt erinnert die Stimme stark an Peter Pears und Dietrich Fischer-Dieskau. Dass die Register nicht ganz bruchlos miteinander funktionieren, ist Faszination und Problematik der Stimme gleichzeitig. Im Forte verliert sie stark an Charme. Was aber besonders auffällt, ist die Wortbezogenheit von Reibenspies‘ Interpretationen – da fallen auch Schwächen bei Verzierungen oder gelegentliche Intonationstrübungen wenig ins Gewicht. Besonders glücken ihm etwa Schuberts 'Frühlingsglaube', Liszts 'Die Vätergruft' oder Hensels 'Die Nonne', lyrische oder innige Beiträge also, wo beide Interpreten ihre Pianofähigkeiten bestens präsentieren können. Wiederum ganz andere Farben können die Künstler in Griegs 'Jägerlied' aufbieten. So entstehen kleine Juwelen, die aber leider nicht in einem ganz makellosen Diadem funkeln.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Reibenspies, Andreas & Sellheim, Eckart: Uhland-Vertonungen: Werke von Brahms, Liszt u.a. |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ARS Produktion 1 01.11.2012 |
Medium:
EAN: |
CD
4260052385197 |
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Brahms, Johannes |
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