
Kogan, Leonid spielt - Werke von Brahms & Khachaturian
Wahrhaftig
Label/Verlag: Guild
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Leonid Kogans Violinkunst ist atemberaubend, sowohl bei Brahms als auch bei Khatchaturian.
Wer sich nur mit modernen Violinkonzert-Einspielungen befasst, kann nicht einmal ahnen, was es für Schätze aus der Vergangenheit gibt. Natürlich gibt es entsprechende Conoisseurs und auch regelrechte Fachleute, deren Liebe für Interpretationen der Vergangenheit wegen der manchmal doch recht zweifelhaften Klangqualität für längst nicht alle nachvollziehbar ist. Dieses trifft auf die vorliegende CD mit zwei klanglich ausgezeichneten Produktionen aus der frühen Stereo-Ära nicht zu, die ebenso ausgezeichnet restauriert wurden.
Leonid Kogan (1924–1982) war ein Geiger, der neben vielen seiner Zeitgenossen, nicht zuletzt dem russischen Kollegen David Oistrakh, fast zeitlebens im Schatten stand, wenngleich nicht zu Recht. Gerade dieser Tage soll Kogans Einspielung des Tschaikowsky-Violinkonzerts bei EMI wieder auf den Markt kommen, vor wenigen Monaten kam ein Mitschnitt des Khatchaturian-Konzertes bei Supraphon heraus, doch viele der seinerzeit legendären Kogan-Aufnahmen (etwa aus den Häusern EMI und RCA) sind lange nicht mehr lieferbar. Dem hilft Guild Historical jetzt ab, und um es vorweg zu nehmen: Das Ergebnis ist atemberaubend.
Das Brahms-Violinkonzert in D-Dur kennt man zur Genüge, und für das Philharmonia Orchestra des Jahres 1959 müsste man auch nicht unbedingt zu dieser Aufnahme greifen, auch wenn das Orchester (zu keiner Zeit seines Bestehens das beste Londoner Orchester) gut in Form ist und einen warmen, einfühlsamen, gleichzeitig ausgesprochen klar konturierten und kraftvollen Beitrag leistet. Doch es ist Kogan, der mit seinem Spiel viele Interpreten neuerer Zeiten an die Wand spielt. Klarheit, Wärme, Innerlichkeit und eleganter Ton sind Qualitäten, die natürlich auch heutige Künstler aufbieten können, doch die unbedingte künstlerische Wahrhaftigkeit, die Kogan zusammen mit Kyrill Kondrashin vermittelt, sucht ihresgleichen und erinnert mich sogleich an die ebenso legendären Einspielungen der Liszt-Klavierkonzerte mit Svjatoslav Richter, gleichfalls unter Kondrashin. Die Struktur der Komposition wird äußerst klar herausgearbeitet, sowohl im umfangreichen Kopfsatz als auch in den beiden weniger umfänglichen, doch nicht weniger Schönheiten und Tiefe bergenden folgenden Sätzen. Im langsamen Satz beeindruckt mich sogar das Oboenspiel (Leon Goossens‘?), das mir an anderer Stelle einen Hauch zu scharf klingt (eine typische Eigenheit des ‚Philharmonia Sound‘). Die Intimität, die Kondrashin dem Satz angedeihen lässt, lässt andere Interpreten geradezu oberflächlich klingen.
Ähnlich beeindruckend ist Kogans Interpretation von Khatchaturians 1940 (für Oistrakh) entstandenem Violinkonzert c-Moll, eingespielt zusammen mit dem Boston Symphony Orchestra unter Pierre Monteux. Zwar muss man sich an die doch ganz andere Aufnahmeakustik im Boston des Jahres 1958 erst ein wenig gewöhnen, doch klingt Kogans und Monteux‘ Einspielung (entstanden unmittelbar nach Kogans USA-Debüt) weitaus klarer und eleganter als etwa Khatchaturians eigene frühe Decca-Studioaufnahme von 1956 mit dem gleichfalls unverdient vergessenen, jüngst verstorbenen Ruggiero Ricci (1996 und 2003 auf CD einen Halbton zu tief vorgelegt). Nun kann man diskutieren, ob Eleganz eine richtige Qualität für Khatchaturians stellenweise fast archaisch anmutende Musik ist, doch gelingt es Monteux und Kogan, auch aus dieser gänzlich anderen Perspektive (und mit sehr viel klarer durchhörbarer Aufnahmetechnik) im Kopfsatz einen stellenweise geradezu beängstigenden Sog zu entwickeln, der der Essenz der Komposition entspricht. Im langsamen Satz hören wir gelegentlich fast impressionistische Klänge, im Finale geradezu umwerfenden Elan. Vielleicht ist manchem der Orchesterklang etwas zu elegant – Khatchaturians eckige Kanten werden durch die Bostoner etwas abgeschliffen –, doch das Ergebnis bleibt atemberaubend und äußerst überzeugend. Gerade da Khatchaturians eigene Studioproduktionen (für EMI mit Oistrakh noch in Mono, für Decca mit Ricci) aus unterschiedlichen Gründen derzeit nicht mithalten können und weder Neeme Järvi noch Antal Doráti ähnlich halzbrecherische Tempi im Finale an den Tag legen, eine wichtige, eine mit- und hinreißende Wiederveröffentlichung. Ein informatives Booklet in typischer Guild-Qualität rundet eine insgesamt sehr empfehlenswerte Produktion.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Kogan, Leonid spielt: Werke von Brahms & Khachaturian |
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Label: Anzahl Medien: |
Guild 1 |
Medium:
EAN: |
CD
795754239423 |
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Guild Guild entstand in den frühen Achtzigerjahren auf Initiative des berühmten englischen Chorleiters Barry Rose, der den St Paul's Cathedral Choir in London leitete. Der Name hat nichts mit der nahe gelegenen Londoner Guild Hall zu tun, sondern kommt von Barry Roses erstem Chor, dem Guildford Cathedral Choir. Das frühere Logo (ein grosses G) entstand indem Barry Rose kurzerhand eine Teetasse umstülpte und mit einem Bleistift ihrem Rand bis zum Henkel entlang fuhr. Seit 2002 hat die Firma als Guild GmbH ihren Sitz in der Schweiz, in Ramsen bei Stein am Rhein. Mehr Info... |
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