
Respighi, Ottorino - Marie Victoire
Stimmschmeichler
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
CPO ist mit Respighis 'Marie Victoire' eine weitere lohnenswerte Ausgrabung gelungen, die auch in der musikalischen Umsetzung zu überzeugen weiß.
Die Ära Harms an der Deutschen Oper Berlin förderte eine ganze Reihe wichtiger Wiederentdeckungen zutage, selbst wenn die szenische Umsetzung gelegentlich zwischen problematisch oder belanglos anzusiedeln war. Eine solche Wiederentdeckung ist 'Marie Victoire', eine von Ottorino Respighis nicht weniger als elf Opern. 'Marie Victoire', 1912-14 auf ein französisches (im einzelnen Wortlaut gelegentlich etwas platten) Libretto von Edmond Guiraud nach seinem gleichnamigen Schauspiel entstanden, blieb bis Januar 2004 unaufgeführt. Im April 2009 wurden dann drei Aufführungen an der Deutschen Oper Berlin mitgeschnitten und zu der vorliegenden Produktion zusammengeführt. Eine größere Menge Bühnen- und Publikumsgeräusche ließen sich offenbar nicht ausblenden, was aber das musikdramatische Erlebnis nur stellenweise beeinträchtigt.
Der große Vierakter kehrt zu der mehr als hundert Jahre zuvor beliebten Gattung der Revolutions-Verismo-Oper zurück, die als andere späte Ausläufer auch unter anderen Giordanos 'Andrea Chénier' und Puccinis 'Tosca' erlebte. Ottorino Respighi wildert hier fraglos musikalisch in den Gefilden eines Jules Massenet, doch ohne das manchmal betörend starke Parfüm des Franzosen, dafür jedoch mit herrlichsten, für Singstimmen bestens geeigneten Melodien, teilweise in beängstigender Nähe zu Puccini (das Modell 'Tosca' ist unüberhörbar). Das an dramatischen Verwicklungen wie musikalisch ausgesprochen opulente Werk, das beste tiefgründige Unterhaltung à la Victor Hugo bietet, nicht ohne entsprechende blutrünstige Details hinter und auf der Bühne.
Die Titelfigur ist Marie Comtesse de Lanjallay, deren Leben wie das ihres Gatten durch die revolutionären Ereignisse auf den Kopf gestellt wird. Eine halsbrecherische Spinto-Partie für eine wandlungsfähige Sängerin, die mit der Amerikanerin Takesha Meshé Kizart zur Verfügung steht. Musikalisch wie darstellerisch scheint Takesha Meshé Kizart hier bereits das ihr gemäße Fach gefunden zu haben – es gelingt ihr bestens, ihre ein wenig an die junge Jessye Norman gemahnende Stimme in die anspruchsvolle Partie einzubringen. In jeder Lage spricht sie bestens an, bietet herrliche Spitzentöne und wunderbare Piani gleichermaßen. Eine Sängerin, der man eine ganz große Karriere wünschen möchte. An der Metropolitan Opera singt sie bereits.
Ihren Ehemann Maurice de Lanjallay, eine undankbare Baritonrolle, ist Markus Brück übertragen, seit 2001 Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, der sich zumindest in der Schlussszene deutlich steigert. Wie auch der Bariton Jörn Schümann, nach Tätigkeit an der Hamburgischen Staatsoper seit 2007 Ensemblemitglied in Berlin, in der Rolle des Dieners Kermarec fehlt Brück Charme und Eleganz in der Stimme, fehlen Qualitäten, wie sie an ein Erstes Haus gehören und wie sie heute selbst dort zur Rarität geworden sind. Nicht viel besser steht es mit dem dritten Bariton im Bunde, Simon Pauly (seit 2006 in Berlin), in der Rolle des befreundeten Dichters Simon. Seine Stimme hat zwar mehr Eleganz, doch schon in so jungen Jahren ein zu starkes Vibrato, so dass er die schönen Melodiebögen Respighis nicht zu bester Geltung bringen kann. Seit 2008 an der Deutschen Oper Berlin ist Stephen Bronk in der Rolle des gräflichen Gärtners Cloteau (ein Schelm, der an Giordanos Gérard denkt) – seine Leistung passt zu jenen der anderen erwähnten Herren; auch seine Stimme ist qualitativ meilenweit unter jener Takesha Meshé Kizarts anzusiedeln.
Der einzige Tenor unter den männlichen Hauptrollen ist Clorivière de Limoëlan, ein Freund der Lanjallays und Angelpunkt diverser dramatischer Verwicklungen. Zumindest Germán Villar hat die passende Zwischenfachstimme, um die schwierig zu singende Partie mit eigenen Valeurs auszufüllen. Seine Höhe ließe sich vielleicht noch ausbauen, doch versteht er immerhin Respighis Melodielinien und kann diese auch umsetzen.
Das Orchester der Deutschen Oper hat schon häufig bewiesen, dass es vieler Farbschattierungen fähig ist, wenn auch häufig nicht mit den anderen großen Berliner Orchesterkörper mithalten kann. Michail Jurowski weckt aber in den Musikern ein Höchstmaß an Engagement und Spielfreude, so dass die Orchesterleistung, gerade für eine Liveaufführung, als weit mehr als beachtlich bezeichnet werden kann. Der Opernchor kann da (auch wegen der szenischen Handlung) nicht ganz mithalten. Doch beeinträchtigt dies nicht den dramatischen Effekt der Produktion. Überhaupt erleben wir hier Ensembleoper auf ganz hohem Niveau, und wenn die Einzelleistungen noch prägnanter besetzt hätten sein können, so ist dies nur ein kleiner Wermutstropfen.
Das Booklet ist insgesamt ausgesprochen umfassend, nur ein wenig unübersichtlich (Informationen zur Seitenangabe im Libretto wären beim Tracklisting hilfreich gewesen). Ansonsten eine interessante Repertoireergänzung, überzeugend präsentiert. Dass das Werk heute keine große Bühnenkarriere mehr machen wird, liegt aber vor allem am derzeitigen Geschmack in Punkto Sujets, Inszenierungsstil und Bekanntheit des Werks. Jedes Theater, das wirkliche Qualität liefern will, könnte sich hier, abseits von Puccini, bestens profilieren. Wie in Berlin geschehen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Respighi, Ottorino: Marie Victoire |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 3 20.09.2012 |
Medium:
EAN: |
CD
761203712120 |
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Respighi, Ottorino |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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