
Verdi, Giuseppe - La Traviata
"Bubbles" at Wolf Trap Festival
Label/Verlag: VAI
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Für Fans von Beverly Sills ist dieser - zugegeben kitschlastige - Bühnenmitschnitt ein Muss!
Man fällt plötzlich in eine andere Welt: In üppigen Roben stolzieren Damen und Herren des Opernchores durch eine realistisch ambitionierte Dekorationsschlacht mit samtenen Vorhängen, gewundenen Treppen, einem Klavier, Tischchen mit Deckchen, Säulen, später Pflanzen und Gartenmöbel vor einem bemalten Aushang – und mittendrin umjubelte Stars mit groß ausgespielten Emotionen, um die sich offensichtlich alles gruppiert. So stellt man sich klischeebehaftetes Operntheater in Reinform vor und über allem liegt bei der Videoaufzeichnung noch der typische Weichzeichner der 1970er Jahre. So ähnlich ist der erste Eindruck, wenn man sich den Mitschnitt der vorliegenden 'La Traviata'-Produktion von 1976 beim Wolf Trap Festival in den USA anschaut. Beim historisch interessierten Label VAI ist diese Aufzeichnung nun auf einer DVD in wenig aufwendig restaurierter Bildqualität herausgekommen. Zentrum und eigentliches Ereignis dieser 'Traviata' ist die amerikanische Sopranistin Beverly Sills – von ihren Fans "Bubbles" genannt – in der Titelpartie.
Wenn sich der Vorhang zum ersten Akt hebt, wähnt man sich in einer Aufzeichnung der Muppet Show und erwartet sekündlich den hyperaktiven Auftritt eines gewissen Frosches. Der kommt aber nie; stattdessen lächelt sich Beverly Sills militant charmant durch das optische Großereignis von Regisseur Tito Capobianco und seinem Ausstatter Carl Toms. Es kostet schon einiges an positiver Energie, um über das Brindisi hinauszugelangen und das erste Duett zwischen Violetta und Alfredo und schließlich das erste Finale mit Violettas 'Sempre libera' anzusteuern. Aber dann wirkt mit einem Mal der Zauber! Kaum ist Beverly Sills alleine auf der Bühne, beherrscht sie dieselbe und füllt sie mit Magie. Schon mit der kurzen Phrase 'È strano!' trifft sie mitten ins Schwarze und beweist im folgenden Rezitativ, dass sie die Schule des Belcanto und ihre Stimme restlos beherrscht. Ja, man hört der Stimme 1976 bereits an, dass sie nicht mehr taufrisch ist; das deutlich ausladende Vibrato hält die Sills aber gut im Zaum und beeindruckt im 'Sempre libera' mit Koloraturen voll sprühender Leichtigkeit – der finale Spitzenton kostet sie hörbare Mühe, aber er sitzt.
Ab dem zweiten Akt fesselt die Sopranistin mit ungeheurer Intensität, Wärme und starker Persönlichkeit. Im Duett mit Germont gehen die 'Morrò'-Rufe singender Verzweiflung unmittelbar unter die Haut. Zugleich gewöhnt man sich an den altmodischen Darstellungsstil, der sich mitnichten in purer Oberflächlichkeit erschöpft. Gerade Beverly Sills Mimik zeigt deutlich, wie intensiv die Sopranistin ihre Partie mit Leben und Wahrhaftigkeit füllt, ohne ihre stupende Gesangsleistung in den Vordergrund zu stellen. Denn Beverly Sills versteht es, inhaltlich zu singen, Text und Musik als zwingend notwendige Verbindung zu definieren. Wenn sie singt, klingt es, als sei es die natürlichste Art der Kommunikation. Im letzten Akt gelingt ihr das Kunststück, den körperlichen Zerfall Violettas durch ihre Klanglichkeit zu unterstreichen. Das 'Addio del passato' wirkt in Sills‘ verinnerlichtem Ton fast schon gläsern, durchscheinend. Da können selbst bei dieser geschmacklich überholten Bühnenvariante ein paar Tränen der Rührung kullern.
Neben der Glanzleistung von Beverly Sills haben es die Kollegen schwer, auch etwas vom Rampenlicht und der Gunst des Publikums abzukommen. Dem Bariton Richard Fredricks gelingt dies mit der Routine eines erfahrenen Sängers. Als Vater Germont verzichtet er auf balsamischen Wohlklang und setzt vielmehr auf sein dunkles, kerniges Material. Das schärft den Charakter seiner Partie ungemein, lässt ihn unnachgiebiger und selbstgerechter erscheinen. Hinter der Fassade eines väterlichen, weisen Mannes schlummert eine fragwürdige Moralvorstellung, die selbst sein 'piangi, piangi' eher berechnend distanziert als einfühlsam klingen lassen. Als Alfredo besteht Henry Price neben der umjubelten Operndiva. Er verfügt über eine schlanke, lyrische Tenorstimme, die mit Durchschlagskraft und einem Hauch von Italianità gesegnet ist. Seine große Arie singt Price leider ohne die Cabaletta, dafür entschädigen aber seine jugendliche Leidenschaftlichkeit und sein stetiges Bemühen um farbliche Differenzierung.
Aus dem übrigen Ensemble stechen der junge Neil Rosenshein als Gastone, Fredda Rakusin als Flora sowie John Cheek als Dottor Grenvil hervor. Am Pult des Filene Center Orchestra and Chorus hat Altmeister Julius Rudel die Aufführung bestens im Griff, spielt aber hauptsächlich der Primadonna zu, der unter Rudels Leitung alle Freiheiten zugestanden werden.
Diese 'Traviata' vom Wolf Trap Festival ist ein frühes Zeugnis amerikanischer Opern-Fernsehübertragungen und eine optische Zeitreise wert. Und wer Beverly Sills zu schätzen weiß, kommt hier voll auf seine Kosten.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Verdi, Giuseppe: La Traviata |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
VAI 1 09.12.2002 |
Medium:
EAN: |
DVD
089948420798 |
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VAI Video Artists International (VAI) incorporated in 1983 and became the first US-based company to offer a selection of home video featuring opera, concert and ballet performances from international performance centers. In 1991 VAI began producing compact discs.. In 2001 VAI released its first DVD.
Initial VHS releases included ballet films from Russia followed by a series of complete operasstarring Anna Moff, Renata Tebaldi in Tosca and Beverly Sills All these remain best sellers for VAI. Also issued were recitals by Rosalyn Tureck, Anna Russell, Renata Scotto and others. All of these have been issued on DVD. Mehr Info... |
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