
Schumann, Georg - Sinfonie in h-Moll
Zeitmusik
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit der h-Moll-Sinfonie und einer Orchesterserenade von Georg Schumann macht CPO auf einen Komponisten aufmerksam, der nicht zur Speerspitze kompositorischer Avantgarde gehörte, aber hörenswerte, handwerklich tadellose Musik schrieb.
Dass die Musikgeschichte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht bei Brahms und Bruckner aufhört, dürfte der Musikliebhaber längst gemerkt haben. Mit Georg Schumann (1866–1952) haben wir es mit einem Musiker zu tun, der das Kompositionshandwerk in Leipzig vor allem bei Reinecke und Jadassohn lernte. Anders als die angeblich ‚Großen‘ der Musikgeschichte hing Schumann eher dem an, was zumeist (durchaus nicht despektierlich) als Zeitstil bezeichnet wird, als der vorherrschende Stil der nicht den Lauf der Geschichte ändernden Komponisten. Es wäre fatal, würde man solche Komponisten als minderwertig abtun; ihre Leistungen waren der Boden, auf dem die Neuerungen und Veränderungen aufbauen und an denen sie sich reiben konnten. Besonders dem Publikum war solche ‚Zeitmusik‘ wichtiges Korrektiv, um die Entwicklung der Musikgeschichte wahrzunehmen.
So kann es nicht überraschen, wenn man als Hörer den Eindruck hat, die Musik auf der vorliegenden CD (trotz Erstveröffentlichungen) habe man schon einmal irgendwie gehört – es ist die Ähnlichkeit, die diesen Eindruck hervorruft und die auch länderübergreifende Verbindungen offenbar macht. Die große h-Moll-Sinfonie Schumanns, 1887 entstanden und bei einem Wettbewerbs des Berliner Konzerthauses ausgezeichnet, bietet nicht nur Echos Dvořáks und sogar Wagners, sondern auch Stanfords, Smyths oder Glasunovs. Das bedeutet, wir haben es mit handwerklich ausgesprochen gut gemachter Musik des Endes des 19. Jahrhunderts zu tun, das sich dem zentralen ästhetischen Postulat der Vermeidung aller Hässlichkeit in der Musik beugt. Ziel der Komponisten war, in den Konzertsälen Fuß zu fassen, vielleicht sogar ihren Lebensunterhalt mit dem Komponieren zu bestreiten – posteriorer Ruhm war längst nicht immer primäres Ziel, sondern vielmehr auch die rein pragmatische Frage: Kann ich davon leben?
Die beiden Werke auf der vorliegenden CD entsprechen diesem traditionellen Zuschnitt. Die Sinfonie fügt der Gattung vielleicht keine neuen Elemente hinzu, ist aber sorgsam ausgearbeitet und harmonisch, melodisch und instrumentatorisch ausgesprochen reich. Die melodische Gestaltung des langsamen Satzes ist weit ausschwingend, mit zahlreichen Schönheiten des Orchestersatzes. Das Scherzo verbindet auf ganz eigene Art retrospektive Elemente (Robert Schumann) und zukunftsorientierte Harmonik und generiert so in der Komposition des 21-Jährigen bereits einen durchaus eigenen Ton. Nicht ganz nahtlos beschließt das Finale die Sinfonie, ein Problem, das andere Studentenkompositionen auch hatten; zwar greift Schumann die harmonischen Erkundungen des Scherzo auf, doch ohne die Versprechen der vorherigen Sätze einlösen zu können. Der Schlusssatz bleibt eher akademische Übung denn Erfüllung des Ganzen.
Die Serenade op. 34 für großes Orchester entstand 1902 und wurde im selben Jahr durch die Meininger Hofkapelle unter Fritz Steinbach uraufgeführt. Mittlerweile hatte Schumanns harmonischer Stil durchaus Wiedererkennungswert erlangt, wenn seine Modulationen sich auch innerhalb des schon erwähnten ‚Zeitstils‘ bewegen. Echos von Wolf, Marx, Schillings und anderen zeigen, dass Schumann mit wachen Augen und Ohren in der Welt stand und, wie Reger schrieb, ‚das Gute eben‘ nahm, ‚wie es kommt‘. Mit ausgesprochen attraktiven Ergebnissen, wenn auch weiterhin unter Verzicht auf harmonische Kühnheiten à la 'Elektra' oder Regers 'Symphonischer Phantasie und Fuge'. Die einzelnen Sätzen der humorvollen fünfsätzigen Komposition, der er den Untertitel ‚Geschichte eines abgewiesenen Liebhabers‘ gab, versah Schumann mit durchaus zeittypischen Überschriften – nirgendwo verließ er wirklich die Pfade der Konvention, doch legte er, etwa in dem übersprudelnden, 'Nächtlicher Spuk' überschriebenen Scherzo oder dem stimmungsseligen zentralen langsamen Satz, jeweils Musterbeispiele bestimmter Satztypen vor.
Längst hat sich das Münchner Rundfunkorchester vom ‚zweiten Orchester‘ des Bayerischen Rundfunks zu einem der ersten Orchester Münchens entwickelt, ganz besonders bezüglich des Innovationspotenzials, das Orchester heutzutage haben sollten, um international ernst genommen zu werden. Unter Leitung des aufstrebenden Christoph Gedschold, nach einer Position in Nürnberg und zahlreichen Gastdirigaten derzeit koordinierter Erster Kapellmeister am Badischen Staatstheater Karlsruhe und ausgewiesener Spezialist für Repertoireaußenseiter, läuft das Orchester zu Höchstleistungen auf. Der früher gelegentlich eindeutig problematische Streicherklang hat sich zu satter Wärme entwickelt, die Bläsergruppen halten höchsten Anforderungen stand. Die Aufnahmequalität entspricht diesem hohen Qualitätsstandard, doch dem Booklettext möchte ich ein kleines Minus anhängen, weil er sich nicht ganz so rund liest wie entsprechende Texte professioneller Musikschriftsteller. Insgesamt aber eine ausgesprochen erfreuliche Veröffentlichung, die man der interessierten Zielgruppe bestens empfehlen kann.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schumann, Georg: Sinfonie in h-Moll |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 1 20.09.2012 |
Medium:
EAN: |
CD
761203746422 |
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Schumann, Georg |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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