
Hummel, Johann Nepomuk - Klavierkonzerte Vol. 1
Korrektur der Musikgeschichte
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Vorliegende Folge von Johann Nepomuk Hummels Klavierkonzerten gibt den Startschuss für eine Reihe, die, sollte sie sich auf dem hier vorgebenen hohen Niveau weiterbewegen, erhebliches diskographisches Gewicht haben wird.
Als seit Ende der 1980er-Jahre mit stetig wachsenden Resultaten Johann Nepomuk Hummels Klavierkonzerte wiederentdeckt wurden, wurde schnell klar, dass wir es hier mit einer bedeutenden Stimme des frühen 19. Jahrhunderts zu tun haben, einer Stimme, die in der Musikgeschichtsschreibung sträflich vernachlässigt wurde. Auf historischen Instrumenten wurde damals jedoch kaum etwas vorgelegt. Dem verspricht das Label Brilliant Classics, seit Jahren in Sachen Hummel äußerst erfolgreich aktiv, abzuhelfen. Neben acht ausgewachsenen Konzerten (davon zwei unveröffentlicht gebliebenen Jugendwerken) schuf Hummel mehrere Konzertsätze sowie ein Konzert für Klavier und Violine, vielfach Werke, deren musikhistorische Bedeutung nicht zu unterschätzen ist.
Auf der vorliegenden ersten Folge der Einspielung von Hummels Klavierkonzerten finden sich drei Werke ganz unterschiedlicher Couleur, die Konzerte a-Moll op. 85 und G-Dur op. 73 (beide um 1816 entstanden) und 'Introduction et Rondo brillant' f-Moll op. 127 'Le retour de Londres' vom Herbst 1830. Bei dem Concertino op. 73 handelt es sich um eine Adaption eines Mandolinenkonzerts von 1799, und in der Tat ist der kompositorische Stil eher der eines Mozart oder frühen Beethoven denn des Hummel, den wir in den beiden anderen Werken kennen lernen. Allerdings haben wir auch schon hier winzige Übergänge, die die Klavierkonzertwerke Chopins vorwegnehmen. Das Concertino erweist nahezu haptisch die Weiterentwicklung der Musik der Wiener Klassik in die Romantik – und damit Hummels wichtige zeithistorische Scharnierfunktion, die durch die spätere Musikgeschichtsschreibung unterschlagen wurde. Die Wahl eines Wiener Flügels (Joseph Böhm) von 1825 unterstützt den Eindruck kontinuierlicher Entwicklung. Hummels kompositorische Meisterschaft ist jeden Moment spürbar, sein Aufbauen auf Mozart, Beethoven & Co. (gerade das Finale hat viel vom späten Mozart in sich) ebenso wie die Vorechos der kommenden Zeiten.
Ein Pleyel-Flügel des Jahres 1837 findet bei den beiden weiteren Werken Verwendung – eine kluge Wahl, die auch hier die musikhistorische Bedeutung Hummels betont, erweist sich doch das Klavierkonzert a-Moll als eindeutiges Modell für Frédéric Chopin; im Grunde lässt sich fast sagen, dass Chopin Hummel fast plagiiert, sowohl im Klaviersatz als auch dem Orchestersatz ist die Vorbildfunktion Hummels unüberseh- und -hörbar. Vielleicht kann man bei diesem Werk, zumal in der Interpretation auf alten Instrumenten, von einer zentralen Komposition der musikhistorischen Entwicklung sprechen. Ich für meinen Teil möchte in Zukunft nur mehr Hummel und nicht mehr Chopin hören.
Wiederum ganz anderen Charakter hat 'Le retour de Londres', mit dem sich Hummel äußerst witzig über die musikalischen Niederungen der englischen Hauptstadt lustig macht, gleichzeitig Rossini und andere parodiert. In der Form einer pompösen Einleitung (à la Beethovens Chorfantasie) mit Rondo setzt sich Hummel hochvirtuos mit einem populären Thema auseinander und parodiert so quasi das seit Anfang des 19. Jahrhunderts sich stetig ausbreitende polemische Wort von England als dem ‚Land ohne Musik‘: Es scheint klar, dass Hummel seinem unbändigen Humor die Zügel schießen ließ, in einer Komposition, die vom thematischen Material und der Verarbeitung nicht nur Weber, Schumann und anderen Komponisten der Zeit mit Leichtigkeit das Wasser reichen kann (und das abermals viele Stilmittel Chopins vorwegnimmt) und bis zu Tschaikowskys Violinkonzert hin ausstrahlte.
Alessandro Commellato hat für Brilliant bereits bei der Einspielung der beiden Septette mit Solamente Naturali mitgewirkt, und Solamente Naturali waren auch der Klangkörper in Hummels 'Mathilde von Guise' für Brilliant Classics. Ein Ensemble haben wir hier also, das nicht nur bestens aufeinander eingespielt ist, sondern sich vor allem auch schon länger mit Hummels Idiom befasst. Und so wundert es auch überhaupt nicht, dass die Einspielungen wie aus einem Guss wirken, bestens aufeinander abgestimmt sind, dass die feinen Farben der Hammerklaviere ebenso gut zur Geltung kommen wie die besonderen Farben des historisch informiert musizierenden Klangkörpers. Es scheint kaum vorstellbar, dass diese auf den ersten Blick so unscheinbare Produktion mit allerdings vergleichsweise umfangreichem Booklet (wenn auch nur in Englisch) noch in irgendeiner Weise noch überboten werden könnte. Ich freue mich sehr auf die nächsten Folgen – was sonst kann man wollen?
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Hummel, Johann Nepomuk: Klavierkonzerte Vol. 1 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 1 28.09.2012 |
Medium:
EAN: |
CD
5028421943381 |
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